Bonn gegen Berlin: Klimaplan oder Autobahnausbau?

4. Juni 2023 | Gesellschaft | 0 Kommentare

Karl-Heinz Rochlitz


Fast jeder Nah- und Fernverkehrszug auf DB-Gleisen fährt aktuell verspätet, Anschlüsse werden zur Glückssache, und der ÖPNV leidet unter Personal- und Finanznot. Die seit Jahrzehnten versprochene S-Bahn S13 von Oberkassel bis nach Köln wird sich um weitere Jahre verzögern. Gleichzeitig zeigen ständige Meldungen von Klima- und Dürrekatastrophen die Notwendigkeit, die Klimaziele und die Politik radikal neu zu gestalten. Und wie reagiert der Bundesverkehrsminister: Macht er seine Hausaufgaben, um auch im Verkehrsbereich die Treibhausgase entsprechend den Zielvorgaben zu verringern? Bislang verfehlt er bei weitem seine Vorgaben!

Man kann es nicht fassen, wenn man die Pläne für den weiteren Autobahnaus- und –neubau, gerade auch in der Region Köln-Bonn, vor dem Hintergrund der Klimakrise sieht. Statt ihren Herausforderungen innovativ zu begegnen, sollen A 565 und A59 drastisch ausgebaut werden und zwischen Wesseling und Niederkassel eine neue Rheinquerung entstehen – für 1,145 Mrd. Euro nach derzeitigem Preisstand. Mit einem Tunnel 30 Meter unterhalb der Sohle des Rheins hindurch, mit viel Beton und Freisetzung von Treibhausgasen. Die Mitarbeiter der Autobahn GmbH scheinen Klimaeinwände nicht zu verstehen, reagierten beim „Bürgerdialog“ per Web am 16. März sogar gereizt, denn sie „erfüllen nur den Auftrag des Bundes“. Pflichtgetreu, ohne ihren Auftrag zu hinterfragen. Und der Staatsauftrag lautet einstweilen immer noch: Zu viel Verkehr auf den Straßen erfordert deren Ausbau. Es scheint ein „Naturgesetz der Straßenlobby“ zu sein: Mehr Verkehr erfordert mehr Straßen, und sind auch die wieder vom wachsenden Verkehr zugestaut, müssen weitere Straßen neu- und ausgebaut werden.

Bonn erpresst von der Bundesverkehrspolitik?

Währenddessen hat die Stadt Bonn die Herausforderungen der Klimakrise erkannt, fängt mit einer innovativen Stadtregierung, zum Teil auch Verwaltung, endlich an zu handeln: Die Bedingungen für den Radverkehr werden gerade deutlich verbessert, beim zweijährlichen Fahrradklimatest schneidet Bonn plötzlich positiv ab, und auch Fußgänger rücken ins Blickfeld. Nur bei Finanzierung, Planung und Ausbau von Bus, Bahn und Seilbahn tut man sich schwer, weil Geld und Planer fehlen. Was auch noch fehlt, ist eine stärkere Klimafolgenanpassung: In vielen Straßen braucht es weniger Parkplätze, damit sie begrünt und Bäume gepflanzt werden können. Denn es drohen bereits die nächsten extremen Hitzesommer, in denen es in Straßen mit wenig oder gar keinem Grün Hitzenächte mit über 30 Grad und Höchsttemperaturen am Tag von über 40 Grad geben wird. Aber wer zählt schon die vielen Hitzetoten, die es bei solchen Hitzeperioden gibt?
Klar ist auch: Wir brauchen in Bonn nicht mehr Autos und Lkws durch den Ausbau des uns einzwängenden Autobahnnetzes, sondern weniger, um mehr Flächen für den Umweltverbund und mehr Grün in der Stadt bereitzustellen. Unsere Oberbürgermeisterin ist Mitglied im nationalen Rat für nachhaltige Entwicklung (RNE) zur Beratung der Bundesregierung: immerhin eine kleine Möglichkeit, um aus kommunaler Sicht gegen eine reaktionäre Bundesverkehrspolitik Stellung zu nehmen. Daneben gilt es den Widerstand vor Ort gegen mehr Straßen deutlich zu machen und Möglichkeiten von Einwendungen und Klagen in Planfeststellungsverfahren zu nutzen.

