Schauspiel zum Thema „Klimakrise und Flucht“

Im Godesberger Schauspielhaus ist in dieser Saison das Stück „216 Millionen“ von Lothar Kittstein zu sehen. In dem von Volker Lösch inszeniertem Stück über Fluchtursachen und Migrationspolitik spielen Flüchtlinge zusammen mit Schauspieler*innen des Bonner Ensembles.


Carmen Planas


Vorhang auf für die 216 Millionen Menschen, die Modellierungen der Weltbank zufolge bis 2050 wegen des Klimawandels ihre Heimat verlassen werden müssen.
Vier Flüchtlinge stehen auf der Bühne und erzählen ihre Geschichte, solo und im Chor. Sie rufen dem Publikum ihre Sätze zu, die ungefähr so klingen: Wir hatten damals noch ein gutes Leben. Aber wenn das Wasser kommt, schwemmt es alles weg. Extreme Hitze, extreme Kälte – das macht die Leute kaputt. Zwei Kilometer muss man laufen, um Wasser zu bekommen. Die Korallen sind zerstört. Dann wurde ich abgelehnt. Guinea sei ein sicheres Land. Du kannst nicht sagen, dass du wegen Klima kommst, dann wirst du abgelehnt.
Also, ich weiß nicht, was das sein soll – deutsche Leitkultur. Klimawandel ist der neue Kolonialismus.

„Sonderfluchtkrisenkonferenz“

Das Spielfeld der „Sonderfluchtkrisenkonferenz“
© Matthias Jung

Dann kommt ein riesiger Zaun aus blanken Metallstäben auf die Bühne. Er sieht aus wie ein Käfig und trägt in der Mitte den Sternenkreis der Europaflagge. Hier findet die „Sonderfluchtkrisenkonferenz in Afrika“ eines Ölmagnaten statt. Sechs Figuren klettern rauf und runter, die verschiedene Handlungsfelder bedienen: die Wirtschaft, die Politik, die Wissenschaft, die Menschenrechtsorganisationen, die Aktivist*innen, die Kunst. Und wie Spielfiguren haben alle ihre eigene Farbe. Die blaue Politik ist unverkennbar die Präsidentin der Europäischen Kommission.

„Wer Schutz braucht, bekommt ihn“

Die Anwältin für Menschenrechte in Rot (Sophie Basse), der Wissenschaftler in Grün (Paul Michael Stiehler) und die EU-Politikerin (Lydia Stäubli)
© Matthias Jung

Sie meint, dass Flucht bald kein Thema mehr sein werde, denn schließlich gebe es seit 2024 eine nachhaltige Steuerung der Flüchtlinge. „Wer Schutz braucht, bekommt ihn“, beteuert sie. Das könne allerdings etwas länger dauern und außerhalb von Europa stattfinden. Genüsslich lässt sie sich von der gelben Wirtschaft vögeln und bittet darum, ihre Frisur nicht in Unordnung zu bringen.
Die Aktivistin in Orange ruft: Wehrt euch. Fossile müssen angegriffen werden, mit Steinen, mit Feuer. Die rote Anwältin für Menschenrechte empört sich über die menschenverachtende Migrationspolitik. Die Antwort der EU-Präsidentin: Wir tun ja, was wir können, Mäuschen.

„Ich bin das Catering“

Die grüne Wissenschaft hat „Superscreen“. Es soll die Lösung sein, um die Erderwärmung in den Griff zu bekommen. Doch der Wissenschaftler hat Angst, dass Superscreen in den falschen Händen eine gefährliche Superwaffe sein könnte.
Die Kunst läutet das letzte Drittel ein. „Ich bin das Catering“, ruft der Kunstmann in lila Klamotten und schleift eine in einem Plastiksack verschnürte Leiche hinter sich her. Zum Schluss ist die ganze Bühne voller Leichensäcke, auf denen locker in glitzernder Abendgarderobe , und mit durchdringendem Polit-Smalltalk agiert wird.

Eindringliche Fluchtgeschichten

Die Fluchtgeschichten von Nadia Feyzi und Kayci Feyzi aus Afghanistan und dem Iran, von Pizzar Stanley Pierre aus Haiti und von Sadou Sow aus Guinea bleiben eindringlich im Gedächtnis. Sie prallen auf ein Spielfeld voller Akteure, die größenwahnsinnig, ängstlich, resigniert, hohl oder irre sind. Die Inszenierung setzt auf die Kraft der Stereotype, der Karikatur, der Überzeichnung. In Phrasen werden zahlreiche komplexe Themen rund um Klima und Migration abgearbeitet, laut und schrill.
Es ist eine anstrengende Aufführung, die einiges zumutet. Zu Recht? Einer Thematik geschuldet, die ebenfalls eine Zumutung ist?

