Wetter ist jetzt – Klima ist Statistik
Wetter erleben wir alltäglich. Klima nehmen wir eher über statistische Daten wahr. Doch die Meldungen über den Klimawandel global und auch bei uns dringen immer stärker in unser Bewusstsein ein und verdeutlichen unsere Verantwortung.
Dr. Manfred Fuhrich und Susanna Allmis-Hiergeist
1. Wie hat der Klimawandel Bonn, den Rhein-Sieg-Kreis und die Siebengebirgsregion in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten geprägt und verändert?
Ganz viele Dinge haben sich verändert bzw. verändern sich: Am auffälligsten ist sicherlich der Wandel der Wälder. Nach 2018 ließ sich ein massives Fichtensterben beobachten. Im Kottenforst und Siebengebirge, aber auch im Westerwald sowie in der Eifel, sind Teile der Wälder schlicht abgestorben. Aber auch die extremen Niedrigpegel des Rheins und die nahezu schneefreien Winter der letzten Jahre zeigen eindrucksvoll, wie weit der Klimawandel in Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis bereits fortgeschritten ist.
2. Gibt es eindeutige Zusammenhänge zwischen klimatischen Veränderungen und Extremwetterereignissen wie Starkregen in Ihrem Vorhersagegebiet?
Zusammenhänge waren lange Zeit umstritten; mittlerweile ist man aber in der Lage, diese statistisch nachweisen zu können. Es zeigen sich Effekte, dass die Häufigkeit und Intensität von konvektivem Niederschlag, verbunden mit Schauern und Gewittern, zunehmen. Auch die Regenmenge pro Zeiteinheit hat zugenommen. Somit kann man klar feststellen, dass mit dem Klimawandel – nicht nur theoretisch oder in Modellen – Veränderungen etwa bzgl. der Starkregenhäufigkeit einhergehen. Wir müssen uns darauf einstellen, dass Starkregenereignisse, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben (etwa Tief „Bernd“ 2021), insgesamt häufiger zu erwarten sind. Wenn auch nicht gleich in dieser extremen Ausprägung wie bei der Flutkatastrophe im Ahrtal.
3. Welche Maßnahmen gegen den Klimawandel sind aus Ihrer Sicht am erfolgversprechendsten?
Ich bin der Ansicht, dass bei der Ergreifung von Maßnahmen danach geschaut werden sollte, welche weltweite Wirksamkeit mit ihnen erzielt werden können. Und ob die Erfolgsaussichten einer Maßnahme im Verhältnis zum betriebenen Aufwand stehen. Was bringt, wann und wo, was?
Bei dieser Frage sind zum Teil auch politisch große Fehler gemacht worden, die dem Klimaschutz statt Nutzen eher Schaden zugefügt haben. Stichwort „Heizungsmodernisierungsgesetz“, bei dem es sehr schnell zu einem Akzeptanzmangel kam. Vor allem in einer politisch aufgeladenen Situation versuchen extreme Kräfte alles zu delegitimieren. Auf den Punkt gebracht: Man muss immer schauen, was man erreichen will, was möglich ist und zudem in der aktuellen politischen Situation machbar. Gerade in den ökologisch orientierten Kreisen sollte das eigentliche Ziel nicht aus den Augen verloren werden: Es geht nicht darum, in der eigenen Blase die besten Forderungen aufzustellen oder eigene Ideale zu verherrlichen, sondern möglichst viele Menschen aus der breiten Masse zu mobilisieren.
4. Wie erklären Sie sich die Diskrepanz zwischen Befürwortung von mehr Klimaschutz einerseits und andererseits Ablehnung von konkreten Umweltmaßnahmen?
Bei nicht wenigen wackelt die Befürwortung dann, wenn der Klimaschutz das eigene Leben und lieb gewonnene Gewohnheiten zum Negativen verändern soll. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und Maßregelungen, wie das eigene Leben zu führen sein soll, sind nicht gerade beliebt. Besonders dann nicht, wenn es ans eigene Portmonee geht. Hier sollte möglichst auf Anreize statt auf Verbote gesetzt werden. Manchmal habe ich das Gefühl, dass man hierzulande ein Versprechen abgegeben hat: Sechs Wochen Urlaub pro Jahr, 40 Jahre Arbeit, danach Rente und was ich einmal gelernt habe, das ziehe ich auch bis zum Ende durch. Viele haben sich quasi auf eine statische Welt eingelassen (die ihnen vielleicht auch versprochen wurde). In dieser Welt ist der Klimawandel allenfalls ein Randgeschehnis und es gibt keinerlei Konflikte. Man erwartet, dass der Staat schon alles abschirmt, was für das eigene Leben problematisch ist. Dass diese Welt eine Illusion ist, ist in diesen 2020er-Jahren für ganz viele Menschen zu einer sehr unangenehmen Erfahrung geworden.
