Gentechnik kommt durch die Hintertür
Gentechnisch veränderte Organismen in Lebensmitteln hatten in Deutschland schon immer einen zweifelhaften Ruf. Deshalb ist zum Beispiel entsprechend manipuliertes Saatgut bei uns seit 2012 verboten und was dennoch über Importe in die EU gelangt, unterliegt einer strengen Kennzeichnungspflicht. Bei Bioprodukten sei man sowieso auf der sicheren Seite – meint man. Dabei gibt es etliche Schlupflöcher. Und auch neue, angeblich risikoarme gentechnische Verfahren wie die sogenannte Genschere beginnen sich zu etablieren. Grund genug, einen genaueren Blick in die Labore zu werfen.
Der Evolution auf die Sprünge zu helfen, das heißt, gewünschte Eigenschaften in der Pflanzen- und Tierproduktion bevorzugt zu vermehren, ist ein jahrtausendealtes Thema. Die stolzen Augen des Geflügelzüchters angesichts eines prächtigen Kölner Tümmlers oder die der italienischen Biobäuerin vor einem Korb besonders aromatischer samenfester Tomaten: ihre gemeinsame Triebfeder sind robuste Arten, Ertragsreichtum – und letztlich auch Schönheit.
Bei der klassischen Züchtung werden die Erb- eigenschaften in einem kontinuierlichen, aber wandelbaren Erbstrom über die Generationen weitergegeben und über Selektion optimiert (übrigens wird die Erzeugung von Mutationen mittels radioaktiver Bestrahlung in einigen Quellen auch den klassischen Züchtungsmethoden zugerechnet). Im Unterschied dazu isolieren gentechnische Verfahren nur einzelne Bestandteile der DNA als Träger gewünschter Eigenschaften, die dann artübergreifend in verschiedene Empfänger eingebaut werden können. Erbmaterial eines Bodenbakteriums, in Futterpflanzen montiert, soll beispielsweise zu Schädlingsresistenzen führen. Der Vorteil gegenüber herkömmlichen Verfahren: Veränderungen lassen sich rascher und großflächiger erzielen.
Wie kommt Gentechnik ins Essen?
Obwohl die Verwendung gentechnisch veränderten Saatgutes in Deutschland verboten ist, gelangen über Importe transgene Pflanzen wie Mais, Raps und Sojabohnen in die hiesige Lebensmittelproduktion, zur Zeit hauptsächlich über das Tierfutter. Das allein weckt bereits Unbehagen. Aber darüber hinaus steckt das „Teufelchen“ auch hier im sprichwörtlichen Detail, denn zwischen dem Korn vom Acker oder der Milch aus dem Stall bis zum Konsumenten liegt ein längerer Verarbeitungsweg. Und damit kommt das Thema Zutaten und Zusatzstoffe ins Spiel. Hier können Lebensmittel auch bei uns über unterschiedlichste Beigaben mit Gentechnik in Berührung kommen.
Variante 1: Einem Lebensmittel wird direkt ein gentechnisch veränderter Organismus zugesetzt (z. B. in Form von Lebendkulturen im Joghurt).
Variante 2: Das Lebensmittel enthält eine Zutat, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen gewonnen wird (zum Beispiel Rapsöl aus Gen-Raps).
Variante 3: Bei der Lebensmittelproduktion werden Enzyme und Verarbeitungshilfen aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen wie Bakterien und Hefen eingesetzt (zum Beispiel zum Bierbrauen oder filtrieren von Wein, Bier und Säften).
Variante 4: Das Lebensmittel wird mit Zusatzstoffen wie Aromen, Vitaminen, Süßstoffen und Geschmacksverstärkern angereichert, die aus gentechnisch veränderten Mikroorganismen gewonnen wurden.
Und für Vieles gibt es keine Kennzeichnungspflicht, aber dazu im Folgenden mehr.
