Solarstrom in der Landwirtschaft
Auf dem Biohof der Nachtweys im rheinland-pfälzischen Gelsdorf läuft derzeit das deutschlandweit erste Forschungsprojekt zum »Agri-PV-Obstbau«, das von BayWa r.e. und dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme zusammen mit weiteren Forschungspartnern geleitet wird. Hier soll parallel zur Apfelernte eine Leistung von 258 kWp erwirtschaftet werden. Gefördert wird es durch das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie und Mobilität des Landes Rheinland-Pfalz (MKUEM) und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL).
M. Alessandra Moog
Der Versuchsaufbau
Seit April 2020 wird ein neues »Resilienzkonzept zur Anpassung an den Klimawandel« erforscht: Neben Gala, Elstar und Braeburn wachsen auf dem Biohof der Nachtweys fünf weitere bekannte Apfelsorten unter Solarmodulen. Die Bäume stehen auf insgesamt rund 3.500 Quadratmetern Versuchsfläche, jeweils unter anderen Schutzvorrichtungen, die den Vergleich ermöglichen: unter einem einfachen, nicht regendurchlässigen Folienschutz, unter einem regendurchlässigen Hagelschutz, unter festinstallierten, nicht regendurchlässigen Photovoltaikmodulen mit 12 bis 14 Grad Neigung sowie unter einer dynamischen Variante von PV-Modulen, die mit dem Sonnenlauf schwenkbar und deshalb bei Bedarf regendurchlässig sind. Sieben Wetterstationen auf dem Gelände erfassen Variablen wie Starkregen, Hagel, Frost und extreme Temperaturen – Wetterextreme, die in den letzten Jahren zugenommen haben. Alle Daten werden voraussichtlich bis März 2025 vom Fraunhofer Institut untersucht, um die Effizienz der Agri-PV-Anlage zu bewerten.
Dezentrale Versorgungssicherheit
»Der Apfelanbau, also die Gesundheit der Bäume und der Ernteertrag, müssen dabei im Vordergrund bleiben.« betont Christian Nachtwey und lässt seinen Blick von den Stämmen hinauf in die Panele wandern. Die Stromerzeugung aus Solarenergie sei ein Plus, dürfe aber nicht zum Hauptfokus werden. »Es soll nicht darum gehen, nur die maximale Stromausbeute zu sehen. Dann könnte man die Panels gleich als Solarpark im Gewerbegebiet anmelden. Wir müssen die Attraktivität dieser Kombination speziell für Landwirtinnen und Landwirte herausstellen, denn es ist wichtig, dass wir in Deutschland auch in Zukunft Lebensmittel selbst produzieren.« Gerade in Zeiten von Knappheit und Teuerung hält Nachtwey eine regionale Lebensmittel- und Stromproduktion für bedeutsam, weil sie Sicherheit und Unabhängigkeit gewährleistet. Dazu kommen kurze Transportwege von der Plantage zu den Haushalten – ein Vorteil gegenüber Fernstromzentralen und Äpfeln aus Neuseeland, die mit großer Emissionslast zum Verbraucher befördert werden. Für Biobauer Nachtwey ist klar: Es braucht landwirtschaftliche Fläche, um Familienbetriebe zu stärken und nebenbei Ökostrom zu erzeugen.
Die Vorteile der Agri-PV
»Beides ist wichtig, die Ernte und der grüne Strom. Und beides kann einander begünstigen. Baum und Panel gehen sozusagen ein symbiotisches Verhältnis ein, sie dienen einander: Der Regenschutz durch das Panel schützt gegen Pilzbefall an den Äpfeln. Regentropfen treffen nicht mehr nah am Stamm auf, sodass weniger Sporen vom Boden rückgeschleudert werden. Für das Panel bedeutet der Standort über dem Baum den Vorteil, dass dies einen kühlenden Effekt hat. Das fördert die Haltbarkeit des Materials. Gleichzeitig bewirkt der Kühleffekt, dass die Panels mehr Strom-Output bei einer geringeren Modulanzahl erreichen.« Die Agri-PV-Anlage steht auch in Beziehung mit der Umgebung, denn das Wildleben profitiert davon. Die Anlage ist nach allen Seiten offen und ein Wasserbecken für Säugetiere, wie zum Beispiel Füchse, wurde integriert. Sie dürfen sich gern frei bewegen und die Wühlmäuse auf dem Gelände jagen. Das schützt auch die Stämme und Wurzeln der Apfelbäume.
