Wissen und Kraft seit Jahrhunderten – von Menschen bedroht
Indigene Völker schützen mit ihrem über Jahrhunderte gesammelten ökologischen Wissen Wälder oftmals besser als staatliche Organisationen. Ein Naturschutzprojekt der EU mit Kenia nutzen lokale Behörden jedoch als Vorwand, das indigene Volk der Sengwer gewaltsam aus dem Embobut-Wald zu vertreiben.
„Der Wald ist unser Leben, unsere Existenz. Im Wald sind unsere Nahrungsmittel, unsere Behausung, unser Wissen. Wie kann man denken, dass wir, die indigenen Völker, unser Leben zerstören würden, indem wir die Wälder zerstören?“
Gilberto Arias, Vertreter der indigenen Kuna aus Panama
Als Indigene werden Nachfahren der Ureinwohner*innen einer Region bezeichnet, mit eigener Kultur, eigener Sprache. Etwa jeder 20. Mensch zählt zu einem der rund 5.000 indigenen Völker dieser Welt. Davon leben ca. 60 Millionen in Wäldern. Dabei besteht eine enge wechselseitige Beziehung zwischen Wald und Waldbewohner*innen. Wald ermöglicht Indigenen nicht nur detailliertes Wissen über Tiere, Nahrungsmittel, Pflanzen und deren Heilwirkung, sondern erzeugt auch ein mit ihm verbundenes Weltbild und Verständnis von sozialen Beziehungen und Ritualen. Indigene Waldwirtschaft basiert auf einem ganzheitlichen Wissen von ökologischen Prozessen und nutzt den Wald nachhaltig, um seine biologische Vielfalt zu erhalten.
Vertreibung trotz verbriefter Rechte
Im Kontakt mit Menschen anderer Kulturen oder Regionen wurden und werden Indigene oft vertrieben, durch Eroberung untergeordnet. Wieviel Leid und Ungerechtigkeiten haben diese unschuldigen Einheimischen aufgrund Unwissen und Überheblichkeit anderer Menschen ertragen müssen? Sie besitzen zwar international verankerte Rechte: 2007 wurde von der UN die Declaration on the Rights of Indigenous Peoples (UNDRIP) verabschiedet, die neben der Konvention 169 der ILO (International Labour Organisation) indigene Rechte definiert.
UNDRIP ist jedoch eine reine Absichtserklärung, ILO 169 selten ratifiziert. Rechte der Indigenen auch auf Nutzung ihrer traditionellen Waldgebiete werden von nationalen Regierungen oft nicht respektiert und garantiert. Ohne die Anerkennung ihrer Rechte haben sie jedoch kaum Instrumente in der Hand, um sich wirksam gegenüber Landnahme von Konzernen, Großgrundbesitzern u.a. zu behaupten.
Beispiel Kenia – Die indigenen Sengwer im Embobut-Wald
Baumverlust durch Brandrodung und Abholzung, die langfristig zu Erosion und Dürre führen, ist auch in Kenia ein Problem: Vor der Kolonialzeit war das Land zu 40 Prozent mit Wald bedeckt, jetzt sind es vier Prozent. Darunter ist der Embobut-Wald im Cherangany-Gebirge in Westkenia – seit 1954 Waldschutzgebiet und wichtiger Wasserspeicher. Dort entspringt der Embobut-Fluss, der zusammen mit weiteren Flüssen Millionen Menschen mit Wasser versorgt.
Seit Jahrhunderten leben dort die indigenen Sengwer. Sie waren einst eine Jäger- und Sammler-Gemeinschaft, bestritten ihren Lebensunterhalt mit Jagd, Beerensammeln und Honigbienenzucht. Britische Kolonialherren ab den 1890er Jahren vertrieben sie aus dem Wald, zwangen sie zur Assimilation in die größere Gemeinschaft der Marakwet, erkannten sie nicht als besondere ethnische Gruppe an. Stattdessen wurden sie als Primitive, wertlose Lebewesen angesehen: Ohne hierarchische Strukturen und ohne Absicht, Wohlstand anzuhäufen, wurden sie als faul klassifiziert.
Von den heute ca. 50.000 Sengwer leben rund 13.500 im Wald. Dort betreiben sie nun auch das, was durch hinzugezogene Gemeinschaften und durch die Regierung eingeführt wurde: Ackerbau und ein wenig Viehzucht. Ökonomisch sind sie ein Drittel schwächer als andere Menschen auf dem Land; politisch und sozial stehen sie am Rande der Gesellschaft.
