Wie wollen wir wohnen?
Besuch der autofreien Siedlung in Köln-Nippes.
Dr. Rolf Tüschen
Zur Entstehung
Die Siedlung ist Kind der 90er Jahre. 1994 entstand eine Bürgerinitiative mit circa 100 Mitgliedern, deren Ziel die Schaffung einer komplett autofreien Siedlung in Köln war. Weitergehende Aspekte, die heute von Belang sind, wie Ressourcenschonung durch Flächenersparnis, hätten damals noch keine Rolle gespielt. Politische Unterstützung hätten die Grünen geleistet, große Vorbehalte bestanden seitens der Stadtverwaltung. Den Durchbruch hätte eine Bürgerbefragung der Stadt gebracht. 7.000 Menschen erklärten dabei ihr Interesse an einer autofreien Siedlung. Schließlich schlug die Stadt Köln 4 verschiedene Grundstücke auf dem Stadtgebiet vor. Der Arbeitskreis entschied sich für ein Grundstück auf dem Gelände des früheren Eisenbahnausbesserungswerks Köln-Nippes.
Sieger des internationalen Architektenwettbewerbs wurde ein Büro, das bis dahin noch keine autofreie Siedlung selbst entworfen hatte. Die Suche nach einem Investor, Kosten 80 Millionen Euro, gestaltete sich sehr schwierig. Schließlich fand sich ein holländisches Unternehmen.
Auf einer Fläche von 4,2 Hektar entstanden ab 2007 440 Wohneinheiten für 1550 Menschen in Form von Mehrfamilien- und Reihenhäusern. Die Energieversorgung erfolgt durch ein Blockheizkraftwerk, derzeit noch gasbetrieben, ab 2026 mit 3 großen Wärmepumpen.
Aus dem Arbeitskreis der Initiatoren ist ein Nachbarschaftsverein geworden, in dem 280 Wohneinheiten Mitglied sind.

© Rainer Bohnet
Zum Verkehr
Gegen den Wunsch der Initiatoren forderte die Stadt Köln eine Autostellplatzquote von 0,3 pro Wohneinheit, 0,18 für die Bewohner, zuzüglich 0,12 für Besucher. Seitlich der Siedlung wurde für die geforderten Stellplätze ein Parkhaus errichtet. Innerhalb der Siedlung besteht eine Fußgängerzone, die für Fahrräder freigegeben ist. Diese Fußgängerzone kann nach Entfernen von Absperrpfosten von Feuerwehr, Rettungsdiensten und Müllabfuhr befahren werden. Umzugswagen können nach Zustimmung des Kölner Ordnungsamtes für 25 Euro die Siedlung anfahren.
Das Parkhaus bedeutete eine bewusste Entscheidung gegen eine Tiefgarage. Das bestehende Parkhaus könnte bei Bedarf vergrößert werden, könnte aber auch gut zurückgebaut werden. Neben den geforderten Stellplätzen gibt es hier eine Carsharing Station, wie auch eine zweite am anderen Ende der Siedlung, circa 400 Meter entfernt. Zwei S-Bahn-Stationen liegen jeweils 600 Meter entfernt, Nippes bzw. Parkgürtel/Geldernstraße, dort auch Bus- bzw. U-Bahn-Stationen. Der Kölner Hauptbahnhof ist mit dem Rad in 10 Minuten erreichbar. Die Zahl der Autostellplätze ist ausreichend. Die Nachfrage nach Wohnungen in der Siedlung ist sehr groß.
Der Nachbarschaftsverein „Nachbarn 60“ betreibt am Eingang der Siedlung, neben dem Parkhaus, eine Mobilitätsstation, in der die Mitglieder Fahrradanhänger, Lastenräder, Bollerwagen, Sackkarren etc. ausleihen können, aber auch Partyausstattung wie Bierzeltgarnituren sowie Tischtennisplatten. Die Mobilitätsstation dient zudem als Begegnungsstätte mit verschiedenen Gruppenangeboten. Vor den Häusern gibt es überdachte Fahrradstellplätze, die Kellerräume dienen zur Hälfte als Fahrradtiefgaragen, diese sind über Rampen anzufahren. Je nach Wohnungsgröße stehen 2 bis 5 Fahrradstellplätze zur Verfügung.
Flächennutzung
Die Flächenersparnis durch Autofreiheit liegt bei etwa 15%, dank eingesparter Stellplätze vor den Häusern und Fußgängerwegen von etwa 3,50 Metern Breite. Dieser Flächengewinn wurde für die Bebauung genutzt. Es bestehen große Innenhöfe mit Spielplätzen und Grünflächen. An mehreren Stellen in der Siedlung gibt es Plätze, auf denen gefeiert werden kann. Es entstanden geschützte Räume für Begegnung der Anwohner und Bewegung. Bewegt man sich dort, so spürt man rasch den Unterschied zu herkömmlichen Wohngebieten, wo man permanent wachsam sein muss, was eventuell kreuzenden Autoverkehr betrifft. Insbesondere die Bewegungsräume für Kinder sind sehr groß. Im Vergleich zu herkömmlichen Siedlungen soll das zu einem Entwicklungsvorsprung von Kindern aus autofreien Siedlungen führen.
