Gemeinsam für Gerechtigkeit
Der Brunnen und die kleinen Zypressen im Kreuzgang des Bonner Münsters sind verschneit. Lärm aus der Stadt scheint heute gedämpft. Im Arkadengang verborgen befindet sich eine Tür, die zum Room of One führt. An diesen besonderen Ort ist eine Abiturklasse der Bertolt-Brecht-Gesamtschule eingeladen, einen Impuls zu einem multireligiösen Mittagsgebet zu geben.
Susanna Allmis-Hiergeist & Kirsten Huppertz
Grundlage des Impulses der Schüler*innen bilden nach einer ersten Annäherung verschiedene Texte der Komparativen Theologie, unter anderem zu Themen wie Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit. Zu den Materialien gehören auch Liturgiehefte des CTSI (International Center for Comparative Theology and Social Issues) der Universität Bonn. Das Zentrum wird von Professor Dr. Klaus von Stosch geleitet (siehe Interview mit ihm in der Reihe „Das Denken befragen“ in der BUZ 1_2021).

Einladung in den ROOM OF ONE.
Foto: Susanna Allmis-Hiergeist
„Jede Religion erhält ihren Respekt“ (Schülerzitat)
Das CTSI wurde 2021 gegründet, um die nationale und internationale Forschung zur Komparativen Theologie zu bündeln. Es ist an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn angesiedelt. Ziel ist es, im Gespräch auch mit anderen Fachrichtungen wie Rechts-, Wirtschafts-, Sozial- und Politikwissenschaften sowie Philosophie und Pädagogik große gesellschaftliche Herausforderungen zu analysieren und Lösungen zu beflügeln.
Wichtige Forschungsthemen sind „Ethik und Recht in der Welt der Religionen“ und die Friedens- und Konfliktforschung. Dabei soll ein besseres Verständnis entwickelt werden, unter welchen Umständen Religionen zu Katalysatoren von Konflikten und gewaltsamen Auseinandersetzungen werden, wie diese Wirkungen nicht nur vermieden, sondern stattdessen Friedenspotenziale aktiviert werden können. Diese Potenziale sollen durch gesellschaftliche Diskurse und durch Bildungs- und Erziehungsarbeit des Zentrums gestärkt werden. 2023 fand eine Zukunftswerkstatt statt, gemeinsam organisiert mit der Klima-Allianz Deutschland und Germanwatch. Auch der Room of One und das multireligiöse Gebet sind Bausteine, um aus den Ressourcen der interkulturellen und interkonfessionellen Zusammenarbeit zu schöpfen.
„Die Anwesenden konnten so gut singen“
Der Raum ist trotz des anhaltenden Schneegestöbers gut gefüllt. Bereits vertraute und neue Gesichter sehen leicht erstaunt auf die vielen gesammelt und erwartungsvoll wirkenden jungen Leute. Für die Schüler*innen ist das multireligiöse Gebet neu.
Hier rezitieren Angehörige verschiedener Religionen in jeweils eigener Tradition voreinander heilige Texte. Unterschiede werden akzeptiert, Fremdes wird kennen gelernt und das Eigene durch das Fremde neu entdeckt. Der Musiker Daniel Tilch unterstreicht dies mit Gesang und Klavierbegleitung.
Die Veranstaltung ist ausdrücklich für Menschen aller Glaubens- und Nichtglaubensrichtungen offen.
Ihren Impuls zum heutigen Gebet haben die Schüler*innen im Rahmen des Liturgieheftes „Faiths United For The Planet“ entwickelt. Darin ist formuliert, dass Klimawandel und Artensterben nur dann wirkungsvoll entgegengetreten werden kann, wenn alle gesellschaftlichen Akteure wirkungsvoll zusammenarbeiten. Religionen hätten Einfluss auf die Menschen weltweit und könnten mit ihren spirituellen Ressourcen helfen, solidarisch, kraftvoll und mit langem Atem für den Erhalt unseres Planeten zu kämpfen.
„Ein Impuls für die Zukunft unseres Planeten“

