Architects for Future fordern die Bauwende
Melanie Alessandra Moog
Diese Artikelreihe zeigt, wie Strategien des Urban Mining den Lebensraum des Menschen nachhaltiger machen können. Es ist ein Konzept der Kreislaufwirtschaft, mit dem auch ein gemeinnütziger Verein von Architekt*innen unser Bauwesen reformieren will. Die Architects for Future (A4F) stehen solidarisch zur Fridays-for-Future-Bewegung und setzen sich in einer internationalen, überparteilichen, autonomen und demokratischen Bewegung zugunsten ökologischer Maßstäbe in der Baubranche ein. In diesem Interview sprach ich mit den A4F Deutschland über ihre aktuellen Schritte und langfristigen Ziele, um mehr Zirkularität im Bausektor zu erreichen.
Die Architects for Future fordern eine nachhaltige Bauwende. Sie soll die Ziele des Pariser Klimaabkommens realistischer machen. Wie wichtig ist im Zuge dessen das Thema Kreislaufwirtschaft in der Baubranche?
Essenziell! Ohne Kreislaufwirtschaft kein Klimaschutz. Die Baubranche ist in Deutschland für über 50 Prozent des Abfallaufkommens verantwortlich und verbraucht über 90 Prozent der mineralischen Rohstoffe, die abgebaut werden. Neben den CO2-Emissionen, die für den Betrieb von Gebäuden entstehen, fällt ein großer Anteil auch für die Herstellung von neuen Baustoffen an, die sogenannten Grauen Emissionen. Die Zementproduktion verursacht beispielsweise weltweit drei – bis viermal so viel CO2 wie der gesamte Flugverkehr. Wir müssen uns daher unabhängig machen von der Entnahme von Primärrohstoffen und stattdessen auf Recyclingbaustoffe und nachwachsende Rohstoffe setzen, um die 1,5 Grad zu schaffen. Aber auch weniger neu zu bauen, weniger abzureißen und den Bestand zu nutzen – also bestehende Gebäude im Kreislauf zu halten – gehört dazu.
Urban Mining ist ein intelligentes, kreislaufwirtschaftliches Prinzip zur Ressourcenschonung. Wie könnten Sekundärressourcen, zum Beispiel bestimmte Gebäudebestandteile, sinnvoll wiederbenutzt werden, anstatt als Füllmaterial im Straßenbau oder auf der Mülldeponie zu landen?
Eine große Herausforderung ist die meist schlechte oder fehlende Dokumentation, was in Bestandsgebäuden verbaut ist. Es gibt aber Projekte zur Erstellung von Urban-Mining-Katastern, zum Beispiel für Wien oder jetzt auch Bayern und die Stadt Heidelberg, um Art und Umfang der verbauten Rohstoffe abschätzen zu können. Anhand von Gebäudetyp und Baualtersklasse können zudem mithilfe von Tools für Einzelgebäude Abschätzungen getroffen werden. Eine weitere große Herausforderung sind Altschadstoffe, die eine Kreislaufführung verhindern. Wichtig ist daher, mit ausreichend Vorlauf eine Wiederverwendungsprüfung mit Sichtung der Bestandsunterlagen und Vor-Ort-Begehung durchzuführen. So kann man rechtzeitig planen, welche Bauteile und Baustoffe als Ganzes wiederverwendet oder hochwertig recycelt werden können, vor Ort oder in anderen Bauprojekten.
Ließe sich Urban Mining in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten flächendeckend umsetzen? Welche Rahmenbedingungen bräuchte es, zum Beispiel in Politik, Recht und Verwaltung?
Auf jeden Fall! Auch schon in den nächsten Jahren. Zwei Beispiele für notwendige Rahmenbedingungen sind die Schaffung von Aufbereitungsstandorten und Zwischenlagerungsflächen. Wenn Baustoffe und Bauteile zum Recycling erst über weite Strecken transportiert werden müssen, geht der ökologische Vorteil schnell verloren. Oft wird Bauschutt und Erdaushub allein schon deswegen direkt entsorgt, weil an der Baustelle keine Fläche zur Zwischenlagerung vorhanden ist. Ein anderer Aspekt ist, dass öffentliche Bauherr*innen endlich Ihrer per Kreislaufwirtschaftsgesetz vorgeschrieben Vorbildfunktion nachkommen sollen! Um das Gesetz zu erfüllen, müssten sie bei Ausschreibungen die Wiederverwendung von Bauteilen, ausgebauten Baustoffen und Bodenaushub sowie den Einsatz von güteüberwachten Sekundärbaustoffen priorisieren. Aktuell ist sogar das Gegenteil der Fall, viele öffentlicheBauherr*innenschließen Recyclingbaustoffe explizit aus!
