Armutsbekämpfung aus eigener Kraft
Im Norden von Burkina Faso, am Rande der heißen, trockenen Sahelzone, vermochte es ein einziger Mensch, der Bauer Yacouba Sawadogo, mit unerschütterlichem Glauben und Geduld, durch beharrliche Arbeit und Rückbesinnung auf traditionelle Methoden etwas zu schaffen, was Jahrzehnte kolonialer Herrschaft und westlicher Entwicklungshilfe nicht erreichten: Getreide, Gemüse und Bäume wachsen dort, wo Wüste war. Ödnis wandelte sich in Fruchtbarkeit. Seine Arbeit ist ein Plädoyer für ideenreiches, kluges Handeln gegen die Armut in der Welt.
Der weltweit zunehmende Gegensatz zwischen maßlosem Reichtum und schreiender Armut ist ein bislang ungelöster Skandal. Ein bemerkenswerter Ansatz der Armutsbekämpfung aus eigener Kraft stammt aus Burkina Faso (übersetzt: „Land der aufrechten Menschen“).
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts standen die größten Teile der Welt unter direkter oder indirekter europäischer Herrschaft. Mit der Rechtfertigung, den Rest der Welt zu “zivilisieren”, wurden Menschen ausgebeutet und enteignet, Natur und Bodenschätze geplündert. Auch in „Französisch-Westafrika“ stellte die Kolonialverwaltung die Landwirtschaft auf Monokulturen für den Export von Agrargütern um und zwang die Einheimischen zur Vernachlässigung der ursprünglichen Wälder. Dadurch war das Land nach einigen Generationen baumlos und ausgedörrt. Nach dem Ende der Kolonialzeit sorgte Bevölkerungswachstum dafür, dass Agrar-Anbauflächen in die trockene Sahelzone ausgeweitet wurden. Dadurch wurden jedoch die Böden stark überbeansprucht und Bodendegradierung folgte. Dieses Problem wird durch wiederholte Dürren und den Klimawandel verschärft.
Anfang der 1980er-Jahre litt die westafrikanische Sahelzone erneut unter einer großen Dürre. Rund 50 Millionen Menschen hungerten, circa eine Million starben. Die Menschen flüchteten aus den Dörfern in weiter südlich gelegene Städte, um dem Hungertod zu entkommen, doch dort gab es nur überfüllte Lager und Krankheiten.
Yacouba Sawadogo stammt aus dem Norden von Burkina Faso und war entsetzt von all diesem Leid. Er gab seine sichere Existenz als Verkäufer in einer kleinen Stadt auf und ging mit einer Hacke hinaus aufs Land, um die Ödnis fruchtbar zu machen, um anderen, entsprechend seiner religiösen Überzeugung, zu helfen. Er ging dorthin mit der Rückbesinnung auf eine uralte Art des Ackerbaus in Westafrika, kurz Zai genannt (von Zaiégré, das übersetzt bedeutet: früh aufstehen und den Boden bearbeiten). Löcher werden in den betonharten Boden gehackt und Stein-Reihen gelegt, um den Abfluss vom erhofften Monsun-Regenwasser aufzuhalten. In die Löcher eingebrachter Kompost sowie proteinreiche Hirsesamen und Bohnen, die als Stickstoffsammler fungieren, locken binnen kurzer Zeit Termiten an, die den Kompost verarbeiten und so wichtige Nährstoffe für die Anbaupflanzen erschließen. Mit ihren Gängen lockern sie die Erde auf. Der Boden wird besser belüftet und kann sehr viel mehr Wasser aufnehmen, es verdunstet also nicht mehr schnell. So können völlig sterile Flächen, auf denen nichts mehr wächst, in fruchtbare Böden zurückverwandelt werden, so Karl Eduard Linsenmair von der Universität Würzburg.
Eine unverzichtbare Ergänzung sind Bäume, deren Samen im Kompost enthalten sind. Inmitten der Getreidefelder wachsend, spenden Anabäume, Niembäume oder Karitébäume Schatten und Windschutz für junge Kulturen, liefern Dünger und Rohstoffe für Medikamente und gegen Schädlinge, sind Material für Möbel und Zahnbürsten. Die Effekte der Bäume auf Ackerflächen und Umgebung sprechen für sich: Die Erträge verdreifachten sich, die Durchschnittstemperatur sank, der Grundwasserspiegel stieg um bis zu 17 Meter, der Lebensraum für Nutztiere (die in Afrika auch als Statussymbol sehr wichtig sind), verbesserte sich.
