Schau mal, was da wächst

Gartenarbeit ist seit Tausenden von Jahren ein fester Bestandteil der menschlichen Gesellschaft. Ein Garten ist immer auch ein Nutzgarten gewesen, von der Gemeinschaft und für die Gemeinschaft, mit Anbau von Obst, Gemüse und Kräutern, zwecks Ernährung, Existenzsicherung und Tausch. In jüngster Zeit entstanden weltweit Gemeinschaftsgärten, die neben der Herstellung gesunder Lebensmittel auch soziale und politische Ziele haben: Umwelt- und Naturschutz, soziale Gerechtigkeit, Demokratie und Frieden.


Esther und Andreas Reinecke-Lison


Gärten und Menschen

Garten der Demokratie Mannheim
Foto: Naturfreunde Mannheim

Schon in der Antike gab es Gemeinschaftsgärten zur Ernährung der Bevölkerung. Im 19. Jahrhundert führten Industrialisierung, Bevölkerungswachstum und Verstädterung zu großen ökonomischen und sozialen Veränderungen. Menschen strömten vom Land in die Städte, fanden dort Arbeit in Fabriken, aber wenig Platz für Gärten. Ungesunde Arbeits- und Wohnverhältnisse und Umweltverschmutzung minderten die körperliche und geistige Gesundheit.
Um Antworten auf die „soziale Frage“ zu finden, entstanden bis Anfang des 20. Jahrhunderts Armengärten, Kleingärten (Schrebergärten), Arbeitergärten des Roten Kreuzes und Gleisanlagen-Gärten der Bahn, zur Selbstversorgung, Erholung und Stärkung der Gemeinschaft. Der Staat förderte den Ausbau von Nutzgärten für den eigenen Bedarf (Gesetz zum Schutz des Gartens 1919). Gartenstadt-Siedlungen entstanden auf Flächen in genossenschaftlichem Besitz, geschützt vor Spekulanten (Beispiel: „Tuschkasten-Siedlung“ Berlin). Während der Weltkriege des 20. Jahrhunderts waren Gärten für die Nahrungsmittel-Versorgung unverzichtbar.
In der Nachkriegszeit überwiegten im Osten Deutschlands Kleingartenkolonien zur Lebensmittelproduktion, während sich im Westen der private Garten mit pflegeleichtem Rasen und Zierpflanzen durchsetzte. Als Reaktion auf die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion und steigende Umweltbelastungen traten seit den 1980er-Jahren wieder Nutzgarten-Aspekte in den Vordergrund, jetzt ergänzt um die Sorge um Natur und Umwelt. In jüngster Zeit wurden weltweit Gemeinschaftsgärten populär, die neben der Herstellung gesunder Lebensmittel auch soziale und politische Ziele haben: Förderung der sozialen Gerechtigkeit, der Demokratie und des Friedens.

Nutzen von Gemeinschaftsgärten

Es gibt Vorteile von Gemeinschaftsgärten auf vielerlei Ebenen. Gemeinschaftsgärten:

  • fördern das körperliche und allgemeine Wohlbefinden, bauen Stress ab,
  • sind Orte des Lernens und der Bildung über Natur und Umwelt. Sie fördern die Fähigkeit zur Teamarbeit, Kommunikation, Problemlösung und Toleranz. Sie fördern die Entwicklung der eigenen Person, besonders im Fall von Kindern, durch Beobachtung und Bewegung im Freien,
  • ersparen den Menschen durch selbst hergestellte Lebensmittel Ausgaben. Lokale Arbeitsplätze werden durch den Anbau und Verkauf der Lebensmittel geschaffen,
    bieten Lebensraum für Pflanzen und Tiere. Sie verbessern die Luftqualität, kühlen das Stadtklima und speichern Regenwasser. Sie fördern einen verantwortlichen Umgang mit Natur und Umwelt,
  • stärken das Gemeinschaftsgefühl und fördern Solidarität. Sie bieten Möglichkeiten für den Austausch zwischen Generationen und Kulturen und die soziale Integration,
  • sind eine neue Form politischer Teilhabe und Einflussnahme. Infrage gestellt werden die ökonomischen Strukturen und Mechanismen des Marktes herkömmlicher Art. Im demokratischen Raum werden Ziele diskutiert, aufgestellt und umgesetzt. Diese aktive Teilhabe an politischen Prozessen und Entscheidungen im Kleinen bildet einen Grundpfeiler der Demokratie insgesamt.

