Zentren der Kreislaufwirtschaft
M. Alessandra Moog
Diese Artikelreihe zeigt, wie Strategien des Urban Mining den Lebensraum des Menschen zukunftsfähiger machen können. Es ist ein Konzept, das bereits in verschiedenen Städten und Gemeinden weltweit, aber auch vor unserer Haustür in Nordrhein-Westfalen fruchtet. Von der Idee zur konkreten Umsetzung gilt es, neue Wege zu ebnen und Hürden zu meistern.
Auch große Städte fangen klein an
Im Jahr 2019 verabschiedete die Stadt Bonn ihre Nachhaltigkeitsstrategie. Sie hat sich das Ziel gesetzt, bis 2035 klimaneutral zu werden. Einen Anfang hat Bonn mit der städtischen Tochter bonnorange gemacht: Sie sorgt mittlerweile für eine bequeme Entsorgung von Elektrogeräten, die dann wiederverwertet werden können und hilft, Recyclingkreisläufe zu schließen. In unserem Interview mit der Stadt Bonn betonte Presse-Redakteurin Lea Hoffmann, dass das Konzept Urban Mining ausdrücklich begrüßt werde und die Stadt beabsichtige, „Vulnerabilitäten im Zusammenhang mit der Klimakrise zu reduzieren“. Im Bereich Elektromüll ist das Urban Mining in Bonn fortgeschritten, und so steht „schon heute eine umfangreiche Sammelinfrastruktur zur Verfügung,“ erklärt Hoffmann. „Dazu gehört der gebührenfreie Abholservice von Elektrogroßgeräten.“ Im Fokus dieses Service stehen Müllvermeidung und eine bequeme Umsetzung einfacher Recyclingstrategien.
Vom Wissen zur Anwendung
Abseits von der Wiederverwertung von Elektromüll bietet das Konzept Urban Mining noch viel mehr Möglichkeiten: Begreifen wir die Stadt als Ressourcenlager, so sollten wir auch an nachhaltiges Planen und Bauen denken. Dies seien „aber eher langfristige Ziele“ aus Sicht der Bonner Stadtverwaltung. Die Bundesstadt hat eine Checkliste zum nachhaltigen Bauen herausgegeben und wende diese selbst dort an, wo sie Einfluss auf konkrete Projekte hat. Dabei gehe es primär um Energieeffizienz. Man sei sich bewusst, dass „zum Erreichen der Klimaneutralität aber nicht nur der Energieverbrauch im Betrieb relevant ist.“ Als Novum im Bonner Bausektor kündigt Hoffmann an, dass auch der Energieaufwand für Herstellung, Transport, Rückbau und Entsorgung verringert werden soll. In der Theorie ist die Kreislaufwirtschaft nicht nur in Bonn, sondern auch auf Bundesebene angekommen, die Zahlen sprechen für sich: „Wenn man alle Produktionsketten im Neubau berücksichtigt, so kommt auf den Gebäudebereich laut der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung 2021 ein Anteil von etwa 40 % der Treibhausgasemissionen der Bundesrepublik. Ein erheblicher Teil dieser Produktion lagert als „graue Energie“ im Baubestand. Wird er entsorgt, geht auch die Herstellungsenergie endgültig verloren. Urban Mining stellt daher einen wertvollen, langfristigen Beitrag zum Klimaschutz dar,“ weiß die Bonner Presse-Redakteurin, und es „ist daher ein wichtiger Bestandteil bei der Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft auf kommunaler Ebene.“ Wie dies bis 2023 geschehen kann, bleibt offen.
Die „Lindlarer Freiräume“
In der nordrhein-westfälischen Gemeinde Lindlar im Bergischen Land, rund 45 km von Bonn entfernt, betreibt ein Tochterunternehmen der SWB (Stadtwerke Bonn) die Entsorgungs- und Wiederverwertungsanlage „Auf der Leppe“. Hier werden beispielsweise Metalle, die im Restmüll landen, wiederverwertet. Allen ist bewusst, dass Rohstoffmangel künftig ein großes Problem wird und dass brauchbare Abfälle zurück in den wirtschaftlichen Kreislauf gehören. Doch nicht nur das, wir müssen auch so konzipieren, dass die Kreislaufwirtschaft bereits in der Produkt- oder Gebäudeplanung mitgedacht wird. Es braucht also Konzepte, die die Einzelbestandteile möglichst sortenrein trennbar wiederverwertbar machen. In der kleinen Gemeinde ist man auf diesem Weg bereits einen großen Schritt weitergekommen. Sie plant momentan die konkrete Umgestaltung der „Lindlarer Freiräume“ unter nachhaltigen, ästhetischen und barrierefreien Gesichtspunkten, und zwar auf Basis des Urban Mining. Durch ein Ausschreiben im Sommer 2022 wurden passende Unternehmen ausfindig gemacht, die dies umsetzen sollen. Zu dem (Um-)Bauprojekt zählen u.a. das Schul- und Kulturzentrum, der Marktplatz und der Freizeitpark. Dabei sollen vor allem recycelte Baustoffe Verwendung finden. Zirkuläres Bauen und Klimawandelanpassungen stehen im Fokus der Planung. In der kleinen Gemeinde ist das große Konzept von der Kreislaufwirtschaft offenbar nachdrücklicher angekommen als in den nahen Ballungsräumen.
