Zwischenruf
Dr. Manfred Fuhrich
Die immer wieder gern zitierte Fabel von der Stadtmaus und der Landmaus hat vielen Kinderbuchautor*innen als Vorlage gedient, die Gegensätze des Lebens in Stadt und Land am Beispiel des Mäuselebens zu illustrieren. Dies wird durch den gegenseitigen Besuch in der jeweils anderen Lebenswelt deutlich. Allen Büchern gemeinsam ist die Erkenntnis, dass beide Orte ihre Reize haben – aber auch ihre Nachteile. Nicht nur für Mäuse.
Der Gesetzgeber hat den gesellschaftlichen Auftrag, „gleichwertige Lebensverhältnisse“ zu garantieren. Dies ist nicht gleichzusetzen mit „gleichartige“ Lebensverhältnisse. Doch wem was wert ist, das ist individuell sehr unterschiedlich und verändert sich im Lebenszyklus. Die junge Familie erhofft sich eine kinderfreundliche Wohnumgebung. Der junge Mensch möchte Abwechslung und der berufstätige möglichst kurze Arbeitswege.
Stadtregion = Stadt = Stadtregion
Es gibt für diese persönlichen Präferenzen sehr entscheidende Kriterien für die Qualität des Standortes, nicht zuletzt wegen der Umweltqualitäten. Erheblich ist letztlich auch die Kostenfrage. So erscheint das Leben auf dem Lande attraktiv, weil die Wohnkosten niedrig sind. Dies gilt allerdings vor allem für den peripheren Raum, denn schon im ländliche Umland von Städten sieht das anders aus. Der Stadtplaner-Slogan „die Stadtregion ist die Stadt“ verdeutlicht diese enge Verzahnung.
Wer allerdings im peripheren Raum zuhause ist, muss auf urbane Qualitäten verzichten. Dennoch findet die Wertschätzung freier Landschaften und die unmittelbare Nähe zur Natur immer mehr Zuspruch. Fast die Hälfte der Städter*innen träumt von einem Leben auf dem Lande (deutschland.de). „Stadtluft macht frei“ so hieß es lange Jahre, doch heute atmet man nur auf dem Lande freie, frische Luft.
Die räumliche Entwicklung in Deutschland ist über Jahrzehnten eher von Landflucht geprägt. Das hat vor allem ökonomische Gründe, weil die Mehrzahl von Arbeitsplätzen in den Städten liegt. Auch weil das Angebot an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, weil die ärztliche Versorgung und die Nähe zu Krankenhäuser besser sind, werden städtische Wohnstandorte als attraktiver angesehen. Gleichwohl sind hier die Umweltbelastungen besonders spürbar. Drei von vier Einwohnerinnen leben in Ballungsräumen, Jeder dritte Mensch lebt in Großstädten und jeder vierte lebt in Mittelstädten. Noch nicht mal jeder Siebte lebt in Dörfern unter 5.000 Einwohnerinnen.
Gleichwertigkeit ist staatlicher Auftrag
Der Staat versucht mit einer Vielzahl von Steuerungsinstrumente die Gleichwertigkeit von Stadt und Land zu erreichen. So ist er unter anderem verantwortlich für die Erreichbarkeit entlegener Landstriche, z.B. durch Straßenbau oder durch ÖPNV-Angebote. Bekanntlich wird dies nicht immer eingelöst. In der Vergangenheit verschärften sich die Probleme im ländliche Raum. Seit 70 Jahren wurden über 15.000 Kilometer Schienen abgebaut, in den letzten 20 Jahren fast 300 Bahnhöfe geschlossen. Nachhaltig ist was anderes.
Das automobile Pendleraufkommen ist ein erheblicher Klimakiller und der Zeitaufwand für den Arbeitsweg ist für viele Arbeitnehmerinnen erheblich. Daran ändert die staatlich gewährte Kilometergeldpauschale nichts. Vielmehr wird sie unter Stadt- und Regionalplaner*innen eher als umweltschädliche „Zersiedlungspauschale“ kritisiert. Gerade der motorisierte Berufsverkehr in die Stadt erzeugt erhebliche Belastungen für das Klima.
