Wie unfair kann ein Smartphone sein?
Es gibt erst seit 15 Jahren Smartphones, und doch ist ein Leben „ohne“ für viele schon nicht mehr vorstellbar. Aber hat das Gerät selbst, das man bei Vertragsabschluss oft für 1,00 Euro erwirbt, keinen Wert? Und was kann getan werden, um fragwürdige Arbeitsbedingungen und Umweltbelastungen zu verändern?
Wer öffentliche Verkehrsmittel nutzt, um zur Arbeit zu fahren, stellt fest: Es gibt kaum noch Buch- und Zeitungsleser*innen in Bus und Bahn. Stattdessen blicken fast alle auf einen Bildschirm in der Hand, um unterwegs Mails zu lesen, zu spielen, Musik oder Filme in höchster Qualität zu konsumieren. Das Datenvolumen im Internet umfasste allein im 3. Quartal 2021 unvorstellbare 78 Milliarden Gigabyte. Wäre das Internet ein Land, wäre es das Land mit dem weltweit sechstgrössten Stromverbrauch. Abgerufen werden die Daten immer häufiger über ein Smartphone. Es ist ein ständiger Begleiter im Alltag, ein Teil der Persönlichkeit geworden. Vor allem für junge Menschen ist ein Leben „ohne“ kaum vorstellbar. Schon drei von vier 10-jährigen Deutschen haben ein eigenes Gerät. Weltweit haben mehr Menschen Zugang zu diesem Gegenstand als zu Toiletten mit Wasserspülungen. Ein Smartphone erwirbt man bei Vertragsabschluss oft für 1,00 Euro. Es wird von vielen maximal zwei Jahre genutzt, um dann ersetzt zu werden. Aber hat das Gerät selbst deshalb keinen Wert? Wieviel fragwürdige Arbeitsbedingungen und Umweltbelastungen stecken hinter dem Display?
„Millionen Menschen genießen die Vorteile neuer Technologien, fragen aber selten, wie sie hergestellt werden.“ Mark Dummett, Amnesty International
Für ein Smartphone werden rund 30 verschiedene Metalle verwendet, darunter Gold, Coltan, Kobalt, Zinn und Platin. Um daran zu gelangen, werden Umwelt und Lebensräume zerstört. In Indonesien wurden für den Abbau von Zinn Regenwälder abgeholzt. In Südafrika und Peru wurden Menschen aus ihrer Heimat vertrieben, um Platinminen anzulegen. In brasilianischen Goldminen wird Arsen verwendet, das Gewässer und Menschen vergiftet. Die Rohstoffe werden nach China transportiert, für die Herstellung von Einzelteilen. Hier und bei der Endmontage in Südostasien haben die Arbeite*rinnen oft keinen Arbeitsvertrag und bekommen so wenig Lohn, dass sie für ihren Lebensunterhalt zu sehr vielen Überstunden gezwungen sind. Schließlich gelangen die Geräte per Schiff und Lastwagen auch in den deutschen Handel. An allen Stellen der weltumspannenden Produktionskette wird CO2 freisetzt. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie errechnete, dass ein Mobiltelefon 75,3 Kilogramm an Ressourcen verbraucht, während es selbst nur etwa 80 Gramm wiegt; den größten Teil verschlingt der Abbau der Rohstoffe.
Ein Fünftel der Weltbevölkerung verbraucht vier Fünftel der Rohstoffe. Die Wertschöpfung geschieht meist auf Kosten der Ärmsten und Schwächsten der Länder, die Rohstoffe haben. Die Demokratische Republik Kongo (im Weiteren: Kongo) ist eines der rohstoffreichsten Länder der Welt. Es verfügt vor allem über Kobalt, das grundlegender Bestandteil von Akkus für Smartphones, Laptops oder die Elektromobilität ist. 60 Prozent der Welt-Kobaltförderung stammen aus dem Kongo.
2016 erschien die Amnesty International-Studie „Hierfür sterben wir“, die ein Licht auf bedenkliche Zustände des Kobalt-Abbaus im Kongo warf. Neben industriellen Minen gibt es dort mehrere tausend „artisanale“ Minen. Das ist Kleinbergbau, in dem wohl eine Million Menschen tätig sind. Bis zu 20 Prozent des Kobalts werden so gewonnen, teils legal, häufig illegal. Um für ihr Überleben ein Einkommen zu erzielen, graben die Menschen in den mineralreichen Boden direkt unter ihnen bis zu 60 Meter tiefe Löcher und niedrige, einsturzgefährdete Tunnel. Ab- und Aufstieg erfolgen ohne Leiter oder Seil. Gearbeitet wird ohne Schutzschuhe, Helme oder Atemmaske, nur mit Hammer, Meißel und Stirnlampe. Minenarbeiter*innen und jene, die im Umfeld der Minen leben, erleiden Lungen- und Hautkrankheiten durch Staub und Schadstoffe. Dazu schadet die Radioaktivität des Urans, das aus den Kobalterzen strahlt. Viele Neugeborene haben Fehlbildungen. Menschen sterben bei Grubeneinstürzen.