Umweltaspekte
Primäres Ziel der Initiatoren der autofreien Siedlung war die Autofreiheit mit dem Gewinn von Bewegungsfreiheit für Fußgänger und Radfahrer. Umweltaspekte darüber hinaus gewannen erst im Verlauf größere Bedeutung, so entstanden drei Solar-Passiv-Häuser. Die Gestaltung der Grünflächen wurde bedeutsamer, hierum kümmert sich eine KlimaAG. Die Reservefläche für eine, derzeit unwahrscheinliche Erweiterung des Parkhauses, dient als Veedelsgarten. Der Verzicht auf auskragende Tiefgaragen vermindert die Bodenverdichtung.
Das Auto braucht viel Lebensraum.
Wollen wir das?
Dr. Rolf Tüschen
Liegt es jetzt an meinem Rentnerdasein, dass ich mit anderen Augen aus der Haustür schaue? Solange ich im Beruf war, ging ich morgens und abends zügig um das Häuserkarree zu unserer Garage, wo mein Fahrrad stand. Die Flächen vor unserem Haus und den Nachbarhäusern habe ich dabei kaum beachtet.
Als Rentner bin ich nun tagsüber zuhause, schaue mitunter aus dem Küchenfenster oder vor die Haustür: Ich sehe Autoverkehr, einige Fußgänger und Radfahrer, aber vor allem Blech, Asphalt und Steine. Tröstlich ist allein der Gingko-Baum auf der anderen Straßenseite. Es fängt schon auf unserem eigenen Grundstück an, wo unser Auto auf dem Stellplatz vor dem Küchenfenster steht. Immerhin haben wir die verbleibenden Grünflächen vor unserem Haus erhalten. Viele Nachbarn haben alles gepflastert, um Stellfläche für einen zweiten PKW zu schaffen.
Die Autostellflächen vor den Häusern gehen über in einen schmalen Bürgersteig, der etwa zur Hälfte abgeschrägt ist, um die Zufahrt auf die privaten Stellflächen zu erlauben. Eine zweispurige Straße schließt sich an, Parknischen auf der anderen Straßenseite, unterbrochen nur durch einzelne Baumscheiben.Hinter dem dortigen Bürgersteig liegt die Zuwegung zu den Häusern und wenige kleine Grünflächen.
Zu meiner Zeit als Berufstätiger hat mir das geschilderte Terrain als Fortbewegungsfläche gedient. Als solches ist es ja auch konzipiert und gebaut worden. Für mich als Rentner wird aber auf einmal der Aufenthalt wichtiger. Trete ich vor das Haus und sehe einen Nachbarn, so sind wir beide erfreut über die Gelegenheit zu einem Gespräch und verweilen etwas länger zwischen parkenden Autos und Gehweg.
Da drängen sich natürlich Gedanken auf, ob wir die Flächen vor den Häusern nicht generell stärker für Aufenthalt und Kontakte nutzen könnten. Denken wir an den Klimawandel, so liegen unsere Haustüren auf der Schattenseite der Häuser. Hier kann man es im Hochsommer gut aushalten, während die Gärten in der prallen Sonne nicht zu nutzen sind. Ältere Menschen, die gehbehindert sind, könnten hier im Schatten gut spazieren, wären da nicht die abgeschrägten Bordsteine, die jedem Rollator- oder Rollstuhlfahrer das Leben schwer machen. Mehr Grün wäre auch wünschenswert, Bäume, die Schatten werfen und kühlen, Flächen, die Regenwasser längere Zeit speichern können.
Also – wie wollen wir wohnen? An meinem Beispiel sehen wir gut, dass hier für die Fortbewegung geplant wurde. Dabei wurde aber fast nur an Autofahrer gedacht, an Radfahrer nur sehr begrenzt, Fußgänger, insbesondere behinderte, kommen eindeutig zu kurz. Autofahrer sind hier überwiegend Menschen, die im Erwerbsleben stehen, froh sind, schnell zur Arbeit zu kommen und rasch wieder heim. Kinder und ältere Menschen haben andere Bedürfnisse. Sie brauchen in höherem Maße Flächen, wo sie sich sicher und angenehm aufhalten können.
Die Flächen in unseren dicht bebauten Städten sind knapp. Um zu entscheiden, wie wir sie bei allen unterschiedlichen Interessen besser nutzen zu können, müssen wir uns endlich fragen, wie wir leben wollen und das in den verschiedenen Lebensaltern.
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