Tierschutz ist mehr als … Zwischenruf
Dr. Manfred Fuhrich
Tierschutz ist mehr als in Fussgängerzonen Spendengelder sammeln, ist mehr als gequälte Hunde aus dem Tierheim holen, ist mehr als Kröten über die Verkehrsstraße zu leiten, ist mehr als bienenfreundliche Blumen pflanzen. Die Empörung von leidenschaftlichen Fleisch-
essern über Tierquälerei in der Landwirtschaft oder über Tötungstechniken in Schlachthöfen ist nicht wirklich konsequent. Es reicht auch nicht „Tierwohl“ auf Haltungsformen in Schweineställen zu beschränken. Immerhin: Skandale über Tierquälerei erregen regelmäßig, zumeist folgenlos.
Tierschutz ist umfassend und weitreichend
Die Dimension des Themas „Tierschutz“ ist viel umfassender als wir es uns vorstellen können. Ein Beispiel: Was haben Erdbeeren mit Tierschutz zu tun? Eine aktuelle Meldung von foodwatch klärt und schreckt uns auf. Der Nationalpark Donana in Spanien droht zu vertrocknen. Für den Erdbeeranbau in Andalusien bohren Agrarbetriebe tausend illegale Brunnen. Nicht irgendwo, sondern in einem der größten Feuchtgebiete Europas. „Das Rufen, Schnattern und Singen besonderer Vogelarten, wie dem seltenen Kaiseradler, dem Löffelreiher oder den Flamingos, droht zu verstummen.“ (foodwatch online 2023) Die Regionalregierung will nun den Wasserraub legalisieren. Der Durst der Erdbeere ist groß: 300 Liter Wasser werden für 1 Kilo Erdbeeren gebraucht.
Wirksamer Tierschutz wäre in diesem Fall, dass die Supermärkte diese Früchte nicht mehr verkaufen. Wenn sie statt „greenwashing“
zu betreiben darauf setzen würden, auf solche „naturschädliche Fruchtziehung“ und Vermarktung zu verzichten, wäre den Tieren und ihren Lebensräumen geholfen (WWF Online,22.03.2023), Letztlich sind wir es als Konsument*innen, die diesen Schutz der Tiere und ihrer Lebensräume fördern könnten und das ganz einfach: durch gezielten Konsumverzicht. Auch wenn sich die hochgezüchteten Erdbeeren aus fernen Ländern noch so verführerisch im Ladenregal anbieten, wäre dies praktizierter Tierschutz. Wenn wir nur wollten.
Kollateralschäden trotz Tierschutz
Man kann das edle Ziel des Tierschutzes auch überziehen – sagen so manche Mitmenschen und befürchten Einbuße in ihrer Lebensqualität. Die bescheidene Lebensweise buddhistischer Mönche verdient Respekt, zumal sie sich mit allen Lebewesen verantwortungsvoll verbunden fühlen. Diese Solidarität verstärkt sich durch die Erwartung, dass man als Tier wiedergeboren werden könnte. Dennoch erscheint eine Ablehnung der Bettelmönche von jeglicher Gartenarbeit, durch die ein Wurm Schaden nehmen könnte, als sehr radikaler Tierschutz. Wir können in unserem Alltag nicht vermeiden, Tiere unbeabsichtigt zu quälen oder sogar zu töten. Ob Gartenarbeit oder Spaziergang in Wald und Flur, treten wir in den Lebensraum von Tieren. Einige verenden unter unseren Tritten, ohne dass wir es wollen.
Tierschutz bedeutet zuallererst Tiere schützen – vornehmlich vor uns Menschen. Der Mensch ist aber auch zu unbegrenzter Tierliebe fähig; mitunter heftiger als es den Tieren gut tut. Das Tierfutterangebot in den Supermärkten ist überwältigend. Ein lustiges Halsbändchen oder ein selbstgestricktes Westchen sind das geringste Übel, eine kurze Leine lässt sich in der Stadt gut begründen. Tierliebe ist eine gute Tugend. Wäre sie allumfassend, bräuchten wir keinen Tierschutz. Das Braunkehlchen wurde als „Vogel des Jahres“ gekürt, seine Freude über die Anerkennung kann nur getrübt sein, denn dieses Lebewesen gilt als stark gefährdet (BUNDmagazin 2/23 Seite 27).
Es gibt auch Tiere, die wir gar nicht mögen: zum Beispiel den Borkenkäfer im Wald oder den Holzwurm im geerbten Schrank. Wer will die geschützt sehen? Der Griff zum Gift ist ein Reflex. Wenn Tiere leiden oder verenden, wird dies gerne auch mal als Kollateralschaden im Straßenverkehr oder sogar als „natürliches Phänomen“ abgetan. Als zynische Erklärung von offizieller polnischer Seite über das Sterben von unzähligen Wassertieren in der Oder: die Brackwasseralge war schuld. Fachleute sind überzeugt, dass dies auf menschliche Handlungen oder Unterlassungen zurückzuführen ist: eingeleitete Nährstoffe und hoher Salzgehalt (BUNDmagazin 4/22, Seite 27).
Auch böse Tiere schützen?
Es gibt aber auch einen Schutz „vor“ Tieren. So ist die emotionsgeladene Debatte über Wölfe und Wildschweine im besiedelten Raum ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig es ist, einen konsequenten Tierschutz zu proklamieren. Der Schäfer hasst den Wolf, gerade weil er seine Schafe liebt und geschützt sehen will. (Spiegel 28/2023, Seite 38) Wir aufgeklärten Menschen wissen, wie nützlich Insekten sind für die Umwelt und letztlich auch für uns. Nach dem nächsten Insektenstich sehen wir das schon wieder anders. Wie viele Mücken ließen ihr Leben, weil sie uns genervt haben? Jetzt mal ehrlich!
Wie unbekannte Tiere schützen?
Die größte Herausforderung besteht allerdings darin, Tiere zu schützen, die wir gar nicht kennen. Selbst die anwachsende rote Liste gefährdeter oder sogar bereits ausgestorbener Tierarten erleben wir als eine von vielen Alarmmeldungen, die unsere persönliche Erlebniswelt nicht wirklich betreffen; so denken viele Menschen. Seit dem Wandel von der Agrargesellschaft zur Mediengesellschaft ist eine zunehmende Entfremdung von Tieren als Mit-Lebewesen zu verzeichnen. Was laut Lexikon immer noch als „Haustiere“ bezeichnet wird, kennen wir nur von der Frischetheke. Wer hat schon ein Schwein oder ein Huhn im Haus. Mal nachgucken!
Bemerkenswert ist es, dass Kinder in ihren lehrreichen Büchern liebevolle Bekanntschaften machen mit Tieren aller Art. Es sind so unverwüstliche Klassiker wie „Hasenschule“ oder „Stadtmaus und Landmaus“. Auch so dauerhaft populäre Figuren wie Donald Duck und seine drei Enkel oder „Käpt‘n Blaubär“ (ebenfalls drei Enkel) oder „Tom und Jerry“ veranschaulichen wie menschlich doch Tiere sein können. Die „Sendung mit der Maus“ schenkt uns neben Unterhaltung auch jede Menge Bildung. Danke!
Tiere sind also auch nur Menschen. Aber Menschen sind auch nur Tiere. Seitdem wir aus dem Wasser an Land gekrochen sind, hat sich viel in der Welt geändert und auch der Mensch hat sich gewandelt – in seiner Gestalt, in seiner Wesensart und in seinem Lebensinteresse. Soweit so gut. Ein Problem entsteht, wenn er sich als „Krönung der Schöpfung“ versteht und sich über die anderen Lebewesen erhebt.
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