Klima- versus Naturschutz?
Mit 1.406.952 Mitgliedern (Stand: 2023) ist der Deutsche Alpenverein (DAV) die größte nationale Bergsportvereinigung weltweit und nach Deutschem Fußball-, Turner- und Tennis-Bund der viertgrößte Fachsportverband Deutschlands. Seit 2005 ist der DAV auch als Naturschutzverband anerkannt; im letzten Jahr wurde der Klimaschutz in der Satzung verankert, bereits 2019 wurde beschlossen, unter dem Leitmotiv „Vermeiden vor Reduzieren vor Kompensieren“ bis 2030 Klimaneutralität zu erreichen.
Lea Kamps, Klimaschutzkoordinatorin der DAV-Sektion Bonn &
Björn Langer, Naturschutzreferent der DAV-Sektion Bonn
Ist der DAV damit so etwas wie die „eierlegende Wollmilchsau“? Natürlich stehen sich Bergsport und Natur- sowie Klimaschutz manchmal gegenüber. Gleichzeitig ergeben sich aus diesem Interessen“konflikt“ auch Chancen. Beispielhaft erwähnt seien an dieser Stelle Initiativen wie „Naturverträglich klettern“ oder „Skibergsteigen umweltfreundlich“.
Den Blickpunkt möchten wir in dieser BUZ-Ausgabe aber auf einen anderen, weniger offensichtlichen Konflikt richten – den zwischen Natur- und Klimaschutz. Dieser wird nicht nur in den Wäldern ausgetragen (Stichwort: Windenergie), sondern auch im Hochgebirge. Derzeit kämpft der Alpenverein beispielsweise um den Erhalt des Platzertals, einem Nebental des Kaunertals, wo die Tiroler Wasserkraft AG, kurz TIWAG, unter dem Werbeslogan „grüne Energie“ das bestehende Speicherkraftwerk am Talschluss ausbauen möchte.
Das bislang nahezu unberührte Platzertal, rund 2.200 Meter hoch gelegen, soll mit einem 120 Meter hohen und 450 Meter breiten Staudamm geflutet werden, um einen knapp anderthalb Kilometer langen und 42 Millionen Liter fassenden Speichersee zu schaffen. Das Wasser soll über einen 23 Kilometer langen Stollen aus vier ökologisch wertvollen Alpenflüssen aus dem Ötztal abgeleitet werden.
Der DAV befürwortet den Ausbau erneuerbarer Energien für eine rasche Energiewende zur Erreichung der dringend nötigen Reduktion der Treibhausgasemissionen und der Einhaltung des Anderthalb-Grad-Ziels. Trotzdem wird das Projekt aufgrund der massiven, irreversiblen und flächenhaften negativen Auswirkungen auf die alpine Landschaft, die Biodiversität, die alpinen Lebensräume und den Wasserhaushalt abgelehnt. Die Gründe?
Zerstörung des Flusslebensraums an Faggenbach und Inn durch Schwall-Belastung: Der bereits bestehende Gepatschspeicher ist ein Speicherkraftwerk. Mehrmals am Tag wird Wasser abgelassen. Dadurch kommt es in Faggenbach und Inn zum schlagartigen Anstieg und Abfall des Wasserspiegels. Dies zerstört Lebensräume und lässt Fische sprichwörtlich auf dem Trockenen liegen.
Zerstörung des Flusslebensraums im Ötztal: Venter sowie Gurgler Ache und damit auch die Ötztaler Ache würden bis zu 80 Prozent weniger Wasser führen, Gurgler und Venter Ache zudem über eine Länge von 500 Metern aufgestaut und somit zu einem Stillgewässer. Die Becken müssen regelmäßig von Sanden und Geschiebe – also Steinen und Felsblöcken – freigespült werden. Diese sogenannten Sanderspülungen gehen in Form von kleinen Flutwellen ins Tal, zerstören die darunter liegenden Lebensräume und sind eine Gefahr beispielsweise für Wildwassersportler.
Wasserknappheit verschärft sich dramatisch: Aktuell sind in den Sommermonaten 60 bis 80 Prozent des Abflusses in Venter und Gurgler Ache auf Schnee- und vor allem Gletscherschmelze zurückzuführen. Bereits in den nächsten zehn bis 20 Jahren wird sich diese Wassermenge reduzieren. Bis Mitte des Jahrhunderts dürften die Ötztaler Gletscher größtenteils abgeschmolzen sein, der sommerliche Abfluss damit gänzlich ausbleiben. Schon in zurückliegenden Jahren ist es zu Engpässen in der Wasserverfügbarkeit gekommen. Die Ableitung von bis zu 80 Prozent des Wassers aus dem Ötztal würde diese Problematik extrem verschärfen.
Verlust von Lebensräumen und der Artenvielfalt: Im naturbelassenen Platzertal würden wertvolle Moorlandschaften in der Größe von 6,3 Hektar, nicht nur ein einzigartiger Lebensraum, sondern auch ein wichtiger Kohlendioxidspeicher, unwiederbringlich verschwinden.
