„Musik ist gelebte Nachhaltigkeit“
Mit diesem Wort führt uns Dirk Kaftan, Generalmusikdirektor des Beethoven Orchesters Bonn, in seine Vision einer zukunftsorientierten Orchesterarbeit ein. Anfang des Jahres hatte Patrizia Espinosa als Generalsekretärin der Klimarahmenkonvention die Musiker*innen für ihren Einsatz zur interkulturellen Verständigung und die Mobilisierung von Menschen für die Anliegen des Klimawandels mit der Verleihung des Titels Klimabotschafter geehrt. Was sich dahinter genau verbirgt, erläutert uns Dirk Kaftan im nachfolgenden Gespräch.
BUZ: Herr Kaftan, das Beethoven Orchester Bonn ist das erste Orchester, das in die Reihe der Klimabotschafter*innen tritt. Wie würden Sie die Rolle beschreiben, die die Musik bei der Vermittlung von Umweltbewusstsein und Bildung im Hinblick auf nachhaltige Entwicklung spielt?
Kaftan: Musik ist per se nachhaltig: In ihrer Reinform ist sie bewegte Luft. Die Werke, die eine Zeitspanne von mehreren Hundert Jahren umfassen, werden mit Instrumenten, die teilweise ebenso alt sind, immer wieder neu entdeckt. Musik ist das perfekte Symbol für gelebte und gefühlte Nachhaltigkeit und transportiert dabei Botschaften, ist ständig im Dialog zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und vermag es, den Menschen im Innersten zu treffen und damit auch zu verändern. Und vor allem: Musik lässt Menschen das Bewahrenswerte der Schöpfung fühlen und ist somit Energiequelle für nötige Taten in allen wichtigen Bereichen.
Unsere Arbeit als Botschafter der UN baut auf drei Säulen auf: Die kritische Betrachtung unseres Betriebes von innen, die Unterstützung konkreter Projekte und am wichtigsten: Transport der wichtigen Botschaften der UN durch Musik, wie ich es oben beschrieben habe.
Wie orientiert sich die Arbeit des Orchesters an den UN-Klimazielen? Die Bundesstadt Bonn ist Mitglied im Aktionsnetzwerk Nachhaltigkeit, das eine zukunftsfähige ökologische und betriebsökologische Ausrichtung in den Bereichen Kunst und Kultur spartenübergreifend sicherstellen möchte. Zwei Seiten der gleichen Medaille, was die Handlungsfelder betrifft, zum Beispiel bei der Sanierung der Beethovenhalle?
Wir sind weder Bauherr noch Betreiber eines Veranstaltungsortes. Im Rahmen eines Forschungsprojektes mit der TH Köln streben wir an, einen ökologischen Fußabdruck unserer Arbeit zu erstellen und auf die Bedingungen Einfluss zu nehmen. Der Bereich „Beethovenhalle“ ist aus unserer Sicht komplex und traurig, dass es eine ganze Zeitung füllen würde, um auf Ihre Frage angemessen einzugehen. Natürlich sind die „Sustainable Development Goals“ der UN unser Leitfaden als Botschafter. Wenn man diese Ziele anschaut, liegt vieles auf der Hand: Nehmen Sie Bildung, Geschlechtergleichheit, Gesundheit, Frieden, um nur vier Ziele zu nennen. In jedem Bereich bieten wir auf viele Jahre angelegte inhaltliche Projekte und Konzepte, wie wir hier mit unserer Arbeit einen hoffentlich globalen Aufbruch und eine Bewusstseinsänderung sinnlich mitgestalten.
Inwieweit können ökologische Ansätze die Arbeit des Orchesters zukunftsfähiger gestalten und werden diese Aspekte in der Kulturförderung des Bundes Ihrer Meinung nach ausreichend berücksichtigt?
Ökologie beschränkt sich ja bei den schon angesprochenen Feldern nicht auf den Weg zur Arbeit mit dem Rad, sondern es geht vor allem um vielschichtige Wechselbeziehungen und einem allgemein bewussteren, verantwortungsvolleren und lebenswerteren Umgang mit uns selbst und unserer Welt.
Wenn man das ernst nimmt und immer wieder hinterfragt, hat man als Künstler unbegrenzte Inhalte zu füllen. Jetzt kann man sagen: Ja, okay, aber was daran ist neu?
Neu ist, dass wir uns jenseits von Parteipolitik und Protest als Institution aufmachen und uns zu dieser Mission öffentlich bekennen. Hinsichtlich der Kulturförderung ist viel in Bewegung, aber auch hier stehen wir erst ganz am Anfang.
Gibt es besondere auch internationale Projekte, die Ihr Orchester in seiner Funktion als Klimabotschafter vorantreiben möchte?
Konkret versuchen wir Projekt-Pate zur Aufforstung von Regenwaldflächen auf Madagaskar zu werden. Die Initiative „Eben!holz“ wurde von engagierten Instrumentenbauern ins Leben gerufen und versucht die nachhaltige Aufforstung sowie den Schutz und Erhalt von Wäldern, die Instrumentenhölzer beheimaten, zu fördern. Auf Madagaskar geht es um Edelhölzer, aus denen unsere Instrumente gebaut werden. Wenn es uns gelingt, einen „Beethoven-Wald“ zu fördern, schaffen wir damit Arbeitsplätze und Bildungschancen vor Ort und machen symbolisch auf die globale Vernetzung von Lieferketten aufmerksam, in denen auch im Bereich der Musik Raubbau betrieben wurde.
