Wasser – Medizin des Himmels
Wasser ist auf diesem Planeten ausreichend vorhanden, aber ungleiche Verteilung, ungleicher Verbrauch und Klimawandel verursachen Gesundheits- und Versorgungsprobleme, Konflikte oder Flucht. In wasserarmen Regionen der Welt kann jedoch aus Nebel Wasser gewonnen werden, was die Lebensqualität der dort lebenden Menschen verbessert und ihnen Kraft gibt, schwierigsten Lebensbedingungen zu trotzen.
Wasser ist Leben
„Alles Leben kommt aus dem Wasser“
Koran
Der Zugriff auf Wasser steht als elementares Grundrecht vor allen anderen Menschenrechten und ist damit dem Recht auf Leben und Überleben gleichzusetzen (siehe Artikel „Wasser für alle“ in BUZ 01/2015). 2050 wird laut UN ⅔ der Menschheit an akuter Wassernot leiden. Zunehmender Bedarf an Nahrung, Energie und sanitärer Versorgung führt zu permanent steigender Wassernachfrage. Der Klimawandel macht das Problem noch dringlicher. Jedes Jahr sterben weltweit 2,5 Millionen Menschen durch Wassermangel oder verschmutztes Trinkwasser. Viele Menschen weltweit kämpfen tagtäglich, um dem Wassermangel zu entgehen. Allein in Afrika werden rund 40 Millionen Stunden jährlich nur zum Wasserholen aufgewendet, für oft nur 5 Liter Wasser/Tag. In Deutschland dagegen beträgt der Pro-Kopf-Durchschnittsverbrauch 122 Liter/Tag, mit Hinzurechnung des virtuellen Wassers bis zu 4000 Liter/Tag. Zum Glück gibt es für einige wasserarme Regionen der Welt eine Lösung, Wasser zu gewinnen: aus Nebel.
Vorbild Natur
„Das Wasser hat Kinder, das Feuer nicht.“
Hirtenvolk der Fulbe/Afrika
Tropen-, Küsten- und Bergwälder können fast 25% ihres Wasserbedarfs aus Nebel ziehen. Der Lorbeerbaum der Kanareninsel El Hierro versorgte einst dank seiner Blätter, auf denen Nebel zu Wasser kondensiert, die Bewohner mit Trinkwasser. Im peruanischen Urwald wird seit den Inka kondensiertes Wasser von Blättern und Pflanzen gesammelt. Das Vorbild der Natur versucht der Mensch seit dem 20. Jahrhundert zu kopieren. Voraussetzung ist Nebelbildung und Wind. Warme Luft nimmt Feuchtigkeit aus Meeren auf, steigt auf und kondensiert in küstennahen Gebirgsregionen; feuchter Nebel entsteht.
Hier kommen Nebelfänger ins Spiel: Wind drückt die feuchte Luft durch Rahmen, in denen Netzgewebe hängen. Kleinste Tröpfchen bleiben daran haften. 10 Millionen davon ergeben einen Streichholzkopf-großen Wassertropfen. In entlegenen Regionen gewonnenes Wasser entspricht als Trinkwasser für Mensch und Tier dem WHO-Standard; in Ballungsgebieten (Lima) ist es vorerst nur als Nutzwasser zu verwenden. Das System ist passiv (ohne Energiezufuhr) und kostengünstig. Die Konstruktionen sind stationär angelegt, teils mobil. Die Rahmen sind i. d. R. 40 Quadratmeter groß. Für Gebirgsregionen mit über 120 km/h starken Winden wurden robuste „Cloud Fisher“ entwickelt.
Der Ertrag hängt von Lage, Netzmaterial, Größe und Jahreszeit ab, kann 5 bis 75 Liter pro Quadratmenter Netz/Tag betragen – in nebelarmen Zeiten aber auch ausbleiben. Für eine ganzjährige Versorgung wird das Wasser in Tanks und Zisternen gesammelt. In ariden Regionen der Welt, in denen es kaum regnet und andere Wasserquellen nicht vorhanden sind, schafft diese einfache, aber effektive Methode den Menschen, die dort in bitterer Armut leben, bessere (Über-) Lebensbedingungen.
1956 stellte der chilenische Physiker Carlos Espinosa Aranciba in der Atacama-Wüste erstmals solche „Atrapanieblas“ auf. Er überließ der UNESCO das Patent. Mit Förderung von Stiftungen (Münchener Rück) und Staaten, mit Einsatz von Firmen (aqualonis) werden durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) wie FogQuest/Kanada, Wasserstiftung und Alimón/ Deutschland, Dar Si Hmad/Marokko oder Studenteninitiativen (enactus) weiterentwickelte Nebelfänger seit den 1980er Jahren an dafür geeigneten Orten aufgebaut:
• Süd- und Mittelamerika (Chile, Peru, Guatemala, Ecuador)
• Afrika: u. a. Marokko, Südafrika, Eritrea (Laut Wasserstiftung könnten Nebelfänger in Eritrea mehrere 100.000 Menschen mit Trinkwasser versorgen)
• Mittlerer Osten: Oman, Jemen (In Jemen wird Nebelnetz-Wasser als „Medizin des Himmels“ bezeichnet)
• Asien (Nepal)
• Europa (Kanarische Inseln, Region Valencia, Kroatien).
Wissenschaftliche Studien über die Gewinnung von Wasser aus Nebel werden seit 1998 auf internationalen Nebel-Konferenzen vorgestellt, sehr ausführlich 2010 in Münster/ Westfalen.
Peru
Vorsitzender: „Und, wollen wir sie gehen lassen?“
Versammlung im Chor: „Nein!“
Auf einer Dorfversammlung in Bellavista zur Frage nach Verbleib von Alimón e. V.