Schon die erste Ernte war ein Erfolg und füllte Sawadogos Hirsespeicher. Die Hungernden kamen zu ihm und er gab, solange er zu geben hatte. Gegen den „Verrückten“ gab es Widerstände der Dorfbewohner, die bis hin zur Vernichtung von Wald und Ernte reichten. Doch er klagte nicht und er richtete nicht. Er begann von vorne, ohne jedes technische Hilfsmittel. Aber mit Gottes Hilfe. Denn: „Kein Mensch kann so viel Kraft aus sich selber heraus finden“, sagt Sawadogo.Heute wachsen auf über 40 Fußballfelder großen Flächen über 60 Arten von Pflanzen, Sträuchern und Bäumen, die Mensch und Tier ernähren.
Sawadogo verteilt seine Saat großmütig an arme Bauern. Für ihn ist es eine Frage der Menschlichkeit.
Yacouba Sawadogo hat sein Wissen allein aus der genauen Naturbeobachtung gewonnen sowie Traditionen wiederbelebt und erneuert, anstatt neue importierte Technologien anzuwenden. Er hat aus eigener Kraft Armut bekämpft. Mittlerweile haben die Vereinten Nationen Yacouba Sawadogos Methode zur Nachahmung empfohlen. 2018 erhielt er den Alternativen Nobelpreis. Er ist nun ein gefragter Gastredner vor internationalen Experten, so wie auf dem Global Landscapes Forum in Bonn 2018.
Mitte der 1980-er Jahre reiste der holländische Geograph Chris Reij durch den Norden von Burkina Faso. Er hörte von diesem Mann, der ödes Land begrünt. „Ich hatte so viele schlechte, sinnlose Projekte gesehen, dass ich schon glaubte, wir würden das Problem des Hungers nie in den Griff bekommen. Dann traf ich Yacouba, und es war wie ein Lichtstrahl. Dieser Mann ist ein Visionär.“ Reij propagierte Sawagados Methoden, die sich nicht nur in weiten Teilen Burkina Fasos, sondern auch in den Nachbarstaaten Niger und Mali durchsetzten und dort halbwüstenartige Gebiete in fruchtbares Land verwandelten. Dieser Wandel ist so großflächig, dass man die neuen grünen Landstriche auf Satellitenfotos ausmachen kann. Sawagodos Technik könnte Millionen von Kleinbauern in aller Welt helfen, die ländliche Armut zu reduzieren, aber auch, sich auf den Klimawandel einzustellen.
Mit fortschreitendem Klimawandel werden mehr Gebiete der Erde ähnlich heiß und trocken wie die Sahelzone werden. Was immer die weiteren Klimagipfel bewirken mögen, die Temperaturen werden noch über Jahrzehnte weltweit ansteigen und entsprechend extreme Klimaeffekte hervorbringen. Wie sich die Menschen des globalen Südens auf längere Dürreperioden, heftigere Überschwemmungen und höheren Schädlingsbefall einstellen, entscheidet mit darüber, ob Millionen Menschen sterben, vor Ort überleben oder flüchten. Daher ist es nur sinnvoll, auch in anderen Regionen von dem „grünen Wunder“ zu lernen, das sich in Westafrika lange unbemerkt vollzogen hat.
Reij kritisiert die bisherige Entwicklungspolitik und die unzulänglichen Bemühungen der wohlhabenden Staaten, die weltweite Armut zu lindern. Die Welt bringe genügend Nahrung hervor, um ihre Bevölkerung zu ernähren. Die Menschen litten nicht deshalb unter Hunger, weil es zu viele sind, sondern wegen der ungerechten Landverteilung, der Manipulation der Märkte des globalen Südens durch die entwickelten Länder, der Verschwendung von Nahrung im Westen. Allein das Getreide, das an Tiere zur Mast verfüttert wird, würde reichen, den Getreidemangel unter Menschen zu beheben.
Reij bestätigt, dass Yacouba das gelang, woran teuer bezahlte Spezialisten aus dem Westen scheiterten. Es seien Konzepte erfunden worden, die den Bedingungen, der Kultur und den Traditionen nicht angepasst gewesen sind und die das Land völlig unproduktiv machten. Sinnvoller wäre es, etwa dem Beispiel von Yacoubas Techniken zu folgen und Regierungsmittel effizient für Projekte einzusetzen, die eine wirksame Hilfe für die in extremer Armut lebenden Menschen darstellen.
Im Auftrag der Weltbank sammelten Forschende in den 90er-Jahren die Erfahrungen von 60.000 in äußerster Armut lebenden Frauen und Männern aus 73 Ländern. Sie bekamen immer wieder zu hören, dass Armut Folgendes bedeutet: Man hat das ganze Jahr nicht genug zu essen. Oft nimmt man nur eine Mahlzeit pro Tag zu sich und muss dabei entscheiden, ob man den eigenen Hunger stillt oder den der Kinder. Manchmal ist weder das eine noch das andere möglich. An armutsbedingten Krankheiten sterben jeden Tag ungefähr 30.000 Menschen und das geschieht unaufhörlich, Tag für Tag. Für den Fall, dass die absolute Armut nicht zum Tod führt, verursacht sie ein Elend, wie es in den wohlhabenden Nationen kaum anzutreffen ist.
