Alles muss anders bleiben
Dr. Manfred Fuhrich
Wer bei dem verwirrenden Buchtitel erwartet hat, dass es sich bei dieser Publikation um eine sehr persönliche Autobiographie eines alternden Grünen handelt, liegt auf den ersten Seiten richtig. Seine ersten Aktionsfelder lagen in Bremen und Göttingen. Das ist lange her. Da ging es noch um Tarife für Bus und Bahn und lokale Politik. Aber wer Trittin als grünen Politiker kennt, der weiß, dass er sich sehr engagiert und prononciert in politische Debatten eingebracht hat. Dies zunächst auf Landesebene in Niedersachen und dann für lange Zeit auch auf Bundesebene.
Für die jungen Leser*innen erscheint dies als Dokument längst vergangener Zeiten. Für die inzwischen gealterte 68-Generation werden Erinnerungen wach über zarte Erfolge und empfindliche Niederlagen. In beiden Fällen war Trittin häufig an vorderster Front. Als umweltbewegter Kämpfer hat er sein Engagement für Umweltschutz und Energiewende leidenschaftlich und unbeirrbar wirken lassen. Er steht wie kein anderer für die Schwierigkeiten, denen die Grünen ausgesetzt waren, als es noch als ungehörig erschien, die Dreiparteienlandschaft in Westdeutschland zu stören. Trittin hat gerne gestört – mit Nachdruck, mit politischem Gespür und mit hohem Sachverstand.
Auch noch heute – nach seinem Abgang aus dem Bundestag – ist er erfolgreich Gast in Talkshows und beliebter Interviewpartner. Mitunter hat er polarisiert, aber mit den Jahren hat er sich auch bei den politischen Gegnern Respekt verschafft. Wie sonst ist zu erklären, dass Angela Merkel eine Laudatio zu seinem Abschied hielt.
Aber das Buch bleibt nicht bei autobiographischen Ausflügen stehen. Vielmehr gibt es einen authentischen Einblick in den Politikbetrieb der Bundesrepublik. So ist es nicht etwa nur ein Buch über den Politiker Trittin, sondern fast schon ein Sittengemälde deutscher Realpolitik.
Das Buch führt uns hinter die real existierenden Kulissen der Bundespolitik. In entscheidenden Jahren war das beschauliche Bonn als Bundeshauptstadt der „Tatort“ politischer Auseinandersetzungen und Entscheidungen.
Sicher, alles aus der Sicht eines erfahrenen Grünen, aber er war ja auch in wichtigen Positionen dabei; zu erwähnen wäre vorrangig: als niedersächsischer Landesminister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Bundestagsabgeordneter, Bundesumweltminister, Parteivorsitzender der Grünen, Fraktionsvorsitzender der Grünen. Die Liste ist lang und ist in Wikipedia umfassend dokumentiert <https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%BCrgen_Trittin>. Er stritt u. a. für Einwegpfand, Atomausstieg, erneuerbare Energie, Ökosteuer, Energieeinsparungsgesetz, Klimaschutzprogramm und Bundesnaturschutzgesetz. Das waren viele Gelegenheiten, sich Feinde zu machen und sorgte für Kritiker auch in der eigenen Partei.
Durch die Lektüre des Buches erfährt man Hintergründe und Beweggründe für politische Entscheidungen, auch Fehlentscheidungen. Viele Entwicklungen werden erst durch die gelieferten Hintergrundinformation verständlich. Hierin liegt der große Werte des Buches. Es macht sichtbar, was bisher unbekannt geblieben ist und erklärt in zahlreichen Einzelfällen, warum es zu bestimmten Entscheidungen gekommen ist und wo nicht. Insbesondere hinsichtlich der Kontroversen und Beschlüsse zur Atompolitik. Aber nicht nur dort. Auch das Energieeinspeisungsgesetz wäre ohne Trittins Wirken anders formuliert worden.
Das Buch empfiehlt sich nicht nur für Zeitgenossen, die die letzten 50 Jahre nochmal Revue passieren lassen wollen und es mit eigenen Erfahrungen spiegeln können. Es ist auch als Lehrstück für die junge Generation hervorragend geeignet, politisches Gespür für das Machbare zu entwickeln und auch bei vorübergehenden Niederlagen oder Rückschlägen nicht zu verzagen. Dies gilt gerade in Zeiten, in denen der menschengemachte Klimawandel immer noch geleugnet wird, in denen der Schutz der Umwelt immer noch gefährdet ist. Naturschutz und Wohlstand wird von vielen als Widerspruch empfunden.
Immer noch scheinen ökonomische Argumente schwerer zu wiegen als ökologische. Seit der bahnbrechenden Publikation von „Grenzen des Wachstums“´ tobt nun dieser Kampf um die Meinungshoheit, auch wenn die wissenschaftlichen Erkenntnisse ein klare Sprache sprechen. Im Frühjahr 1972 legte ein 17-köpfiges Forscherteam um den Wissenschaftler Meadows das einflussreiche Umweltbuch bereits vor.
Trittin hat stets eine klare Sprache gesprochen und hat weiter gekämpft auch in schwierigen Zeiten. Das können wir und insbesondere die Jugend von ihm lernen.

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