Was warum feiern?

30. November 2020 | Dr. Manfred Fuhrich | 0 Kommentare

Zwischenruf

Dr. Manfred Fuhrich

Feierabende daheim

Die bäuerliche Großfamilie sitzt nach einem langen Tag harter Arbeit auf dem Feld und im Stall gemütlich in trauter Runde zusammen, die Frauen stricken und plaudern, die Männer schweigen und rauchen. Jungbauer, Knecht und Magd musizieren, bis das Feuer im Kamin erlischt. Das war noch Feierabend. Idylle pur.

Und heute? Stress pur. Der Feierabend in unserer Wohlstandsgesellschaft beginnt nach der Arbeit einsam im Auto oder in ungewollter Gesellschaft in überfüllten Bahnen und Bussen. Dann noch schnell einkaufen, Emails checken. Was gibt es im Fernsehen? Ist Bier da? Verstehen wir eigentlich noch zu feiern und wenn ja was und vor allem wann?

Feiertage per Gesetz

Neben dem privaten Feierabend, den es so wie in früheren Zeiten nicht mehr gibt, bieten sich so einige offizielle Feiertage an. Nur die Weihnachtsfeiertage kommen zuverlässig datenfest, Ostern hängt vom Mond ab, Pfingsten kommt dann 50 Tage später. Weitere Angebote im Kalender sind regional unterschiedlich, die mehrheitlich katholisch geprägten Länder sind da deutlich im Vorteil. Viele wissen gar nicht mehr den Grund, warum es den konkreten Feiertag gibt: Himmelfahrt – ach, ja: Vatertag. Der Muttertag hingegen liegt stets auf einem Sonntag, so wie Volkstrauertag und Totensonntag.

Der einzige religiöse Feiertag, der einen Sinn für alle vorgibt und sogar sicher mitten in der Woche liegt, nämlich der Buß- und Bettag, ist zugunsten der Finanzierung der Pflegeversicherung vom Bundesgesetzgeber als arbeitsfreier Tag gestrichen worden. Nicht vergessen: der Tag der Deutschen Einheit. Für ihn wurde der 17. Juni abgeschafft, was gab es da eigentlich anlässlich eines gescheiterten Arbeiteraufstandes zu feiern?

Und noch einer: der 1. Mai, „Tag der Arbeit“. Ein Tag, an dem allgemein Arbeit gefeiert wird – schön, wenn man eine hat. Früher war das ein spektakuläres Ereignis, in allen Städten Mai-Umzüge mit Musikkapelle und Live-Übertragungen der zentralen Gewerkschaftsveranstaltung in den öffentlich-rechtlichen Sendern. Von so viel Aufmerksamkeit können die Gewerkschaften heute nur träumen.

Inoffizielle Feiertage

Dann gibt es noch inoffizielle Feiertage, an denen so doll gefeiert wird, dass Arbeiten eingestellt sind – zum Beispiel der Rosenmontag. Die Straßenumzüge und „Sitzungen“ sind legendär, mitunter auch spektakulär. Aber auch dies nur regional. Karneval ist der Inbegriff ausgelassener Feierstimmung, ob man will oder nicht. Lustigkeit kennt keine Grenzen.

Private Feiermomente

Und schließlich die privaten Anlässe zum Feiern. Voran der Geburtstag, ein einprägsames Datum. In der Jugend sehr beliebt, weil man im Mittelpunkt steht und vor allem weil es Geschenke gibt. Im vorgerückten Alter ist dies eher ein ambivalentes Ereignis, weil das Ende des Weges naht und die Besuche zunehmend Kondolenzcharakter annehmen. Besonders freudig werden erfolgreiche Ereignisse persönlicher Leistung gefeiert: das bestandene Abitur, Hochschulabschluss, Meisterprüfung, Richtfest oder neue Wohnung. Es gibt auch Feiern, da steht die Leistung noch aus: die Hochzeit. Wenn diese Prüfung des Lebens doch nicht bestanden wird, dann hält es einige nicht davon ab, dieses Ereignis zu wiederholen – in einer anderen Partnerschaft.

Versäumte Feiertage

Der Tag der Kapitulation des Nazi-Deutschlands hat es nicht zum Status eines Feiertages geschafft. Zu negativ besetzt? Man könnte es ja auch als Tag der Befreiung feiern. So wie auch der 9. November, der Tag des Mauerfalls, der für unsere Nation ein besonders geeigneter Feiertag wäre, ein Zeichen des Aufbruchs. Ebenso hätte der Tag der Gründung der Bundesrepublik Deutschland das Potenzial, uns dankbar zu stimmen, dass wir aus dem dunklen Deutschland schließlich ein helles Deutschland erschaffen haben. Wir haben Europa eine Hymne geschenkt, aber den jährlichen Europatag stets verpennt.

Noch ein Versäumnis: Der gesellschaftliche Diskurs hat das Thema Nachhaltigkeit geprägt, aber für einen Feiertag hat es noch nicht gereicht. Dabei wären die Geschenke der Natur vielfältiger Grund, innezuhalten, zu feiern. Nun, es gibt Anlässe genug: Tag des Wassers, Tag des Baumes, Tag der Natur, Tag der Flüsse, … Aber keines dieser so gewichtigen Themen hat es zu einer feierlichen Würdigung geschafft.

Dabei wäre die Wertschätzung unserer natürlichen Lebensgrundlagen ein vortrefflicher Anlass zu feiern. Doch diese Haltung der Ehrfurcht ordnen wir eher den „Naturvölkern“ zu. Wir halten uns ja für zivilisiert und haben doch so wenig kapiert. Wie wäre es mit einem Feiertag, an dem wir unsere Bäume – im Wald, in der Stadt – umarmen. 83 Millionen Bäume würden sich freuen.

Eigentlich müsste jeder Tag ein Feiertag sein. Denn wir können uns freuen, Krieg in unserem Land nur aus der Geschichte zu kennen. Europa ist frei von gewalttätigen Konflikten zwischen den Nationen. Das Leben in Freiheit und dazu in einem wunderschönen Land sind Gründe genug, jeden Tag als Feiertag zu sehen. Mit dieser Haltung können wir dankbar jeden Tag neu beginnen. Wirklich ein Grund zu feiern. Freude! Fangen wir morgen gleich an.

Erschienen in der Ausgabe 6/2020

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