Kultur trifft Klimakrise

Welche Rolle hat die Kultur in der Klimakrise? Speziell um diese Frage sollte es in einem Publikumsgespräch nach der Vorstellung vom 28. September im Schauspielhaus gehen. Leider mussten genau diese Vorstellung und damit das Gespräch ausfallen. Mirjam Florio vom Bonner Dezernat Sport und Kultur sollte bei diesem Gespräch dabei sein.
Auf Nachfrage der Redaktion antwortet sie: „… Mit ihren verschiedenen künstlerischen Möglichkeiten und Ästhetiken kann die Kultur in ganz besonderer Weise Krisen darstellen, Diskurse ankurbeln und gleichermaßen positive Utopien entwerfen. Dadurch werden ihre Besucher*innen emotional mit dem jeweiligen Thema verbunden und im besten Falle zum Umdenken ‚bewegt‘. Über diesen ihnen eigenen kommunikatorischen Hebel können die Kultureinrichtungen über das Medium Kunst und Kultur zur gesellschaftlichen Transformation beitragen.“

Wie viel Komplexität ist möglich?

Das Thema „Klimawandel“ kommt immer mehr auf den deutschen Bühnen an. Welche Darstellungsformen sich speziell dafür eignen, und wie viel Komplexität sich vermitteln lässt, darüber forscht derzeit der Regisseur Tobias Rausch am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit in Potsdam. „Die Herausforderung besteht darin, einerseits nicht zu einem sekundären Vermittler wissenschaftlicher Erkenntnisse zu werden und dadurch die ursprünglichen künstlerisch-theatralischen Qualitäten zu verlieren, andererseits diese Erkenntnisse aber auch nicht ‚um einer guten Geschichte willen‘ in einfache Erzählmuster zu zerlegen“, meint Rausch. Bei der Inszenierung von „216 Millionen“ liegt der Gedanke durchaus nahe, dass das Erzählmuster zu einfach gelungen sein könnte. Gleichzeitig bietet das Stück eine wichtige Diskussionsgrundlage vor dem Hintergrund der Widerstände gegen Zuwanderung in Deutschland oder anderen EU-Mitgliedsstaaten; auch in Anbetracht der weiteren bevorstehenden klimatischen Veränderungen. Schade, dass das Programmheft nicht mehr Informationen bietet und die Plakate der UNO-Flüchtlingshilfe keinen prominenteren Platz im Foyer des Schauspielhauses bekommen haben.

 

 

Kultur unterstützt Klima:

WIRKMÄCHTIG Culture4Climate-Preis erstmalig vergeben

Ralf Wolff, Susanna Allmis-Hiergeist


 

Im Rahmen des Netzwerkes „Performing for Future“ hatte die BUZ in der Ausgabe November/Dezember 2022 auch das Orchester des Wandels e.V. vorgestellt.

Foto: Susanna Allmis-Hiergeist

Das Orchester des Wandels ist ein bundesweiter Zusammenschluss von
Orchesterinitiativen, deren gemeinsames Ziel es ist, durch außergewöhnliche Konzertformate auf Projekte zum Klima- und Naturschutz aufmerksam zu machen. Benefizkonzerte fördern beispielsweise ein Projekt auf Madagaskar, damit dort Klanghölzer für den Instrumentenbau aus nachhaltiger Forstwirtschaft gewonnen werden können. Im Orchesterbündnis engagierte Musiker*innen des Beethovenorchesters Bonn haben schon mehrfach den Kottenforst und das Haus der Natur als Bühne für musikalische Ereignisse genutzt.
Am 17. September wurde im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg erstmalig der WIRKMÄCHTIG Culture4Climate-Preis der Initiative für Klimaschutz und Nachhaltigkeit vergeben. Mit diesem Preis werden Pionier*innen des Klimaschutzes im Kulturbereich in Deutschland ausgezeichnet, die innovative und wirkungsvolle Wege des Klimaschutzes beschreiten, durch ihr Engagement wichtige Impulse setzen und zur Nachahmung anregen. Unter den drei Preisträger*innen der Initiative für Klimaschutz und Nachhaltigkeit WIRKMÄCHTIG Culture4Climate ist in der Kategorie private Kulturorganisation der Verein Orchester des Wandels e.V. Weitere Preisträger*innen sind das Braunschweigische Landesmuseum und die Künstlerin Yana Zschiedrich. An der Initiative sind das Netzwerk Nachhaltigkeit in Kunst und Kultur, die Kulturpolitische Gesellschaft und das Öko-Institut beteiligt.
Vom Bund bis Ende 2024 gefördert, fließt das Engagement von Culture4Climate in eine Netzwerkkarte (https://culture4climate.de/netzwerk/ )für dauerhaftes Engagement ein.

 

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