Bislang lag die Basis des Wohlstands auf fossilen Energien, dafür verließ man sich blindlings auch auf Autokratien. Ich befürchte, dass der Widerstand gegen Veränderungen in den nächsten Jahren noch zunehmen wird. Ein gewisses Verständnis gerade für ältere Generationen sollte man hier aber dennoch haben: Verkehr, Digitalisierung, KI, Energie und der Klimawandel, der über allem steht – die Veränderungen in unserem Alltag und Leben sind nicht nur vielfältig, sondern verlaufen zudem in einem wahnsinnigen Tempo. Dennoch muss ein Wandel her, auch zum Wohle der Natur.
5. Welche Ebene ist aus Ihrer Sicht entscheidender für die Kommunikation: konkrete Wettererlebnisse oder generelle Klimaverhältnisse?
Ganz klar konkretes Wettererleben! Extremes Wetter wie an der Ahr vor drei Jahren, aber auch Hagel-, Orkan- oder Hitzewellen, ist im Gegensatz zu der eher statistischen Klimaebene um einiges greifbarer für uns Menschen. Es ist das punktuelle „Erleben an eigener Haut“, was in unseren Köpfen Spuren hinterlässt.
6. Welche Argumente sind besonders geeignet, die Leugner*innen des menschengemachten Klimawandels zu überzeugen?
Ehrliche Antwort? Keine! Wer den menschengemachten Klimawandel gegenwärtig noch immer leugnet, den wird man auch zukünftig nicht überzeugen können. Ich mache seit etwa 35 Jahren Wettervorhersagen und habe mit Verschwörungstheoretikern und „Totalleugnern“ bereits seit den 2000er-Jahren immer wieder zu tun. Die können Sie auch mit den besten Argumenten nicht überzeugen. Ich mache mir um diese Personengruppe, die eigentlich nichts anderes als Zeitfresser sind, schon längere Zeit keinen Kopf mehr. Ich lasse sie in ihrer Blase leben, dafür sollen sie mich in Ruhe lassen.
7. Wiederholt treten die Wettervorhersagen nicht so ein wie angekündigt. Das erzeugt Skepsis gegenüber den Prognosen. Wie könnten diese zuverlässiger oder ortskonkreter verbessert werden?
Hier kommt es auf die Art der Wettervorhersage an. Eine Temperaturabweichung von einem Grad etwa oder dass der Regen ein wenig früher kommt als angekündigt, ist immer wieder mal möglich und vielleicht ein wenig unglücklich für unsere Freizeitgestaltung. Das Entscheidende aber ist doch, um mal ganz ehrlich zu sein: Wir müssen dann richtig liegen, wenn Menschen in Gefahr sind. Etwa bei der Ahrtalflut, die weitgehend prognostiziert, aber von entscheidenden Stellen nicht wahr- bzw. ernstgenommen wurde. Hier ließe sich allenfalls diskutieren, ob die Kommunikation auch von Meteorologenseite gestimmt hat.
Man darf nicht kleine Fehler oder Schwankungen in der Prognose zum Maßstab der Wettervorhersage machen; ebenso wenig wie obskure Wetter-Apps. Wettervorhersagen haben immer eine gewisse Genauigkeit und Wahrscheinlichkeit. Manchmal liegen sie falsch, nach 48 bis 72 Stunden nimmt die Wahrscheinlichkeit schon deutlich ab. Aber: Auch Wettervorhersagen werden immer besser, nicht zuletzt auch mit Unterstützung künstlicher Intelligenz, der Wetterlagen „antrainiert“ werden können. Ich bin mir sicher, dass sich in den nächsten Jahren auf diesem Feld einiges tun wird, etwa auch bei der Vorhersagegüte lokaler Starkregenereignisse. Die perfekte Vorhersage wird es wohl aber nicht geben.
8. Haben Sie den Eindruck, dass man aus den Hochwasserkatastrophen an Ahr und Erft gelernt hat, um eine Wiederholung zu verhindern oder deren Folgen abzumildern?