Installation und Nutzung
Die Nachtweys verbrachten Wochen mit Bürokratie, um das Projekt starten zu können. »Diese PV-Anlage fällt unter die Rechtsnorm ›Bauen im Außenbereich‹. Zudem ist Agri-PV teuer, weil Anlagen (noch) nicht genormt sind. Das wird sich mit der Zeit verbessern.« sagt Christian Nachtwey optimistisch. »Wir wollen herausfinden, welche Standards es braucht, damit sich PV und Anbau vertragen.« Die Investitionssumme für die Anlage darf er uns derzeit nicht verraten. »Aber um Ihnen eine Größenordnung zu geben: Hagelschutznetze kosten 25.000 – 30.000 Euro pro Hektar, Folienschutz 50.000 – 60.000 Euro. Das Material verschleißt mit den Jahren und gibt Ihnen nichts zurück. Zwar ist die Agri-PV-Anlage in Kauf und Installation teurer, sie amortisiert sich aber nach ca. 10 Jahren und von Anfang an liefert sie Strom. Unsere Anlage kann 60 Haushalte versorgen.« Der landwirtschaftliche Betrieb wird den Strom auch selbst nutzen, z.B. für das Kühlhaus und die Bewässerungsanlage. Und wie wird der Solarstrom gespeichert? Diese Frage ist noch offen. Christian Nachtwey spricht sich für Wasser als Speichermittel aus, das in Tanks warmgehalten wird.
Der Biohof als Labor
Der Bio-Apfelhof Nachtwey stellt sich mit dieser ersten Agri-PV-Anlage in den Dienst der Wissenschaft. Für die Bepflanzung und Baumpflege sowie den großen bürokratischen Aufwand gibt es eine Aufwandsentschädigung und eine kleine Pacht für die Versuchsfläche. Als zentral hebt Nachtwey den Informationsgewinn für die Baumpflege hervor. »Äpfel durften wir diesen Sommer auf der Versuchsfläche nicht für uns oder den Verkauf ernten. Jeder einzelne Apfel wird genau untersucht, abgemessen und gewogen. Hier wird akribisch Forschung betrieben,« erzählt er. Und diese Gründlichkeit sei wichtig, denn die Agri-Solaranlage bringe potenziell Veränderungen in jede einzelne Variable des Apfelanbaus. Mit Blick auf den Kulturschutz muss sorgfältig vorgegangen werden. Je nach Sorte und Standortbedingungen ändern sich die Bedürfnisse der Pflanzen.
Insekten in der Agri-PV
In einer niederländischen Schwesteranlage wurden bereits erfolgreich Heidelbeeren unter Solarmodulen angebaut. Der Apfelanbau in Kombination mit Stromgewinnung scheint auf einem guten Weg. Trotzdem rücken bestimmte Baustellen in den Blick. Müssen Insekten in der Agri-Photovoltaik in den sauren Apfel beißen? »Insekten, die unter anderem wichtig für die Bestäubung der Äpfel sind, orientieren sich an der UVA- und UVB-Strahlung,« weiß Christian Nachtwey. Die Photovoltaikmodule aber schränken diese ein. »Es werden wahrscheinlich weniger Bienen kommen. Womöglich können Hummeln diese Nische füllen und ihre Aktivität übernehmen.« Auf den breiten Streifen zwischen den Apfelbäumen lässt er insektenfreundliche heimische Wildblumen wachsen.
Agri-PV als Zukunftsmodell
In Sachen Ästhetik beeinflusst die Agri-PV das Landschaftsbild weniger stark als Solarparks, die große Flächen bodennah verstellen. Über den Wipfeln der Obstbäume sind die Panels weniger auffällig. Zudem sind sie womöglich ansehnlicher als ein konventioneller Folienschutz und könnten somit Akzeptanz vonseiten der Bevölkerung gewinnen. Vielleicht wird dieses Gelände künftig viele Menschen mit Strom und guten Äpfeln versorgen. Agri-PV hat Zukunftspotenzial. »Länder geben Unsummen für Ernteausfälle aus. Es wäre besser, sinnvoll zu investieren – und dabei gleichzeitig Strom zu gewinnen.« Von Agri-PV für die Selbstversorgung mit Strom und Ernte hält der Bio-Bauer wenig. Die aufwendige Konstruktion lohne sich derzeit nur hektarweise. Es ist möglich, dass sich dies mit zunehmender Standardisierung ändert.
Agri-Photovoltaik: Chance für Landwirtschaft und Energiewende
Agri-Photovoltaik (Agri-PV) bezeichnet ein Verfahren zur gleichzeitigen Nutzung landwirtschaftlicher Flächen für die Nahrungsmittelproduktion und die PV-Stromerzeugung. Die installierte Agri-PV-Leistung stieg weltweit von zirka fünf Megawatt (MW) im Jahr 2012 auf rund 2,9 GW in 2020, wobei China mit zirka 1,9 GW installierter Leistung den größten Anteil hält. Das technisch erschließbare Agrophotovoltaik-Potenzial in Deutschland wird auf 25 bis 50 GWp geschätzt.
Das im Artikel vorgestellte Forschungsprojekt beschäftigt sich mit der gesellschaftlichen Befürwortung und Sozialverträglichkeit solcher Agri-PV-Projekte. Bürgerveranstaltungen tragen dazu bei. Ein Leitfaden nach Abschluss des Projektes 2025 kann möglicherweise auftretende Konflikte (Landnutzung, Verteilung, Prozessgerechtigkeit) zwischen den vielfältigen Akteuren erörtern oder wie solche Anlagen in den kommunalen Klimaschutzplan eingebettet werden können.
Quelle: Zum Teil aus www.energie-experten.org/
Super Projekt, danke