Nach der Vorstellung eines Gemeinschaftsgartens in Bonn-Schwarzrheindorf (siehe BUZ 4-2021) wollen wir nun Gemeinschaftsgärten aus aller Welt skizzieren, in denen diese Aspekte umgesetzt werden.

Solidarität und Gemeinwohl

Brasilien: Manguinhos, eine der größten Favelas von Rio de Janeiro, ist durch Verwahrlosung gezeichnet. Polizei und Drogenbanden liefern sich dort Schusswechsel. Umso überraschender ist es, hier einen Gemeinschaftsgarten zu finden.
Die Stadtverwaltung von Rio entschied 2006, innerstädtische Flächen wie diese zu einem Beispiel für urbanen Wandel zu machen. Mit dem Programm „Hortas Cariocas“ (Gärten von Rio) werden soziale Brennpunkte zurückgewonnen, Arbeitsplätze geschaffen, gesunde Lebensmittel günstig produziert und Kinder geschult.
Der Garten in Manguinhos wurde 2013 angelegt, er gilt als der größte innerstädtische Gemüsegarten Südamerikas, vier Fußballfelder groß. Die Gärtner*innen werden von der Stadt eingestellt und bezahlt. Eingestellt werden Arbeitslose, Alte oder Menschen aus prekären Verhältnissen. Sie gewinnen durch die Gartenarbeit neuen Lebensinhalt. Ein 22-jähriger, der sich mit 13 Jahren einer Drogengang anschloss, schwingt nun keine Pistole, sondern einen Gartenschlauch. Er sagt: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal als Gärtner tauge. Es macht mich glücklich, etwas zu pflanzen, es wachsen zu sehen und zu ernten.“ Alle Gärtner*innen werden im Öko-Anbau geschult, es werden weder Kunstdünger noch Pestizide verwendet.
Das Programm sieht vor, nach Entnahme eines Eigenanteils die Lebensmittel in der Favela günstig zu verkaufen oder an Bedürftige zu verteilen, in Manguinhos etwa zwei Tonnen pro Monat. Damit haben Menschen die Chance, sich gesund und ausgewogen zu ernähren, was in Brasilien sonst das Privileg der Wohlhabenden ist. 2020 wurde „Hortas Cariocas“ in die UN-Liste mit Projekten aufgenommen, die essenziell helfen, die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung bis 2030 zu erreichen.

Bolivien: La Paz, die Hauptstadt von Bolivien, ist seit den 1950er-Jahren auch durch Landflucht um über 600 Prozent auf knapp 2.000.000 Einwohner gewachsen. Zwei von sechs Einwohnern leben in Armut, die Menschen sind schlecht ernährt.
Vor diesem Hintergrund entstand die Fundación Alternativas, „um das Recht auf gesunde Ernährung zu gewährleisten“, erklärt Gründerin María-Teresa Nogales. Auf Terrassen an einem Berghang hat die Organisation 2014 den Gemeinschaftsgarten „Huerto Orgánico Lak‘a Uta“ gegründet.
Hier, 3600 Meter über dem Meeresspiegel, gärtnern 40 Familien, unterstützt von Fachleuten und Freiwilligen, Kindern und Jugendlichen. Beobachtet wurde ein kleiner Junge, der mit einer Dose voller Wasser herumflitzte und stolz verkündete: „Gießen! Ich muss jetzt gießen!“ Frauen gewinnen Selbständigkeit und Anerkennung durch selbst angebaute Produkte, die zum Familieneinkommen beitragen. Das Motto ist „cultivando comunidades“ („Gemeinschaft anbauen“). Nogales: „Wir wollen Orte des Zusammenlebens gestalten, wo Gegenseitigkeit einen Platz hat, wo soziales Kapital und Sicherheit jenseits der Ernährungssicherung geschaffen wird.“ Aufgrund der positiven Erfahrungen hat die Stadtregierung von La Paz 2018 ein Gesetz zur Förderung von Stadtgärten verabschiedet.