Ich denke schon. Ich bin seit knapp drei Jahren als Berater für den Rhein-Sieg-Kreis tätig und übe dieses Amt sehr gerne aus. Auch wenn es ein wenig pathetisch anmuten mag; nicht aus ökonomischen Gründen, vielmehr weil ich es als Aufgabe sehe, Menschen vor Unglück und Schaden zu bewahren. Die Flut im Jahr 2021 war ein einschneidendes Erlebnis und ich habe das Gefühl, dass wir seitdem besser aufgestellt sind und aus den Ereignissen gelernt haben. Ich kann nicht ausschließen, dass bei ähnlichen Extremlagen auch zukünftig Fehler gemacht werden. Das wird sich zeigen. Denn die nächste Unwetterkatastrophe kommt bestimmt. Dann können wir es vielleicht wieder mit ganz anderen neuen Herausforderungen zu tun bekommen, etwa im Rahmen eines Erdbebens, Hagelunwetters oder Waldbrands. Wichtig: Wir müssen die Erinnerung wachhalten, dass wir zu jederzeit und überall durch Extremlagen gefährdet sind. Die „Hochwasserdemenz“, wie ich sie nenne, darf keinen Einzug in unseren Köpfen erhalten.
9. Die Deutsche Bahn zahlt nicht mehr für wetterbedingte Verspätungen oder Zugausfälle. Müssen wir mit mehr Beeinträchtigung der technischen Infrastruktur rechnen?
Ich bin mir sicher, dass wir auch zukünftig mit vielen infrastrukturellen Beeinträchtigungen durch Starkregen etc. rechnen müssen. Ob der Weg der Deutschen Bahn der richtige ist, lasse ich mal dahin gestellt. Ins Schienennetz ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten bekannterweise viel zu wenig investiert worden, hinzu kommt nun extremeres Wetter. Mein Eindruck ist, dass man Wetterextreme bei der Bahn damals einfacher abfangen konnte als heute, da war die Personalsituation aber auch noch nicht so angespannt.
10. Wie lässt sich aus Ihrer Sicht global mehr Klimagerechtigkeit erreichen?
Ganz schwierige Frage. Mein Standpunkt ist, dass Schwellen- und Entwicklungsländern geholfen werden muss, moderne Klimatechnik so einzusetzen, dass sie vor allem die im Süden noch gravierenderen Folgen des Klimawandels besser stemmen können. Da gehören technische wie finanzielle Maßnahmen zu, aber auch die Hilfe dafür, transparenter zu werden. Zudem müssen die Menschen in den Schwellen- und Entwicklungsländern wieder vom Anbau ihrer Früchte leben können, denken wir beispielsweise an Kakao. Hier sieht klimagerechter Anbau etwa die Anpflanzung von Schutzbäumen vor, die die eigentlichen Kakaobäume vor der Witterung schützen und so die Ernte sichern.
Gefährlich ist, dass wir uns aktuell in einer Zeit der Großmächte, Konkurrenz und des Krieges befinden. Auch in den nächsten Jahren wird es sehr schwierig sein, Wege für eine globale Zusammenarbeit zu finden. Vor allem aufgrund der sich abzeichnenden Konkurrenzschiene zwischen Europa und den USA auf der einen und China und Russland auf der anderen Seite.
Oder anderes formuliert: Autokratien gegen westliche Demokratien. Dies ist eine sehr problematische Entwicklung, auch was die Zusammenarbeit in Klimafragen angeht. Die Herrscher von Autokratien, deren Anzahl zuletzt gestiegen ist, scheren sich im Grunde keinen Deut um eine Klimagerechtigkeit. Daher hoffe ich, dass die demokratischen Systeme wieder an Land gewinnen werden.
Infos zum Interviewpartner
Karsten Brandt (*25.Mai 1973) ist gebürtiger Bonner und hat schon während der Schule den Wetterdienst „Brandt Wetter“ ins Leben gerufen. Der wurde dann nach kurzer Zeit von der Seite www.donnerwetter.de abgelöst. Nach seinem Studium in BWL sowie Geschichte und Politik promovierte Brandt mit seiner Arbeit zur ökonomischen Bewertung meteorologischer Vorgänge. Seitdem hat er als Wettermoderator Bekanntheit erreicht und tritt mit seinen Ansichten zur globalen Erwärmung im Zusammenhang mit meteorologischen Vorkomnissen auch häufig in TV-Sendungen als Experte auf.
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