Bewaffnete Gruppen entwenden den Menschen die Bodenschätze, um Waffenkäufe für Bürgerkriege zu finanzieren, unter denen sie dann zusätzlich leiden. Deshalb spricht man auch von „Konfliktrohstoffen“. Die Einnahmen aus dem Kleinbergbau sind sehr gering. Ein Tagesverdienst liegt meist weit unter dem Mindestlohn, bei etwa 1-2 Dollar pro Tag. Davon können die Menschen kaum ihren Lebensunterhalt sichern, geschweige denn Schulgeld für Kinder bezahlen. Für das Überleben der Familie müssen in Ländern des globalen Südens auch Kinder arbeiten. Laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) und UNICEF arbeiteten 2020 weltweit etwa 79 Millionen Kinder illegal, sind dabei Ausbeutung und Gefahren ausgesetzt. In den Kobaltminen im Kongo sind es geschätzt bis zu 40.000 Kinder, die jüngsten sieben Jahre alt. Bis zu zwölf Stunden am Tag trennen sie Kobalt von anderem Gestein, schleppen schwere Säcke mit Erz und sind auch unter Tage tätig. Ohne Bildung aber sinken die Chancen der Kinder, der Armut einmal zu entkommen; sie bleiben Tagelöhner. Kinderarbeit ist sowohl Ursache als auch Folge von Armut.
„Es gibt eine Art universellen Wert für das, was unfair ist.“ Bas van Abel, Fairphone
Kinderarbeit sollte unterbunden, Umwelt sollte geschützt, Mineralien sollten aus zertifizierten Minen verwendet und in der gesamten Produktionskette sollten Arbeits- und Menschenrechte angewendet werden.
Der aufsehenerregende Amnesty-Bericht von 2016 hat gewiss dazu beigetragen, dass damals schon bestehende politische Regulierungen (Dodd-Frank-Act 2010, OECD-Leitlinien 2011) um weitere Maßnahmen ergänzt wurden. Dazu gehören die EU-Konfliktmineralien-Verordnung 2017, das Anfang 2023 in Kraft tretende deutsche Lieferkettengesetz, die Entwicklung eines Zertifizierungssystems der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) für Minen im Kongo.
Die Industrie bemüht sich mit Selbstverpflichtungen und Projekten um Standards für nachhaltigen Kobaltabbau. Hierzu zählen die Responsible Minerals Initiative (RMI) und der Verzicht von BMW auf Kobalt aus dem Kongo (2019). Die in Bonn ansässige Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) führt im Auftrag von BMW und Samsung das Projekt „Cobalt for Development“ durch. Greenpeace beobachtet diese Entwicklungen und veröffentlicht regelmäßig einen „Ratgeber zu Grüner Elektronik“.
Die gestiegene Sensibilisierung ermöglichte es wohl auch Geschädigten, ihre Rechte erstmalig einzufordern. Tesla, Apple und Microsoft sind 2019 in den USA von „International Rights Advocates“ im Auftrag von 14 Familien aus dem Kongo wegen Kinderarbeit beim Kobaltabbau angeklagt worden. Flankiert werden diese Schritte vom Appell des kongolesischen Friedensnobelpreisträgers Denis Mukwege für eine faire Rohstoffbeschaffung.
„Uns muss bewusst sein: Jedes Jahr ein neues Handy bedeutet Ausbeutung von Mensch und Natur in anderen Teilen der Welt.“ Entwicklungsminister a. D. Gerd Müller
Da die wertvollen Rohstoffe nur endlich verfügbar sind (Kobalt noch etwa 11 Jahre) und erwartet wird, dass die Rohstoffpreise um bis zu 180 Prozent steigen werden (wobei die Menschen im Kongo davon wohl kaum profitieren werden), stellt sich auch die Frage nach cleveren technischen Lösungen. Dazu zählen Solar-Ladestationen an Parkbänken (Handy-TankE Köln), Rücksäcke mit Solarzellen (Sunnybag), Solarstrom für „Menschen am unteren Ende der Wohlstandspyramide“ (waka waka) oder Akkus ohne Kobalt (EU-Projekt COBRA).
Schließlich kann ein bewussterer Umgang mit den Geräten selbst weiterführen. Denn hinter jedem Display stecken Umweltressourcen und harte Arbeit von Menschen, die es wert sind, gewürdigt zu werden. Das geht, indem man Geräte länger als zwei Jahre nutzt, dem Recycling zuführt (NABU-Box bei Momo Bonn) oder nachhaltige Geräte erwirbt. Hersteller wie Shiftphone und Fairphone setzen auf faire Löhne und Arbeitsbedingungen, den Einsatz zertifizierter Rohstoffe und Transparenz in den Lieferketten. Das neueste Fairphone-Modell trägt als einziges Smartphone das Umweltzeichen „Blauer Engel“.
Es geht darum, „so viel Gutes zu tun wie wir können und dabei so wenig Schaden anzurichten wie möglich.“ (Shiftphone).
Vielleicht können Arbeitsbedingungen und Umweltbelastungen so verändert werden, dass alle Beteiligten und der Planet nachhaltig profitieren. Das ist unrealistisch? Dann bedenken Sie: Vor 15 Jahren konnte sich auch niemand vorstellen, handflächengroße drahtlose Computer mit Telefon- und Fotofunktion jederzeit und überall zu nutzen.
„Irgendjemand muss den ersten Schritt tun, selbst wenn man für bekloppt erklärt wird, wenn man sich das Unmögliche vornimmt. Das ist gut, denn die meisten Menschen mögen Bekloppte.“ Bas van Abel, Fairphone
In diesem Sinne: Fangen wir an! Zum Beispiel damit, dies zu beherzigen: „Smartphones können Zeitfresser sein. Es gibt kein größeres Geschenk für dich als die nächsten 24 Stunden. Nutze sie weise. Menschen sind wichtiger als Maschinen.“ (Hinweis auf Shiftphone-Gehäusedeckel)
Quellen-Auswahl: amnesty.org: This is what we die for, 2016 // humanium.org: Kinderarbeit Kongo // gemeinsam-fuer-afrika.de: Kinderarbeit in Minen // utopia.de: Kobalt // abenteuer-regenwald.de: Handy // verbraucherzentrale.nrw: Rohstoff-abbau // bgr.bund.de: Lieferketten Kongo, 2021 // umwelt-im-unterricht.de
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