Obgleich in wohlhabenden Ländern auch große Armut herrschen kann, ist hier eine Einkommenshöhe, die über dem liegt, was zur Deckung der eigenen und familiären Grundbedürfnisse erforderlich ist, charakteristisch. Die Wohlhabenden dieser Länder verfügen über einen Reichtum, von dem sie denen, die in äußerster Armut leben, abgeben könnten, ohne ihren eigenen Wohlstand zu gefährden.
Weil wachsende staatliche Hilfe der sicherste Weg ist, eine bedeutende Steigerung der Gesamtsumme der Hilfeleistungen zu erreichen, sollten die Regierungen der Industriestaaten mehr echte bedingungslose Hilfe leisten als bisher. 1970 beschloss die Generalversammlung der Vereinten Nationen, dass wohlhabende Länder 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens als Entwicklungshilfe leisten sollten. Der Betrag gilt unverändert als Ziel. Auch wenn einige Länder in den letzten Jahren hier Fortschritte gemacht haben, ist es ernüchternd, dass die Industriestaaten 2019 nur durchschnittlich 0,3 Prozent für die Entwicklungshilfe ausgaben.
In Relation zu ihrem Nationaleinkommen ist die Entwicklungshilfe der Industriestaaten bei weitem nicht ausreichend. Zusätzliche Mittel könnten effektiv in die Bekämpfung der Coronavirus- oder Malaria-Erkrankung, eine der Hauptursache der Kindersterblichkeit, eingesetzt werden, beginnend mit der Verteilung von Malarianetzen. Auch die Noma-Krankheit ist eine von vielen, die durch die absolute Armut entsteht. Sie tritt bei Kindern unter fünf Jahren auf und hat desaströse körperliche Auswirkungen, aber sie kann im frühen Stadium mit Antibiotika und angemessener Ernährung behandelt werden. Auch sollte es Kindern auf der ganzen Welt ermöglicht werden, zumindest eine Grundschulausbildung zu erhalten.
Unabhängig von Regierungen kann jeder Einzelne, der es sich leisten kann, durch Spenden gegen extreme Armut sehr viel erreichen. Wenn wir alle gegen die absolute Armut spenden, dann müsste keiner viel aufgeben! Dabei gibt es keine Verpflichtung, Ländern zu helfen, deren Regierungen eine Politik betreiben, die eine wirksame Hilfe unterminiert und wo das Geld vielleicht nicht ankommt. Wir werden auf Dauer mehr Menschen helfen, wenn wir unsere Mittel dort einsetzen, wo sie die größte Wirkung zeigen. Dabei ist ein geringer Umfang von Verwaltungskosten nicht mit der Effektivität einer Hilfsorganisation gleichzusetzen. Darin enthalten sind auch Personalkosten qualifizierter Mitarbeiter, die in der Lage sind, mit detaillierter Bewertung sicherzustellen, dass unsere Spenden ankommen und dass Projekte unterstützt werden, die den Armen nachhaltig helfen. Außerdem übergeben die Hilfsorganisationen die Gelder nicht an die Regierung, sondern arbeiten unmittelbar mit den Bedürftigen selbst oder mit Basisorganisationen der betreffenden Entwicklungsländer zusammen, die sich einen guten Ruf in der Hilfe für Bedürftige erworben haben.
Eine Orientierungshilfe gibt zum Beispiel das Zentralinstitut für soziale Fragen in Berlin. Es überprüft Organisationen auf ihre Effizienz und beurteilt unabhängig und kompetent das Geschäftsgebaren von Hilfsorganisationen.
„Das Elend ist nicht unabänderlich; es wird von Menschen verursacht, und Menschen können es auch überwinden.“ Joseph Wresinski, Begründer des Internationalen Tages für die Beseitigung der Armut (seit 1987 an jedem 17. Oktober).
Quellen-Auswahl: Singer: Praktische Ethik, 2011 und Effektiver Altruismus, 2016 // Hertsgaard: Sawadogos Leidenschaft für Bäume, 2010 // Universität Würzburg: Rückbesinnung auf die Tradition, 2008 // Maché: Hoffnung für Afrika, 2016 // Jeska: Es werde grün, 2015 // dsw.org: 50 Jahre leere Versprechen // guntherwillinger.de/wordpress/regreening-afrika.
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