Zulassung und Kennzeichnung
Lebens- und Futtermittel, die aus gentechnisch veränderten Organismen bestehen oder daraus hergestellt werden, benötigen innerhalb der EU eine Marktzulassung. Das Zulassungsverfahren führt in einem ersten Schritt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), die die Unbedenklichkeit für Menschen, Tiere und die Umwelt prüft. Schließt der Antrag auch eine Anbauzulassung ein, wird zusätzlich die europäische Freisetzungsrichtlinie zu Rate gezogen. Zulassungspflicht gilt auch für Zutaten und Enzyme, nicht jedoch für Zusatzstoffe. Sie gelten als mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellt und fallen nicht unter das Gentechnik-Recht der EU.
Im nächsten Schritt ist die EU-Kommission am Zug. Schließt sie sich dem Votum der EFSA an, haben die Mitgliedsstaaten das Wort. Sie können mit qualifizierter Mehrheit (55 % der Staaten und 65 % der repräsentierten Bevölkerung) dem Entscheidungsvorschlag zustimmen oder ihn ablehnen. Kommt eine qualifizierte Ablehnung nicht zustande, wird der Kommissionsvorschlag umgesetzt. Am Rande: dies ist EU-üblich, nicht nur im Bereich Gentechnik.
Bei der Umsetzung in nationales Recht sind bei diesem Themenkomplex Sonderwege möglich. So ist der in der EU zugelassene Mais MON 810, der auch in Deutschland bis 2011 auf kleinen Flächen angebaut wurde, mittlerweile bei uns wie jegliches gentechnisch veränderte Saatgut von der Aussaat ausgeschlossen. Dafür bringen die USA, Brasilien, Argentinien, Kanada und Indien umso massiver gentechnisch veränderte Pflanzen in den Lebensmittel- und Futterhandel: 77 % der weltweit kultivierten Sojabohnen stammten 2017 aus Gentechnik-Anbau, 32 % waren es bei den Maiserträgen. Und wie erkennen die Konsument*innen, was davon auf ihrem Teller landet?
In der EU müssen alle Lebensmittel, die gentechnisch veränderte Bestandteile enthalten, gekennzeichnet sein, allerdings nur, wenn ein Anteil von 0,9 Prozent überschritten wird. Auch für Futtermittel gilt eine Kennzeichnungspflicht, die jedoch für Endverbraucher*innen nicht zwangsläufig transparent ist. Enzyme (auch wenn sie eine Zulassung durchlaufen haben), Vitamine, Geschmacksverstärker und andere Hilfsstoffe müssen weder in Lebensmitteln noch in Futtermitteln deklariert werden. Dies alles führt in Summe dazu, dass nach Schätzung von Branchenexpert*innen 70 % aller gehandelten Lebensmittel mit nicht kennzeichnungspflichtigen gentechnischen Anwendungen in Berührung kommen.
Der Wert der Siegel
Seit 2009 gibt es in Deutschland das freiwillige staatliche Siegel „ohne Gentechnik“. Für rein pflanzliche Produkte geht es tatsächlich über die EU-Deklarationspflicht hinaus, da nicht einmal Spuren von genveränderten Stoffen im Lebensmittel enthalten sein dürfen (zum Beispiel in einem Soja-Mais-Burger mit Rapsöl). Dies ist nicht garantiert für tierische Lebensmittel wie Eier, Milch und Fleisch, da für Futtermittel auch mit Siegel erneut die schwächere 0,9-Prozent-Regel gilt. Weitere Aufweichungen: Auch gentechnisch höher angereichertes Futter ist nur in einem mehrwöchigen Zeitraum (abhängig von der Tiersorte) vor der Schlachtung bzw. dem Eierlegen verboten und Hilfsstoffe aus gentechnisch veränderten
Mikroorganismen dürfen auch hier den Futtermitteln zugesetzt werden.
Und was leisten das deutsche und das EU Bio-Siegel? In der ökologischen Landwirtschaft ist der bewusste Einsatz von Gentechnik verboten, für zufällige oder technisch unvermeidbare Beimengungen gilt aber wieder die 0,9-Prozent-Regel. Und die üblichen Verdächtigen wie genmanipulierte Enzyme und Vitamine sind zwar grundsätzlich nicht erlaubt, außer: wenn die EU diese Stoffe in ihrer Ökoverordnung ausdrücklich vorsieht oder keine gentechnikfreie Alternative zur Verfügung steht (sagen wir, in Bayern würde die „saubere“ Brauhefe ausgehen). Die Verbände Bioland und Demeter folgen im Wesentlichen der beschriebenen Linie.