Urban Mining in unseren Städten – eine Frage der Zeit?
Die Presse-Redakteurin der Bundesstadt verweist darauf, dass es eine reine Frage der Zeit sei, wann auch Bonn mit ähnlichen Projekten beginnt: „Das Städtische Gebäudemanagement arbeitet ebenfalls daran, sich für das Ziel der Klimaneutralität des Konzerns Stadt bis 2035 umzustellen. Die energetische Sanierung städtischer Gebäude, das Erreichen hoher Energieeffizienzstandards sowie eine klimaschonende Baukonstruktion bei Neubauten haben höchste Priorität. Als langfristiges Ziel wird angestrebt, für die Gebäude der Stadt Bonn einen klimaneutralen Gebäudebestand und hohe ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit zu erreichen.“ In Zeiten der Inflation ist auch letzteres besonders interessant, denn auch im sozialen Sinne wäre eine Änderung unserer Praktiken nützlich, da Rohstoffe aus zweiter Hand zu preiswerteren Konditionen bezogen werden könnten. Einer schleppenden Umsetzung mit Geduld zu begegnen, lässt sich von kritischen Bürgerinnen und Bürgern nicht erwarten, denn dringende Maßnahmen zum Wohle von Mensch und Umwelt haben keine Zeit bis übermorgen.
Ein Dorf als Reallabor
Eine großflächige Umstellung auf die Kreislaufwirtschaft, vor allem im Gebäudesektor, ist in einer bevölkerungsreichen Stadt langwieriger als in einer kleinen Gemeinde wie Lindlar. Doch auch in der Hauptstadt NRWs tut sich langsam etwas: „Im Herzen des Medienhafens entsteht in diesem Zusammenhang The Cradle – ein Bürogebäude, das nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip integral geplant und gebaut wird: 97,7 % der Materialien, die zum Einsatz kommen, können in den Materialkreislauf zurückgeführt werden. Beim Abriss entsteht nahezu kein Abfall,“ heißt es auf der Webseite der SWD. Einer Umfrage zufolge seien immerhin 64% der Düsseldorfer Bevölkerung für solche umweltfreundlichen Investitionen. In Bonn, Düsseldorf und anderen Städten wäre nicht nur ein solches Vorzeige-Bauwerk wünschenswert, sondern es bräuchte ein digitales Stadtmodell, eine Datenbank, in der die Sekundärrohstoff-Ressourcen erfasst sind, für ein Management von Angebot und Nachfrage an wiederverwertbaren Rohstoffen. Abseits davon wäre die Neukonzeption architektonischer Bau- oder Umbaupläne, bereits jetzt machbar, stärker an zirkulären Standards auszurichten. Nach dem Motto „Kommt Zeit, kommt Rat“ gilt es also, abzuwarten. Rat und Wissen allerdings sind bereits vorhanden. Was in der Bundesstadt fehlt, ist das zügigere Schreiten zur Tat, wie es auf dem Land, in Lindlar beispielsweise, bereits geschieht. Das Großprojekt „Lindlarer Freiräume“ verknüpft, so lesen wir auf der Gemeindewebseite, „die Aufwertung der öffentlichen Räume und Grünflächen […] mit der zirkulären Wertschöpfung“ und hängt von bereits beantragten Fördergeldern ab, die über die REGIONALE 2025 beim Land NRW beantragt sind. Bürgermeister Dr. Georg Ludwig ist optimistisch, dass das Projekt damit 2028 bereits abgeschlossen werden kann und betrachtet Lindlar als Reallabor. Von diesem könnten sich Städte wie Bonn schon heute planerisch einiges abschauen. Die Entwicklung des Bundesviertels von der Reuterbrücke bis zur Kennedyallee steht in den nächsten Jahren an. Was wird da die Bundesstadt Bonn in der Bauleitplanung im Sinne des Urban Mining festschreiben? Das ist eine spannende Frage.
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