Das urbane Gegenstück zu dem Kilometergeld ist das Wohngeld. Damit sollen unzumutbare Mietkosten in den Städten für Haushalte mit geringem Einkommen gesenkt werden. Der große Unterschied liegt allerdings darin, dass die staatliche Gewährung von der Höhe des Haushaltseinkommens abhängig ist, während das Kilometergeld per Einkommenssteuerklärung gewährt wird, für alle die zur Arbeit weit fahren müssen, egal wie groß das Auto ist und wie hoch das Einkommen; kein Anreiz für umweltschonende Lebensweise.
Nicht alle Standortnachteile kann der Staat ausgleichen, zumal vieles „vom Markt geregelt“ wird. Ob es ein angemessenes Angebot an Waren in Lebensmittelläden gibt, wird in Konzernzentralen nach Renditegesichtspunkten entschieden. Selbst in regulierten Bereichen der Daseinsvorsorge erweisen sich Bemühungen der „öffentliche Hand“ als unzureichend. So ist der Mangel an Ärzten im ländlichen Raum ein starkes Argument für städtische Wohnstandorte.
Der Staat könnte aber „umweltschädliche Subventionen“ konsequent abbauen, womit auch unterschiedliche Wirkungen für städtische und ländlich Räume zu erwarten sind. Gerade in den Fördertöpfen der Landwirtschafts-, Verkehrs- und Wohnungsbaupolitik eröffnen sich Spielräume für ein klimagerechtes Umdenken in der Stadt und auf dem Land.
Welche Chancen sich für den ländlichen Raum durch bessere technologische Infrastrukturausstattung eröffnen, lässt sich überraschender Weise dort beobachten, wo man es nicht vermuten würde. Wer auf dem Internetanbieter „Amazon“ unter Market-Place die Adressen der Anbieter im Impressum recherchiert, stellt erstaunt fest, das die Postleitzahlen eher auf kleine Orte hinweisen. Dies ist nicht immer der ländliche Raum, sondern wohl auch ländliche geprägte kleine Orte in Stadtregionen. Immerhin: in diesen Vertriebsnetzen mischen auch Standorte ausserhalb der großen Städte mit. Das bezieht sich auf den Handel, gibt aber keine Auskunft über Produktionsstätten im ländlichen Raum. Unter Klimagesichtspunkten ist es fatal, dass Chinawaren den Umweg über ländliche Lager- und Verteilstandorte in die Städte finden. Was waren das für Zeiten, in denen jeder städtische Bahnhof einen Güterbahnhof hatte. Nachhaltig war gestern.
Politik bevorzugt Stadt vor Land
Die Politik versucht durch neue Gesetze und steuerliche Anreize gegenzusteuern, um den Standortnachteil des ländlichen Raums auszugleichen. Wiederholt führt dies aber zu absurden Ergebnissen. So ist die Diskussion über mögliche Nachfolgemodelle für das 9-Euro-Ticket sehr stark von urbaner Denk- und Lebensweise geprägt; denn wo nur selten ein Landbus fährt oder kein Bahnanschluss vorhanden ist, nützt auch ein günstiger Tarif nichts, erst recht nicht bundesweit.
Als spannend könnten sich die Erfahrungen mit Home-Office und Webkommunikation erweisen. Die coronabedingte Zunahme solcher heimischen Arbeitsplätze eröffnet auch für den ländlichen Raum neue Chancen. Wenn dann noch das kulturelle Angebot und ebenso das Warenangebot per schnellem Internet überall verfügbar ist, werden sich die urbane und ländliche Lebensformen noch stärker angleichen. Dann wäre der Anspruch gleichwertiger Lebensbedingungen in Stadt und Land einlösbar. Besser für das Klima?
Für die Stadtmaus und die Landmaus wird sich nicht viel ändern. Sie sind genügsam, passen sich ihrer Umgebung an und werden deshalb Umweltkrisen besser überstehen. Wir Menschen in Stadt und Land tragen Verantwortung für das Klima an weiterhin unterschiedlichen Standorten – jeder Mensch auf seine Art – egal wo, wenn er die Wahl hat: Stadt und Land – Frust oder Lust.
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