Das Team im Gespräch mit den Veranstalterinnen des CTSI.
Foto: Susanna Allmis-Hiergeist
Die Schüler*innen tragen ihren Impulsbeitrag mit verteilten Stimmen vor. Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen ist das alte Kirchenlied „Sonne der Gerechtigkeit“. Teile davon sind schon im 15. Jahrhundert entstanden und wurden den Zeiten entsprechend weiterentwickelt. Das Lied war eine Hymne des Widerstandes während des aufkommenden Nationalsozialismus und später des Demokratischen Aufbruchs in der DDR. In den 1970er Jahren entstand eine ökumenische Version, die auf Kirchentagen gesungen wurde.
Die Schüler*innen beschreiben zuerst die Sonne als lebensspendendes und rhythmisierendes Symbol in allen Kulturen. Aber sie weisen auch auf ihr Doppelgesicht angesichts des sich erhitzenden Planeten hin und stellen die Frage nach der Gerechtigkeit: wird Leben auf der Erde mit ansteigenden Meeresspiegeln, einerseits Dürreperioden und andererseits
Flutkatastrophen zukünftig noch möglich sein? Um in dieser Unsicherheit Handlungsmaximen zu entwickeln, reflektieren sie die Worte des Propheten
Maleachi, der das Bild der „Sonne der Gerechtigkeit“ geprägt hat. Kennzeichen dieser prophetischen Spur sei nicht nur die Hoffnung, sondern auch der Mut, die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und mögliche Erfüllung. Sie stellen heraus, dass jede und jeder Verantwortung für den Klimawandel und die Umsetzung von Klimagerechtigkeit trägt. Mit der Frage „Wie klingt Gerechtigkeit?“ geben sie zurück an den Kantor.
„Man fühlt sich sicher, geborgen und willkommen“
Im Anschluss an das Gebet hatten die Schüler*innen Gelegenheit, mit Dr. Nasrin Bani Assadi, Dr. Annette Böckler und Julia Machwitz vom CTSI ein vertiefendes Gespräch zu führen. Etwa zu Fragen wie: Ist die Sehnsucht nach Gerechtigkeit ein wiederkehrendes Muster in den verschiedenen Religionen? Kann Spiritualität zusätzliche Ressourcen für den sorgsamen Umgang mit der Natur mobilisieren?
Im Islam werde, so Frau Assadi, die Schönheit der Natur als ein Zeichen Gottes begriffen. Die Verse des Korans wiesen in poetischer Form auf den achtsamen Umgang mit der Erde und dem Universum hin. Über Ästhetik, Klänge in Rezitationen und Gesängen entstünden interkulturelles Verständnis und ein gemeinsames Handeln. Frau Dr. Böckler erzählt von der jüdischen Herangehensweise, die insgesamt und auf Umweltthemen bezogen eher praktisch und problemlösungsorientiert sei, also: Wie wird das Fallobst nutzbar gemacht? Wer betreut die Bienen im Hof der Synagoge? Kükenschreddern geht gar nicht. Auch Julia Machwitz setzt beim Klimawandel auf das interreligiöse Zusammenwirken. Alle drei betonen, dass aus der Begegnung ein wachsendes Gemeinschaftsgefühl und eine Ressource der Hoffnung und des Handelns entstehen können.
Ausblick: Welche Themen würden Schüler*innen für weitere Liturgiehefte empfehlen? Zum Beispiel „Gerechtigkeit für Tiere und alle Lebewesen“ bringt der heutige Kurs ein. Das CTSI lädt Schüler*innen ein, an einem solchen Heft mitzuarbeiten und so einen Einblick in die komparative Werkstatt zu erhalten.
Nähere Infos gibt es unter:
www.ctsi.uni-bonn.de/en
www.komparative-theologie.de/

Grafik: Dr. Annette M. Böckler,CTSI;
Hintergrund: Sonne (NASA, public domain)
UNESCO Schulkonzept
Die Bertolt-Brecht-Gesamtschule ist seit 2011 Teil des Netzwerks der UNESCO-Projektschulen NRW. UNESCO-Schulen setzen sich für Frieden, Weltoffenheit und nachhaltige Entwicklung ein. Wichtige Erziehungsziele sind der interkulturelle Dialog und die Sensibilisierung für den nachhaltigen Umgang mit der Erde. Dieser Anspruch spiegelt sich sowohl im Schulalltag wie in Projektkursen, -Tagen und -Wochen wider. In dem mehrjährigen Projekt „Das Denken befragen“ hatten sich Schülerteams mit der Rolle von Religion, Philosophie und Kunst für das Naturverständnis befasst (siehe BUZ 2020 – 2024).

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