Lima, die Hauptstadt Perus, liegt direkt am Pazifik, doch in einer Wüstenregion. Auch mangels Bewaldung gibt es dort nur 13 mm Niederschlag/Jahr. Etwa 20% der zirka 9 Mio. Einwohnern haben keinen direkten Zugang zu Wasser, v. a. in den 4.300 Elendsvierteln am gebirgigen Stadtrand. Um an Trinkwasser zu kommen, müssen sie es zu Preisen, die sich die Armen kaum leisten können, von Tanklastern kaufen, die einmal pro Woche kommen.
Mehrere Initiativen versuchen das zu ändern, indem der sehr häufige und starke Nebel genutzt wird. „Peruaner ohne Wasser“ wollen Nebelnetze entlang der ganzen Küste installieren, oberhalb Limas sind es schon mindestens 60. Die Arbeit ist inspiriert von dem Projekt „Grüne Wüste“ des deutschen Alimón e. V., der 2006-09 u. a. in Limas Siedlung Bellavista für 50 Familien 7 Nebelfänger und Zisternen aufbaute, um 800 Bäume (also Nebelfänger-„Originale“) zu pflanzen, Nutzgärten zu bewässern. Ortsvereine kümmern sich seitdem um den Betrieb der Nebelfänger und den Anbau neuer Bäume. Die Idee ist also fest etabliert.
Von den Menschen hat der Verein immer wieder große Dankbarkeit erfahren. Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP will die Lomavegetation (v. a. Kräuter, Gräser) und die Dörfer im Rahmen eines Schutzgebietes weiterentwickeln. Sie wollen auch Nebelfänger einsetzen und haben Alimón für eine Beratung kürzlich kontaktiert. Hieraus ergibt sich die Chance und Hoffnung, dass auch die Bevölkerung in den Armenvierteln Limas demnächst Trinkwasser über Nebelfänger erhält.
Marokko
Am Berg Boutmezguida im Süden Marokkos ist das Leben ist von harter Arbeit, Entbehrung und Armut geprägt. Es wird bis zu 60 °C heiß, die Bodenqualität ist schlecht, Regen extrem selten – aber Nebel häufig. 2018 wurde dort die ggw. größte Nebelkollektoranlage der Welt fertiggestellt. 31 „Cloud Fisher“ versorgen 1.600 Menschen, 16 Dörfer, eine Schule mit Wasser. In der Nebelsaison liefern die Netze mindestens 35.000 Liter Wasser/Tag. Zisternen sorgen dafür, dass Wasser auch in der Trockenzeit vorhanden ist. Hatte ein Dorfbewohner bis dahin zirka 8 Liter Wasser/Tag zur Verfügung, können sich nun alle ausreichend versorgen.
Das Wasser wird auch für Tiere, Obst- und Gemüseanbau genutzt: „Morgen gibt es Nebeltomaten“, sagt Hassan Ischar mit einem Lachen im Gesicht. Häuser haben nun fließend Wasser. All das hilft Frauen und Kindern, die meist die Arbeit im Dorf leisten, weil Männer in die Städte gezogen sind, um dort Arbeit zu finden. Anstatt 5 Stunden/Tag aufzuwenden, um Wasser aus 9 km entfernten Brunnen zu holen, gibt es jetzt mehr Zeit für Arganöl-Herstellung und Bildung.
„Uns geht es großartig“, sagt Fatima Ichar Hamouali. Haushalte zahlen 2 € Wassersteuer/Monat und 40 Cent/1000 Liter über ein prepaid-System. „Wenn Wasser keinen Wert hat, wird es vergeudet“, so Jamila Bargach von der lokalen NGO Dar Si-Hmad. Daher schult sie Kinder und Erwachsene darin, mit dem begrenzten, kostbaren Gut sparsam umzugehen. Perma-Kulturgärten vermitteln Wissen über heimische Pflanzen. Es gibt auch ein Nebelnetz-Informationszentrum. Die Frauen der Dörfer werden Wassermanagerinnen, verständigen sich per SMS über Wartungsaufgaben, arbeiten mit Werkzeug an Wasserleitungen. Verantwortung und Selbstbewusstsein steigen: „Da ging ein richtiger Ruck durch die Gruppen.“
Das akzeptieren auch die Männer zunehmend. Nachhaltiges Ziel ist, die Einheimischen zu Experten auszubilden, die die Anlagen als ihre eigenen betrachten, selbständig betreiben und warten, so dass die externen Helfer „am Ende des Projekts überflüssig“ (P. Trautwein/aqualonis) werden.
Aussicht
„Lasst das Ding gleich stehen!“
Zu einer erfolgreichen Projekt-Realisierung zählt auch die Akzeptanz der Bevölkerung. Dazu müssen vorhandene soziale Strukturen berücksichtigt und die sozialen Folgen der Nebelfänger-Installation bedacht werden, denn sie rütteln an traditionellen Strukturen und dem Verhalten der Menschen. Die Veränderung kann nur behutsam erfolgen. „Wenn ich da ankomme, sagen mir die Dorfbewohner: Der spricht meine Sprache nicht und hat helle Haut, wieso sollte ich dem vertrauen?“ so Henning von enactus.
Das technische Projekt ist also nicht zuletzt auch ein Kulturbrückenprojekt, in dem man als Ausländer nicht zu fordernd auftreten, sich nicht als überlegener Entwicklungshelfer aufspielen sollte. Nur dann ist nachhaltiger Erfolg garantiert. Dann kann es dazu führen, dass man von den Einheimischen akzeptiert wird und wie enactus in Marokko nach zweistündigem Kennenlernen bei Tee schon auf Anhieb aufgefordert wird: „Hier ist überall Nebel. Lasst das Ding gleich stehen!“
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