Die UN kooperiert mit vielen bekannten Persönlichkeiten im Bereich Klimaschutz. Sind diese „Climate Advocates“ untereinander vernetzt und planen gemeinsame Aktionen?
Komischerweise sind diese Persönlichkeiten weniger vernetzt als es sein könnte oder wünschenswert wäre. Wir haben vor das zu ändern und die Zusammenarbeit in unseren spartenübergreifenden Formaten zu suchen.
Werden Sie den Aspekt der nachhaltigen Entwicklung in Kooperationen mit örtlichen Akteuren wie Schulen, Museen und auch Fridays for Future einbringen? Gibt es dazu schon Beispiele?
Ja. Wir sind im Moment zum Beispiel im engen Austausch mit der Bundeskunsthalle. Es geht uns um die künstlerische Umsetzung von relevanten Themen beispielsweise mit großen Aktionskünstlern. Unsere Musikvermittlerin Eva Eschweiler spinnt an ihren Plänen für die Zukunft im ohnehin engen Kontakt zu Bonner Schulen. So haben wir zum Beispiel vor drei Jahren bereits ein großes partizipatives Schulprojekt und Konzert, gemeinsam mit mehreren Schulklassen, zu Beethovens Sinfonie Nr. 6 „Pastorale“ gemacht. Neben der Musik fand eine Ausein- andersetzung mit der Natur und zum Thema Umweltschutz statt. Auf solchen Projekten im Kinder- und Jugendbereich baut unsere Education-Abteilung weiterhin auf, zum Beispiel mit Kompositionsprojekten und thematischen Anknüpfungspunkten in Konzerten mit Partner*innen wie dem Haus der Natur.
Lassen sich auch unter pandemiebedingten Einschränkungen Impulse für den Klimaschutz aus der Musik heraus verwirklichen?
Die Vollbremsung hat uns zunächst die Möglichkeit zur intensiven Auseinandersetzung mit vielen Fragen gegeben, die sonst vielleicht im Rausch des Beethovenjahres eher nicht stattgefunden hätte. Die Pandemie hat sicher unseren Willen gestärkt, noch aktiver an der Zukunftsgestaltung der Gesellschaft mitzuwirken. Für die tatsächliche Umsetzung brauchen wir allerdings wieder die Möglichkeit von Nähe und Berührung!
Wir danken Herrn Kaftan für das Gespräch.
Seit 2017 ist Dirk Kaftan Generalmusikdirektor (GMD) der Bundesstadt Bonn. In der Spielzeit 21 / 22 dirigiert er neben zahlreichen Konzerten Richard Strauss‘ Oper Arabella und Giacomo Meyerbeers Oper Feldlager in Schlesien. Im Konzertbereich führt er erfolgreiche Reihen fort, die ihn mit Künstlern wie Matthias Brandt und Rafik Schami zusammenführten, und freut sich u. a. auf die musikalischen Gäste Cameron Carpenter und Lucienne Renaudin Vary. Für das Beethoven-Jubiläumsjahr war er Initiator für eine Reihe von Projekten wie den „Beethoven Lounges“, „Hofkapelle“ und „Beethoven Moves!“. Während der COVID-19-Pandemie entwickelte er neue Konzertformate wie „Beethoven Pur“, in denen die Sinfonien Beethovens in kammermusikalischer Besetzung aufgeführt werden konnten. Kaftans Repertoire ist breit und reicht von stürmischen Sinfonien bis zu gefeierten interkulturellen Projekten. Er ist bei renommierten Orchestern gern gesehener Gast, zuletzt beim NHK Orchestra Seoul, dem Bruckner-Orchester Linz, dem Ensemble Modern, der Volksoper in Wien, an der Königlichen Oper in Kopenhagen und dirigierte in Berlin und Dresden. 2016 leitete er bei den Bregenzer Festspielen Miroslav Srnkas Make No Noise. Bei aller Freude an der Gastiertätigkeit steht für Kaftan die Arbeit im eigenen Haus im Mittelpunkt. Diese Berufsauffassung begleitete ihn bisher auf allen Positionen, auch bei seinen Tätigkeiten als GMD in Augsburg und Graz. Unter seinen CD-Aufnahmen ist besonders Beethovens Egmont (2019) zu erwähnen, die begeistert aufgenommen und 2020 mit dem OPUS KLASSIK ausgezeichnet wurde. Davor entstanden u. a. Der ferne Klang, Jenůfa und Die griechische Passion. „Auf Menschen zugehen“, „Kräfte bündeln“: Das ist wichtig für den Bonner GMD, und das spiegelt sich in seiner Arbeit wider. Kaftan wünscht sich, dass Musik immer als „wesentlicher Teil des Lebens wahrgenommen wird: Sie ist eine Einladung zum Mitdenken und Mittun“. www.dirk-kaftan.de |
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