Mitte September 2022 haben sich die Bauministerinnen und Bauminister der Länder in Stuttgart versammelt, um gemeinsam eine aktualisierte Musterbauordnung auf den Weg zu bringen. Inwiefern wurden darin die Vorschläge der A4F für mehr Kreislaufwirtschaft und Urban Mining berücksichtigt?
Im Vorfeld zur diesjährigen Konferenz hat unsere AG UMbauordnung mit den Fachkommissionen der Bauministerkonferenz die A4F-Vorschläge zur Novellierung der Musterbauordnung für ein klimaneutrales Bauen in mehreren Sitzungen diskutiert. In der sogenannten Stuttgarter Abschlusserklärung finden sich nun einige unserer Forderungen wieder – so soll die Wiederverwendung von Bauteilen und Baustoffen in den Fokus genommen und das Baurecht so gestaltet werden, dass Baumaßnahmen im Bestand einfacher umzusetzen sind. Damit ist es aber noch nicht getan und bis zu einer „MusterUMbauordnung“ ist es noch ein weiter Weg. Wir bleiben dran, Gespräche mit der Politik und den Verwaltungen auf Länderebene zu führen, mit dem Ziel erste Landesbauordnungen entsprechend zu novellieren.
Die A4F basieren auf einer internationalen Bewegung umweltbewusster Architekt* innen. Sehen kreislaufwirtschaftliche Standards in der Baubranche im globalen Vergleich anderswo bereits besser aus als bei uns? Gibt es Länder, Kommunen, Städte oder einzelne Unternehmen, die eine Vorbildfunktion innehaben?
Ein einzelnes Vorbild hervorzuheben ist nicht unbedingt möglich, aber es gibt Länder oder Städte, die die Themen Abrissgutachten und Zirkularität gesetzlich aufgenommen haben oder wenigstens prüfen. Um einzelne Beispiele zu nennen, haben wir unser Schwarmwissen angezapft: So gibt es in Flandern seit 2020 verpflichtende Vorab-Abbruchgutachten, inklusive ‚Tracing‘ bzw. Nachverfolgung (seit 2022). In England muss teilweise geprüft werden, ob und unter welchen Umständen Gebäude abgerissen werden müssen. Zusätzlich zu einer Abrissgenehmigung prüft man in London und Schottland die Umsetzung von Zirkularität bzw. den Entwurf für ein Circular Economy Gesetz (Schottland). In Zürich hingegen ist die Zirkularität bereits gesetzlich festgelegt.
ÜBER DIE A4F
Der deutsche Architects for Future e.V. wurde 2019 in Wuppertal gegründet und engagiert sich mit wachsender Mitgliederzahl für ein Reformieren der Missstände im Bauwesen. Durch ihr Fachwissen, eine übergreifende Netzwerkbildung und Öffentlichkeitsarbeit wollen sie Zeichen setzen und überfällige Veränderungen vorantreiben. Sie sind ehrenamtlich über verschiedene Medien, auf Veranstaltungen und zusammen mit anderen Organisationen tätig.
Dem Dialog mit sowie dem konstruktiven Einfluss auf Institutionen gilt besonderes Augenmerk. Denn nicht nur veraltete Standards in Architektur und beim Bau sind kritikwürdig, sondern auch rechtliche Leitlinien, die ökologische Alternativen teils verhindern oder erschweren. Entsprechende Forderungen an Politik und Wirtschaft sollen existierende Hindernisse beseitigen und sind ein Kernthema der nachhaltigen Architekturbewegung. Dem großen Potenzial des Bausektors soll auf diese Weise Rechnung gezollt werden, denn der überdimensionale ökologische Fußabdruck der Branche zieht eine große Verantwortung und bereits jetzt viele Probleme für kommende Generationen mit sich.
0 Kommentare