Kenias Regierung erkennt Rechte der Sengwer nicht an
Die Sengwer berufen sich auf Traditionen, um im Embobut-Wald leben zu dürfen. Und Artikel 63 der Verfassung Kenias definiert Gebiete, die traditionell von Jäger- und Sammler-Gemeinschaften bewohnt waren, als deren Land. Weitere Verfassungsartikel Kenias verbriefen, die Sprache der Indigenen und ihr geistiges Eigentum zu schützen.
Doch Kenias Regierung erkennt die Sengwer nicht als eigene Volksgruppe an und gewährt ihnen nicht das Recht auf eigenes angestammtes Land. Dafür sind sie seit mehr als 30 Jahren fortgesetzter Gewalt, Zerstörung ihrer Siedlungen und Lebensgrundlagen durch lokale Behörden ausgesetzt. Die vertreiben für einen vermeintlichen Naturschutz die Indigenen von deren Land, weil sie der der Ansicht sind, die Indigenen seien „Naturzerstörer“.
Der Westen finanziert indirekt Vertreibungen von Indigenen
Weltbank und EU haben dabei durch Geldzahlungen zum Schutz der Natur indirekt zur Vertreibung beigetragen. Von 2007 bis 2013 finanzierte die Weltbank das Natural Resource and Management Project (NRMP) im Embobut-Wald. Die EU folgte mit dem Water Tower Project (WaTER) seit 2016.
Es gab und gibt jedoch nachweislich Vertreibungen von Sengwer durch den Kenya Forest Service/KFS, mit einem rasanten Anstieg von Armut, körperlichem und seelischem Leid – bis hin zum Tod:
Ein Sengwer ist im Januar 2018 von Beschäftigten des KFS getötet worden. Als Reaktion stoppte die EU sofort ihre 30-Millionen-Euro-Unterstützung für den Schutz der water towers. Der Erhalt von Wasserschutzgebieten sollte nie mit Vertreibungen oder Gewalt gegen ansässige Indigene geschehen, vielmehr mit Dialog und Verhandlungen. Das Forest Stewardship Council (FSC) betreibt dies andernorts erfolgreich (Kanada).
Amnesty International fordert, dass die Sengwer für die Einforderung ihrer Rechte weder belästigt, bedroht noch eingeschüchtert werden, Zwangsräumungen unterbunden, Vertreibungen gestoppt werden. Im Januar 2019 kündigte ein örtlicher Regierungsvertreter jedoch weiterhin verstärkte Einsätze an, um alle Waldbewohner*innen, die „alle Kriminelle und Viehdiebe“ seien, zu vertreiben.
Für seinen Einsatz ausgezeichnet und trotzdem verfolgt
Sengwer Elias Kimaiyo dokumentiert seit Jahren die Menschenrechtsverletzungen an seinem Volk und informiert Amnesty International, Amnesty Kenya oder UNHCR darüber. Ihm wurde dafür 2017 ein Preis der kenianischen Menschenrechtsorganisation KNCHR verliehen. Sein Brief an Kenias Präsident Kenyatta, in dem er die Beschwerden der Sengwer erklärte, blieb unbeantwortet. Kimaiyo muss sich bis heute vor Polizei und Behörden verstecken. Im Oktober 2019 gingen 150 Sengwer über 450km vom Embobut-Wald nach Nairobi, um eine von 270.000 Menschen unterzeichnete Petition an Kenias Präsident zu übergeben, in der die Anerkennung ihrer Rechte am Embobut-Wald gefordert wird.
Fachleute plädieren dafür Indigenen den Wald zurückzugeben
Fachleute bekunden immer wieder, dass eine Waldwirtschaft durch Indigene zu besserem Waldschutz, weniger Entwaldung und Bodendegradation und weniger Waldbränden führe. Vielmehr trage ihre traditionelle Bewirtschaftung zur Vermehrung der biologischen Vielfalt und Reichtum an Lebewesen bei.
Umweltschutz und Rechte indigener Völker müssen auch in Kenia kein Widerspruch sein. Sengwer haben seit Generationen den Embobut-Wald erfolgreich erhalten. Er wurde und wird durch Menschen außerhalb ihrer Gemeinschaft gefährdet. Den Wald wieder den Sengwer zu überlassen, würde ihren Rechten Respekt zollen. So könnten sie dort in Frieden nach ihren Richtlinien und Traditionen leben und sicherstellen, dass dem Wald, in dem auch ihre Vorfahren begraben sind, kein Unheil geschieht. Es würde zur Wiederbelebung dieses Ökosystems beitragen. Es bedarf des fairen Dialogs zwischen den Interessengruppen.
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