Ungleichgewicht von Straße und Schiene

Der Ausbau von Bus, Bahn und Seilbahn einschließlich seiner Finanzierung ist an sich Ländersache, auch wenn sich der Bund bei den Infrastrukturen relativ gut beteiligt. Nur sind die Strukturen dafür chaotisch, die fachlichen Kompetenzen – wie gerade bei „GO.Rheinland“ und dessen S13-Planungsdesaster zu sehen – eher gering. Die Autobahn GmbH arbeitet offenkundig weitaus effizienter und zielgerichteter, weil direkt beim Bund angesiedelt: Doch ist es wirklich Aufgabe des Bundes, die Straßenverkehre in unserer Region mit „Bundesfernstraßen“ zu bedienen, ja anzuheizen? Der Bundesrechnungshof hat bereits den Beitrag des Bundes zur Finanzierung des Deutschlandtickets kritisch in Frage gestellt, weil der öffentliche Verkehr „Länderaufgabe“ sei: Warum aber nimmt er keinen Anstoß daran, dass der Bund für die selben Pendler- und regionalen Verkehre BUNDESautobahnen baut? Denn der Autobahnaus- und –neubau in unserer Region wird vor allem mit der Überlastung durch regionale Verkehre begründet.

Das DB Netz ist marode

Mal eben von Bonn zum Konzert nach Köln mit dem Zug fahren? Das ist derzeit bei Baumaßnahmen vor allem linksrheinisch oft wochenlang kaum noch möglich: Die Züge fahren dann großteils massiv verspätet. Vor allem drei Gründe sind verantwortlich: Je mehr Züge auf einer Schienenstrecke im „Mischverkehr“ fahren, desto mehr sinkt die Betriebsqualität und wächst die Unpünktlichkeit. Allerdings nicht linear, sondern bei einer risikobehafteten bis mangelhaften Betriebsqualität exponentiell: Jeder zusätzliche Zug führt zu drastisch wachsenden Unpünktlichkeiten. Auch auf der Siegstrecke und der RB 25 häufen sich Verspätungen und Zugausfälle u.a. durch die Überlastung des Verkehrsknotens Köln; die Siegstrecke hat wegen Kriegsschäden (!) teilweise immer noch eingleisige Abschnitte. Zur Überlastung kommen viele Baustellen, weil das DB-Netz in einem ma-
roden Zustand ist. Vor allem Stellwerke und Bahnübergänge sind in desolatem Zustand und führen zu Störungen, die im täglichen Betrieb wegen zu dichter Fahrpläne nicht mehr abgebaut werden können und sich so „aufschaukeln“ („Verspätungen aus vorheriger Fahrt“). Inzwischen hat die DB Netz AG den Offenbarungseid geleistet und will jetzt bis 2030 ihr Hochleistungsnetz „generalsanieren“, was in der Regel mit fünfmonatigen Totalsperrungen (!) erfolgen soll: bei der rechten Rheinstrecke im Raum Bonn geplant 2026, bei der linksrheinischen Bahnstrecke 2028. Interessant ist, dass die DB mit diesen „Generalsanierungen“ und ihrem ersten realistischen Netzzustandsbericht immerhin das jahrzehntelange Missmanagement der Schiene einräumt, für das allerdings nicht nur DB Netz, sondern auch das überwachende Eisenbahn-Bundesamt (EBA) verantwortlich ist. Das EBA hat seinen Hauptsitz übrigens in Bonn.

