Pflegefall Lachs
Susanna Allmis-Hiergeist
Die Entwicklung der Lachsbestände im Rhein und seinen Nebenarmen ist ein wichtiger Indikator für den ökologischen Zustand der heimischen Gewässer. Im Einzugsgebiet der Sieg wurden Wehre für Fische gangbar gemacht und Seitenarme renaturiert. Bei allen Bemühungen zur Wiederansiedlung verzeichnete das Wildlachszentrum in Siegburg auch infolge des Klimawandels in den letzten Jahren eher wenig Fortschritte. Doch eine Trendwende könnte geschafft sein.
Der Lachs stellte lange Zeit in Europa eine wichtige Nahrungsgrundlage dar. Er galt als nährstoffreich und nicht unbedingt feine Kost. Bis in die fünfziger Jahre konnte der Rhein sogar die höchsten Lachsvorkommen des Kontinents vorweisen. Mit den Industrieansiedlungen insbesondere aus dem Bereich der Chemie wandelte sich der Fluss seit den sechziger Jahren zunehmend in eine ökologisch tote Müllkippe. Der Lachs und viele andere Arten verschwanden. Ein Umdenken in Sachen Flussökologie setzte nach dem großen Chemieunfall der Basler Firma Sandoz im Jahr 1986 ein. Mehr als eine halbe Million Fische starben. Unter dem Schock der damaligen Bilder beschlossen die Rheinanrainerstaaten ein ökologisches Gesamtkonzept für den maroden Fluss: strenge Abwasservorschriften für die Industrie, verbesserte Abwasserreinigung in den Kläranlagen, Renaturierung von Uferabschnitten und die Ertüchtigung von Staustufen für die Fischpassage. Ende der achtziger Jahre wurden erste Lachse in den verzweigten Seitenarmen des Rheines ausgesetzt. Wenige Jahre später ließen sich tatsächlich Rückkehrer der sensiblen Wanderfische in der Sieg identifizieren. Sie stehen unter Schutz und unterliegen einem strengen Fangverbot.
Der lange Weg
Die Lachse wandern aus ihrer Kinderstube zum Beispiel im Westerwald über die Sieg, den Rhein, die Nordsee bis in die arktischen Gewässer vor Island. Dabei fressen sie sich Speck an, um den weiten Weg gegen die Strömung bis in die Heimatgewässer
zurückzuschaffen. Am Ende der Reise werden sie in den kiesigen Bächen ihrer Geburt die natürliche Reproduktion fortsetzen.
Aber selbst in den guten Jahren kehrten nur etwa 1000 von den vielen ausgesetzten Jungfischen nach NRW zurück, 500 davon in die Sieggewässer. Eine eigenständige Population ließ sich so nicht aufbauen. Daher spielen Aufzuchtstationen bei der Vermehrung eine wichtige Rolle. Die Größte befindet sich im Wildlachszentrum in Siegburg-Siegelskrippen am Rande der Wahnbachtalsperre. Betreiber des Wildlachszentrums ist die Stiftung Wasserlauf NRW; Kooperationspartner sind das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW (LANUV), der Wahnbachtalsperrenverband sowie die verschiedenen Fischereiverbände.
Pflege im Wildlachszentrum
Verantwortlicher Betreuer im Wildlachszentrum Rhein-Sieg ist Fischwirtmeister Sven Wohlgemuth. Mit einem Kollegen entnimmt er die zurückgekehrten Lachse aus der Kontroll- und Fangkammer am Buisdorfer Siegwehr. Finden sich darunter trächtige Lachsmütter, wird mit dem Samen männlicher Partner eine künstliche Befruchtung eingeleitet. In der Brutstation in Siegelskrippen entwickeln sich die befruchteten Eier mit der Nahrung aus dem eigenen Dottersack erst einmal selbstständig. Aufwändige Technik steuert die Reinheit des Wassers, die Temperatur und den Sauerstoffgehalt der Becken.
Nach etwa 150 Tagen schlüpfen die Larven, die in etwa auf Daumenlänge herangefüttert werden. Bis zu 250.000 dieser Jungfische verlassen im späten Frühling das Wildlachszentrum und besiedeln bis zu ihrer großen Reise die Bachläufe in der Umgebung des Rheins. Wird man einige von ihnen noch einmal auf dem Rückweg am Buisdorfer Wehr begrüßen dürfen?
Vielfältige Feinde
In den letzten fünf Jahren ist die Zahl der Rückkehrer erneut stark zurückgegangen. Zuletzt wurden nur noch durchschnittlich 50 Exemplare pro Jahr in ganz NRW registriert. Der klimatische Wandel ist eine der Ursachen. Wenig Niederschläge in Hitzeperioden und ein verminderter Wasserzufluss aus den immer gletscherärmeren Alpen machen die Wanderwege in Teilen unpassierbar. Außerdem verengt sich die gemeinsame „Fahrrinne“ für Schiffe und Fische. Damit können die Tiere leichter in den Sog der Schiffsschrauben großer Frachter geraten.
Geringe Wassertiefen erleichtern auch den Fressfeinden die Jagd. Der Kormoran ist ein stets hungriger Lachsfischer, darf aber in Naturschutzgebieten in der Regel nicht vergrämt werden. Gegen Welse, die sich bei höheren Wassertemperaturen zu prächtigen Exemplaren von bis zu zwei Meter Länge entwickeln, hat der Wanderer ohnehin keine Chance. Stolpersteine für die Gewässerrenaturierung und die Ansiedlung der Fische stellen auch technische Barrieren wie Wasserkraftwerke dar. Insbesondere kleinere Anlagen tragen dazu bei, dass viele Gewässer in NRW die EU-Rahmenrichtlinie des guten ökologischen Zustands verfehlen. Erhitzungen im Staubereich und Ausgasungen von Methan und CO2 beeinträchtigen die Wasserqualität. Viele der Kleinanlagen haben trotz gesetzlicher Vorgaben keine oder nur mangelhafte Auf- und Abstiegshilfen für Fische. Der Grund: Eine betriebswirtschaftliche Klausel kann die gesetzlich geregelten Tierschutzmaßnahmen außer Kraft setzen. Stellen entsprechende Investitionen die Rentabilität der Anlage in Frage, müssen die Behörden einen Nachweis der Verhältnismäßigkeit erbringen.
Trendwende geschafft?
Dennoch gibt es auch Lichtblicke. Im Wildlachszentrum Rhein-Sieg hat im Oktober mit nachlassender Trockenheit und steigender Wanderlust der Lachse der Pflegebetrieb wieder begonnen. Und mit Erfolg: nach forciertem Besatz mit Jungfischen in den vorangegangenen Jahren wurden schon in den ersten zwei Wochen 15 Lachsheimkehrer registriert. Einen Teil davon hat Sven Wohlgemuth als Elterntiere und zur Entwicklung der nächsten Generation in Pflege genommen. Um die spannende Fischwelt kennen zu lernen, bietet das Projekt FINNE – Fischwelt in NRW neu entdecken – ein umfangreiches Workshop-Programm für Schul- und Jugendgruppen an. Ansprechpersonen finden sich unter wasserlauf-nrw.de.
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