Strukturwandel statt Schwarzer Löcher
Viele Milliarden Euro sollen die Wirtschaft in Deutschland nach dem Corona-Lockdown wieder in Schwung bringen – Summen, die die drohende Klimakrise bisher nicht in Ansätzen mobilisieren konnte. Lobbyist*innen sämtlicher Branchen stehen Schlange, um einen Teil des Kuchens für sich zu sichern. Dabei hat staatliches Handeln die Chance, Auslaufmodelle kurz zu halten und die in Aussicht gestellte Förderung in zukunftssichere Strukturen und Arbeitsplätze zu lenken.
130 Milliarden Euro spendiert das jüngste Eckpunktepapier der Bundesregierung zur Konjunkturbelebung, aufgeteilt in Maßnahmen für die Jahre 2020/21 und ein längerfristig angelegtes Zukunftspaket. Auf der Seite der Störfeuer hat im Vorfeld der Ruf nach Unterstützung für die Autoindustrie und einer Kaufprämie für viel Wirbel gesorgt. Dabei sprachen sich in einer Umfrage von ARD Deutschlandtrend im Mai nur zwölf Prozent der Befragten für solche Kaufanreize aus, 22 Prozent fanden immerhin die Kopplung an einen umweltfreundlichen Antrieb gut. Diese Zahlen lassen keinen Run der Verbraucher auf den lahmenden Automarkt vermuten, auch nicht mit Prämie. Aber tatsächlich arbeiten in der deutschen Automobilbranche 800.000 Beschäftigte (die Zulieferer noch nicht eingerechnet), deren berufliche Perspektive in Frage steht. Sind staatliche Kaufprämien für PKW hier wirklich hilfreich?
Im Fall von Sprit schluckenden Limousinen und SUVs, womöglich auch noch mit Dieselmotoren ausgerüstet, braucht man nicht lange zu überlegen: das geht gar nicht. Kleinere sparsamere Verbrenner der Flotten sind gegenüber Fahrzeugen mit Ökoantrieb vergleichsweise günstig. Dies ist bei geplanten Neuanschaffungen ein „eingebauter“ Bonus, der nicht weiter verstärkt werden muss. Das vorliegende Eckpunktepapier bewegt sich scheinbar auf dieser Linie – hätte sich in Form des abgesenkten Mehrwertsteuersatzes nicht eine Kaufprämie quasi durch die Hintertür eingeschlichen. So lässt sich beim Erwerb eines dieselbetriebenen SUV immerhin ein runder Tausender einsparen, Tendenz steigend, je hochpreisiger das Fahrzeug gehandelt wird. Zum Vergleich: für Bezieher*innen des Harz IV Regelsatzes erhöht sich der monatliche Spielraum (wenn überhaupt) um knapp zehn Euro. Die Maßnahmen zielen erkennbar vorrangig auf das Konsumverhalten der Besserverdienenden, selbst wenn die teure PKW-Anschaffung bereits auf Halde steht und keinen Arbeitsplatz zusätzlich absichert.
Mehrwert steuern
Im Segment Elektrofahrzeuge gibt es bisher schon Zuschüsse von bis zu 6000 Euro. Der hälftige staatliche Anteil soll nun verdoppelt werden. Bei Fahrzeugpreisen um die 40.000 Euro ist eine solche Anschaffung aber ohnehin nur von kaufkräftigen Konsumenten zu stemmen, und selbst diese Klientel scheint in der derzeitigen Situation nicht in ausgeprägter Kauflaune zu sein. Die Verhaltensökonomin Lucia Reich von der Copenhagen Business School schlägt daher vor, nicht den privaten PKW-Konsum, sondern langfristig nutzbare Investitionen zu fördern: Die Forschung im Bereich Batteriezellen, Infrastrukturen für ausreichende Ladestationen oder priviligierte Parkmöglichkeiten zum Beispiel. Für eine interessante Idee hält sie Gutscheine zum späteren Erwerb eines E-Mobiles – dies schiebe die Beschaffung in eine Phase verbesserter Lieferfähigkeit der Hersteller, höherer Stückzahlen und damit niedrigerer Preise.
Systemisches Denken
Zum Thema Gutscheine gibt es auch weitergehende Ideen. Warum nicht universelle Mobilitätsgutscheine an die Bürger*innen aushändigen, die auch für Bahncards, Elektrobikes und Lastenräder (inklusive der sportlichen Kindertransporter) verwendbar wären? So könnte mit dem gleichen Geld aus dem bloßen Zuschuss eine fahrtüchtige Komplettlösung werden.
Hat man einmal die Fixierung auf Einzelbranchen verlassen, kann man das System noch weiterdenken. Die Förderung von Solaranlagen ließe sich zum Beispiel mit der Anschaffung energieeffizienter Haushaltsgeräte koppeln. In diesem Zusammenhang könnten ökoelektrische Autos wie zusätzliche Verbraucher des regenerativen Stroms vom Dach behandelt und im Rahmen eines Autarkie-Baukastens gefördert werden. Dieser übergreifende Förderansatz käme ebenfalls für Nachbarschaftsquartiere in Betracht, die sich die Infrastruktur für Stromproduktion, Batteriespeicher und eine kleine Carsharing-Flotte teilen. Apropos Batteriespeicher: auch hier wird an Innovationen ohne Lithiumeinsatz gearbeitet. Für stationäre Anwendungen sind sogenannte Redox-Flow-Batterien in Erprobung, die ohne problematische Grundstoffe und zum Beispiel mit Flüssigkeiten auf der Basis von Lignin arbeiten.
Der Thinktank Agora nennt weitere Handlungsfelder für Klimahilfen wie standardisierte (serielle) Lösungen für die energetische Gebäudesanierung und den umweltfreundlichen Umbau der Chemie-, Stahl- und Grundstoffindustrie, unter anderem durch Einsatz von Wasserstofftechnologien in der Produktion.
Im Leerlauf Gas geben?
Insbesondere hinter letztem Punkt steckt die Idee, die coronabedingte Teilauslastung der Industrie zu nutzen und gezielt Strukturen für ökologisch orientierte Fertigungsverfahren und Produkte aufzubauen. Dies gilt in selbem Maße für die Autoindustrie. Einen an langfristigen Erfolgen orientierten Weg für Wirtschaftshilfen postulieren auch verschiedene Wirtschaftsinstitute gemeinsam mit der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Sie weisen zudem darauf hin, dass parallel zum Umbau der Produktionsstrukturen unabdingbar auch Ausbildungs- und Umschulungsprojekte gefördert werden müssen.
Sieht man sich vor diesem Hintergrund das Zukunftspaket im Eckpunktepapier an, findet man ein Sammelsurium von 26 Einzelprojekten, zu denen immerhin die Aufstockung des CO₂-Gebäudesanierungsprogramms, der forciertere Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur sowie die Ausarbeitung einer Wasserstoffstrategie gehören; außerdem: die Erhöhung der Ausbauziele für die Offshore-Windkraft und die Abschaffung des Solardeckels. Und trotzdem geht in Deutschland im Jahr 2020 ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz, ein nicht nur im übertragenen Sinne Schwarzes Loch. Von einem ganzheitlichen Ansatz hin zu einem sozialökologischen Aufbruch ist wenig zu spüren. Dabei sind anders als bei der Coronabekämpfung alle Handlungsoptionen bekannt, gut mit Instrumenten und Technologien hinterlegt und können sofort in Angriff genommen werden.
Erschienen in der Ausgabe 4_20
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