Doch einfach „nur dagegen“ zu sein, ist keine Lösung. Vielmehr schaut der Alpenverein, wie Energie gespart oder zumindest mit weniger negativen Auswirkungen auf die Natur gewonnen werden kann. Die beiden Hütten der Sektion Bonn, die Neue Bonner Hütte in den Nockbergen sowie die Bonn-Matreier Hütte zu Füßen des Großvenedigers, gewinnen Strom und Warmwasser zum überwiegenden Teil aus der Kraft der Sonne. Andere versorgen sich mit Kleinwasser- oder -windkraftanlagen.
Den größten Einfluss auf den Energieverbrauch hat aber, das ergab die Auswertung der gesammelten Daten zahlreicher Sektionen, die An- und Abreise zu den Bergsportzielen. Gerade in alpenfernen Regionen (wie bei uns in Bonn) spielt dies eine große Rolle. Denn wenn wir nicht verzichten wollen, sind diese unvermeidbar.
Für uns im DAV ist klar: Wir müssen – auch aus den eingangs angeführten Beispielen – nicht nur über eine Antriebswende (E-Mobilität statt Verbrennermotoren) nachdenken, sondern über eine Verhaltensänderung. Auf der Hauptversammlung 2023 beschlossen die Sektionen mehrheitlich eine Selbstverpflichtung fürs Tempolimit: Maximal 120 Stundenkilometer auf Autobahnen und Tempo 80 außerorts. Das reduziert den Kohlendioxidausstoß nicht nur direkt, sondern indirekt: Die Reise mit dem Zug oder anderen Öffentlichen Verkehrsmitteln (das ist oft einfacher und komfortabler als man glaubt, wie ein Klick auf www.alpenverein.de/thema/anreise verrät) wird so auch zeitlich attraktiver. Ein weiterer Vorteil: Streckenwanderungen sind so sehr einfach zu planen, man muss sich keine Gedanken um die Parkplatzsuche oder die Rückkehr zum Auto machen. Und auch ein kühles Bier nach dem Gipfelerfolg lässt sich so mit gutem Gewissen genießen.
Wo die Nutzung des Pkw unausweichlich scheint, appellieren wir für die Bildung von Fahrgemeinschaften (beispielsweise über die Plattform des DAV Summit Clubs www.moobly.de). Wir empfehlen, weniger oft zu verreisen, dafür längere Aufenthalte am Urlaubsort einzuplanen.
Unter Beachtung all dieser Aspekt wird ein Miteinander von Bergsport, Natur- und Klimaschutz – so unterschiedlich die Anforderungen auf den ersten Blick scheinen – doch möglich. Wir freuen uns, wenn Sie mitmachen!
Weitere Infos:
WWF-Petition gegen die Ausbaupläne im Kaunertal
Nein zum Ausbau des Kraftwerks Kaunertal – WWF Österreich
Video des DAV: „Pumpspeicher statt Tal? Warum der Ausbau vom Kraftwerk Kaunertal nicht ‚grün‘ ist/Platzertal Tirol“
Pumpspeicher statt Tal? Warum der Ausbau vom Kraftwerk Kaunertal nicht „grün“ ist / Platzertal Tirol
Naturkundliche Wanderungen im Nationalpark Eifel der DAV-Sektion Bonn
Sa., 29.06.2024
Sommer im Hetzinger Wald
ca. 16 km, ca. 420 Hm im Auf- und Abstieg,
Gehzeit: ca. 4,5 Stunden
Anmeldung: bis Mittwoch, 26.06.2024
beim Naturschutzreferent: Björn Langer,
bjoern.langer@dav-bonn.de
Der Hetzinger Wald im Norden des Nationalparks Eifel wird durch Eichen geprägt. An den Bachläufen lohnt es sich, nach Spuren des Bibers Ausschau zu halten.
Sa., 09.11.2024
Herbst auf dem Kermeter
ca. 23 km, ca. 470 Hm im Auf- und Abstieg,
Gehzeit: ca. 6 Stunden
Anmeldung: bis Mittwoch, 06.11.2024
beim Naturschutzreferent: Björn Langer,
bjoern.langer@dav-bonn.de
Vom Kloster Mariawald führt der Weg durch die vom Herbstlaub bunt gefärbten Wälder zum „Erlebnisraum Wilder Kermeter“, einem barrierefreien Naturlehrpfad. Später genießen wir von der Hirschley aus den Blick auf die Rurtalsperre, den zweitgrößten Stausee Deutschlands.
Kontakt
Geschäftsstelle des Sektion Bonn des
Deutschen Alpenvereins
Gottfried-Claren-Straße 2
53225 Bonn
Geschäftszeit:
jeden Mittwoch von 17 bis 21 Uhr
Tel.: 0228/4228470 (nur während der Geschäftszeit, sonst Anrufbeantworter)
E-Mail: info@dav-bonn.de
Internet: www.dav-bonn.de
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