Palästina: 2014 wurde das Palestine Institute for Biodiversity and Sustainability (PIBS) der Universität von Bethlehem geschaffen.Ein Ziel war der Aufbau eines Bildungszentrums für Garten- und Permakultur. Dafür wurden 2018 ein Gemeinschaftsgarten und ein Spielplatz eingerichtet. Im Garten gibt es 30 Bio-Parzellen, die kostenlos genutzt werden können. Familien wird geholfen, ihr eigenes Stück Land im Garten zu bewirtschaften. Das gewonnene Wissen soll für die Begrünung eigener Flächen und eine nachhaltige lokale Wirtschaft genutzt werden. Der Spielplatz ermöglicht Kindern Spiel und Bewegung im Freien, was nicht zuletzt denen zugutekommt, die Gewalt, Unsicherheit und Entbehrung in Palästina erlebt haben.
Es gibt wöchentlich Bildungskurse für Kinder, damit sie die Bedeutung von Naturschutz und biologischer Vielfalt verstehen lernen. Mit der Bepflanzung eines Gemeinschaftsgartenbeets werden sie für Lebensmittelanbau interessiert. Mazin Qumsiyeh, Gründer und Direktor des Instituts, wurde für den Friedensnobelpreis 2025 nominiert, in Anerkennung seines Einsatzes für Frieden, Gewaltlosigkeit und ökologische Nachhaltigkeit.

Demokratie

Seit ihrer Gründung 1895 in Wien treten die NaturFreunde für eine Gesellschaft ein, in der alle Menschen gleichberechtigt miteinander in Frieden leben können und eine solidarische Gemeinschaft bilden, für eine gerechte und ökologisch verträgliche Welt. Die „Gärten der Demokratie“ der NaturFreunde verbinden „naturfreundliche Freizeitgestaltung mit politischen Fragen der Zeit“ und wenden sich nicht zuletzt an die Jugend.
Durch das eigene Erleben und Handeln, im Miteinander von Menschen jeden Alters, Geschlechts, sozialen Hintergrundes und jeder Herkunft werden in diesen Gärten Werte der Solidarität, Vielfalt und Toleranz in einer demokratischen Gesellschaft vermittelt. Der erste NaturFreunde-Garten dieser Art entstand 2021 in Frankfurt/Main. Weitere „Gärten der Demokratie“ gibt es in Karlsruhe, Mannheim, Stuttgart und auf dem Feldberg.

Frieden

Die private „Initiative Friedensgärten“ möchte Gärten aller Art und Größe, vom Balkonkasten über Obstgärten bis zum Kindergarten als Friedensgärten verstehen: Als „stille Allianz“, um die Zukunft künftiger Generationen zu sichern und um an den Frieden zu erinnern: „Jeder Ort bildet in sich eine respektvolle Alternative zum Raubbau von Krieg und Gewalt, Spaltung und Wachstumsgier. Er erzählt von einer Kultur des Wohlwollens und gemeinsamen Wachsens.“ „Friede ist Konflikt, der mit besseren Mitteln ausgetragen wird“ (Gudrun Kramer, GIZ Bonn).

Aussicht

Aufgrund der weltweiten Tendenz der Verstädterung und des Bevölkerungswachstums wird das Zusammenleben der Menschen künftig vorrangig im urbanen Raum stattfinden. Das Konzept städtischer Gemeinschaftsgärten ist daher weltweit ein zukunftsweisender Ansatz, um

  • in einem produktiven und belebenden Umfeld das Miteinander zu fördern und unterstützen,
  • Toleranz, Gerechtigkeit und Frieden zwischen den Menschen zu stiften,
    ein Umdenken im sozialen, politischen und wirtschaftlichen Bereich herbeizuführen,
  • als Orte konstruktiver Ideen zur „kleinen“ Rettung der Erde beizutragen.

Das dahinterstehende Politikverständnis beruht nicht auf den üblichen Mechanismen der Macht, sondern dem der Partizipation, die Teil der Demokratie ist: Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen. Kurzum: „Eine andere Welt ist pflanzbar.“
„Gemüseanbau ist Ausgangspunkt politischen Handelns für die, die den ungenierten Zugriff auf die Ressourcen der Welt in Frage stellen. Sie gärtnern, um praktisch zu zeigen, wie es besser laufen könnte. Sie fangen schon mal an“ (Christa Müller, anstifung München).

Informationsquellen (Auswahl):

Pleines, F./Schilke, I.: Ist Urban Gardening politisch?, 2013 // Müller, C. (Hg.): Urban Gardening, 2011 // Arbeitsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW): Ausst.„Gärten der Solidarität“ // greenpeace.ch/ grüne Oase der Favela // alternativascc.org/laka uta // bethlehem.edu/pmnh // naturfreunde-wurttemberg.de/gaerten demokratie // friedensgaerten.net // wissen.urbane-gaerten.de

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