Warum die Skepsis?
Bei der Vielzahl an Verheissungen des Gentechnikeinsatzes wie Erntesicherung, Nährwertverbesserung und Geschmackssteigerung bleiben Umweltverbände und Verbraucher skeptisch. Obwohl nach bisherigem Kenntnisstand gentechnisch veränderte Nahrungsbestandteile nicht akut toxisch wirken, können allergische Reaktionen nicht ausgeschlossen werden. Wenn Proteine in die Nahrungskette gelangen, die in dieser Form bisher nicht Bestandteil der menschlichen Ernährung waren, bekommt möglicherweise selbst der „Allesfresser“ Mensch ein Problem. Im Rahmen der Zulassungsverfahren werden die Auswirkungen der veränderten Proteine auf Ratten und Mäuse entlang der gängigen Allergieschemen getestet. Der Schritt in die Ladenregale ist jedoch nach Ansicht des BUND ein Großversuch außerhalb des Labors im menschlichen Magen.
Weitere Bedenken bestehen hinsichtlich der als Marker in der Produktion eingesetzten Antibiotikaresistenzgene. Im Rahmen der Endkontrolle sterben auf einer Antibiotikalösung diejenigen Proben ab, bei der der Einbau der veränderten DNA inklusive Marker nicht erfolgreich war. Da negative Auswirkungen auf die Prozesse im menschlichen Darm durch so zugeführte Antibiotikaresistenzgene im Raume stehen, soll künftig mit anderen Verfahren der Erfolgskontrolle gearbeitet werden.
Der sogenannte Quantensprung
Als regelrechter Quantensprung in der Gentechnik wird das Genom-Editing gepriesen. Die wohl bekannteste Anwendung ist die Genschere CRISP/Cas9. Sie arbeitet mit einer Sonde, die die zu manipulierende DNA-Sequenz aufspürt, und einem molekularen Werkzeug, nämlich der Schere, die den DNA-Doppelstrang an der angepeilten Stelle auftrennt und dabei Bestandteile abschaltet, einfügt oder austauscht. Der Eingriff erfolgt bei „sachgerechter Ausführung“ angeblich hoch präzise und außerdem: die Werkzeuge werden nach der Operation nach den Regeln der Mendelschen Gesetze wieder ausgekreuzt, sodass die neue Pflanze im Ergebnis von einer natürlichen Mutation nicht zu unterscheiden ist. Forscher*innen der Universität Gießen ist es damit gelungen, mehltauresistenten Weizen zu züchten.
Aber es gibt auch kritische Stimmen. Denn die Vorteilsfaktoren „einfach zu handhaben“ und „kostengünstig“ können als Kehrseite der Medaille auch zu Produktionsstrukturen führen, bei denen Sicherheitsaspekte nicht im Vordergrund stehen und in die sich daher Unachtsamkeit bis hin zu Missbrauch einschleichen können. Zur Zeit gelten für so erzeugte Pflanzen in der EU die gleichen Zulassungs- und Deklarationsvorschriften wie für alle gentechnisch veränderten Organismen; die europäischen Züchter*innen verlangen jedoch aus Wettbewerbsgründen eine Lockerung der Vorschriften. Bis April 2021 hat die Europäische Kommission einen Bericht hierzu angekündigt.
Der Verharmlosung begegnen
Anlässlich der Grünen Woche warb Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner dafür, das „enorme Innovationspotential“ der neuen Gentechniken auch in Deutschland zu nutzen. Die Umweltverbände bemühen sich hingegen, diese Euphorie einzufangen. Sie dringen darauf, dass künftig keine vereinfachenden Regelungen für In- strumente wie die Genschere am Markt gelten dürfen und die bestehende Gentechnik-Regulierung der EU für Zulassung und Kennzeichnung ihre volle Gültigkeit behält. Wir werden uns den Punkt als Prüfstein für kommende Wahlen merken.
Erschienen in der Ausgabe März/April 2020
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