Verkehrsminister verweigert die Arbeit

Grundlage der Bundesverkehrspolitik und der Bundesverkehrswegeplanung (BVWP), auf die sich die Autobahn GmbH beruft, ist die Verkehrsprognose, die gegenwärtig für 2040 neu erarbeitet wird und deren Ausblick für 2051 vor kurzem veröffentlicht worden ist. Das erstaunliche Ergebnis: Der Güterverkehr auf der Schiene, der inzwischen einen Anteil bei der Verkehrsleistung von immerhin 20,2 Prozent (2021) erreicht hat, soll 2051 nur noch einen Anteil von 17,3 Prozent haben, weil sich die Güterstruktur in Richtung Straßenaffinität verschiebt. Die Zahl der Lkw soll also drastisch zunehmen. Das Netzwerk Europäischer Güterbahnen (NEE) verweist hingegen auf den politischen Beschluss, dass die Schiene 2030 einen Anteil von 25 Prozent haben soll, und hält für 2035 einen Anteil von sogar 35 Prozent für möglich, wenn das Schienennetz mit überwiegend eher kleinen bis mittleren Maßnahmen ausgebaut wird: Dafür sind kaum mehr als 10 bis 12 Mrd. Euro zu veranschlagen. Allein die geplante Autobahn-Rheinspange zwischen Wesseling und Niederkassel verschlingt nach jetziger Planung 1,145 Mrd. Euro für knapp acht Kilometer! Dümmer, weil uneffizienter geht es nicht mehr.
Das Kernproblem solcher Verkehrsprognosen des Bundes sind die Ausgangsprämissen, bei denen im Auftrag von FDP-Minister Wissing kurzerhand die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte fortgeschrieben wird, z.B. mit einem angenommenen jährlichen Anstieg der Kraftstoffpreise von nur 1,2 Prozent. Ist es Aufgabe eines Verkehrsministers im Zeichen der dringend notwendigen Verkehrswende und der Klimakrise, bisherige Entwicklungen nur fortzuschreiben? Oder sollte er nicht innovativ werden, die Rahmenbedingungen für den Verkehr schrittweise, aber kontinuierlich für mehr Umwelt- und Klimaschutz verändern? Also agieren statt sich seinen Aufgaben, seiner Arbeit zu verweigern? Auf geänderte Güterstrukturen kann man z.B. mit der Förderung neuer Logistikkonzepte, einer Bepreisung der volkswirtschaftlichen Kosten des Verkehrs und neuen Marktmodellen im Schienenverkehr reagieren – wobei er für letzteres der ebenfalls in Bonn ansässigen Regulierungsbehörde (Bundesnetzagentur) einen entsprechenden Auftrag erteilen könnte.

Fazit

In der Stadt Bonn und im Rhein-Sieg-Kreis gibt es zunehmend positive Initiativen für eine Verkehrswende, die einen besseren Klimaschutz bedeuten, z.B. die rechtsrheinische Stadtbahn von Bonn über Niederkassel nach Köln, die erste urbane Seilbahn Deutschlands oder, sogar schon ganz konkret, das Buskonzept für Windeck, das ab August neue Buslinien in alle Orte mit mehr als 250 Einwohnern sowie Taktknoten und stündliche Anschlussmöglichkeiten in alle Richtungen vorsieht. Auch der gerade verabschiedete Klimaplan Bonn sieht vor, vielfältige Aktivitäten gebündelt voranzutreiben. Gerade im Verkehrsbereich ist aber Bonn mitsamt seinen benachbarten Kreisen dem Bund mit seiner anachronistischen Verkehrspolitik regelrecht ausgeliefert. Und es gibt kaum Hoffnung wegen der in Berlin regierenden Ampelregierung: Offenkundig war es ein massiver Fehler der GRÜNEN, einem reaktionären FDP-Minister das Verkehrsressort zuzubilligen, zumal sich die SPD, auch mit ihren drei autobahnfreundlichen Bundestagsabgeordneten in der Region, immer noch primär als „Autofahrerpartei“ versteht. Wir haben viel zu tun, das zu ändern.

Ein Beitrag des VCD.

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