Zeitenwende – Was macht uns resilient?
Wie wollen wir leben als Individuum und Gesellschaft? Was befähigt uns, aus Krisen im positiven Sinn verändert hervorzugehen? Was ist Resilienz und worin liegt ihr Geheimnis? Dieser Fragespur sind wir im Gespräch mit der Philosophin und Chefredakteurin des Philosophie Magazins Svenja Flaßpöhler im Rahmen der 9. phil.cologne gefolgt. Im Oktober ist ihr neues Buch Sensibel erschienen.n der 9. phil.cologne gefolgt. Im Oktober ist ihr neues Buch Sensibel erschienen.
Liebe Frau Flaßpöhler, was verbinden Sie mit dem Begriff Zeitenwende?
Vieles. Ich glaube, wir leben gerade in mehrfacher Hinsicht in einer Zeitenwende. Zum einen weil man beobachten kann, dass das, was wir traditionell unter Freiheit verstehen, sich verändert. Also Freiheit im liberalen Sinne heißt ja eigentlich individuelle Freiheit, Selbstbestimmung, Mündigkeit, eine Freiheit vom Zugriff des Staates. Wir erleben aber gerade in der Coronakrise und natürlich auch der Klimakrise, wie sich das sehr stark verändert, also wie gesagt wird, wir müssen unsere Freiheit einschränken, damit wir leben können. Und das, glaube ich, ist eine ganz wesentliche Zeitenwende. Eine zweite beobachte ich dahingehend, dass wir inzwischen in einer hochsensiblen Gesellschaft in vielerlei Hinsicht leben.
Was ist Resilienz?
Resilienz ist ein Wort, das aus dem Lateinischen kommt, und meint so viel wie Widerstandskraft, wörtlich heißt es abprallen, zurückprallen, zurückspringen. In dem Wort selber schwingt natürlich fast schon eine gewisse Verpanzerung oder Verhärtung mit. Ich glaube aber, dass das so nicht stimmt, sondern dass man eigentlich sehen müsste, inwiefern Sensibilität und Resilienz ganz tief zusammenhängen.
Was macht uns resilient?
Da gäbe es jetzt sicherlich verschiedene Antworten drauf. In der Philosophie findet man ebenfalls ganz verschiedene Antworten. Nietzsche ist der Resilienzdenker schlechthin, von dem stammt der ganz berühmte Satz Was mich nicht umbringt, macht mich stärker. Und das wurde dann häufig im Sinne dieser Verpanzerung und Verhärtung fast als etwas Soldatisches gelesen. Wenn man sich aber ansieht, wer Nietzsche war, dann verschiebt sich das sofort. Denn Nietzsche selber war ein hochsensibler Mensch, der unter Migräne litt, sehr anfällig war für klimatorische Veränderungen. An Nietzsche zeigt sich sehr schön, dass die Resilienz eigentlich aus einer ganz tiefen Sensibilität und auch Verwundbarkeit hervorgeht. Und insofern würde ich sagen, dass man schon in der Philosophie Hinweise darauf findet, dass die wahre Resilienz gar nichts mit Verpanzerung zu tun hat, sondern sogar eher etwas mit einer gewissen Offenheit und Plastizität.
Wie genau hängen Sensibilität und Resilienz zusammen?
In dem Sinne, dass man sagen könnte, dass die Resilienz eigentlich aus einer Wunde, aus einer Verwundbarkeit heraus erwächst, das sollte man nicht vergessen, also dass es nicht darum geht, einfach nur eine undurchdringliche Schale herauszubilden. Man weiß genau, wie das mit harten Schalen ist, irgendwann kriegen sie Risse, das heißt, erst Sensibilität verleiht der Resilienz die nötige Elastizität.
Das hört sich jetzt alles sehr funktional an. Wenn man es jetzt noch einmal politisch, gesellschaftlich denkt, gibt es immer noch Ungerechtigkeiten, Unwuchten in der Gesellschaft, feministisch betrachtet, aber auch mit Blick auf existenten strukturellen Rassismus. Wir sind sehr empfindlich geworden für Wörter. Wir wollen bestimmte Begriffe nicht mehr verwenden. Viele Institutionen sprechen inzwischen eine gendergerechte, gendersensible Sprache, das heißt, wir sind sehr sensibel geworden für noch real existierende gesellschaftliche Ungerechtigkeiten, Unwuchten, und das ist auch richtig so. Meine These ist, wir brauchen einen zweifachen Blick. Wir müssen genau diesen Blick haben für real existierende Ungerechtigkeiten und Unwuchten, aber wir dürfen nicht das Subjekt aus dem Blick verlieren.
Würden Sie sagen, es gibt ein direktes Verhältnis von Resilienz und Engagement?
Ja, das glaube ich ganz bestimmt. Das sieht man an Bewegungen wie fridays for future, an Greta Thunberg oder Luisa Neubauer, die ganz extremem Widerstand und Angriffen ausgesetzt sind. Um überhaupt ihre Frau zu stehen, müssen sie widerständig sein, dies würde sonst überhaupt nicht funktionieren. Also jede Art von politischem Widerstand braucht Resilienz. Ich würde aber auch sagen, dass der Mensch unabhängig vom politischen Widerstand Resilienz braucht, weil das Leben und die Welt sich nicht unendlich an einen selbst anpassen können, sondern man muss Welt und Individuum in dieser Spannung sehen. Dafür braucht man eine Art von innerer Stärke, die gerade aus der Verwundbarkeit erwächst, um gut zu leben, um gut im Leben zurecht zu kommen.
Nassim Taleb, ein Ökonom, auch Risikoforscher und früher Investmentbanker, hat gesagt, wir müssen nicht mit dem Wahrscheinlichen rechnen, sondern mit dem Unwahrscheinlichen. Und zwar im produktiven Sinne. Wir sollten das Unwahrscheinliche nicht versuchen zu bannen, sondern eher offen sein und mit ihm etwas machen, es produktiv aufnehmen. Da berührt sich Taleb auch wiederum mit Nietzsche, der immer gesagt hat, wir müssen offen sein, auch für das Leid. Auch das Leid ist etwas, was uns helfen kann, uns zu entwickeln. Nicht abschotten, nicht alles Risiko verhindern, sondern eine Offenheit der Welt und der Zukunft entgegenbringen. Was ganz konkret aus einer solchen Offenheit folgen könnte, wäre die Kunst der Improvisation und das ist ja etwas, was wir jetzt in der Coronakrise zum Beispiel in jeder Familie beobachten konnten. Wir mussten wirklich improvisieren, weil wir uns auf die Institutionen und auf die Strukturen nicht mehr verlassen konnten. Da ist etwas über uns hereingebrochen, womit keiner gerechnet hat. Plötzlich muss man anfangen zu spielen und auszuprobieren. Und da sieht man schon, dass Resilienz wirklich auch eine Dynamik hat, nichts Starres, nichts Festes, sondern eine Beweglichkeit ist. Fast könnte man sagen eine Ästhetik – vielleicht sogar.
Vielen Dank für das Gespräch.
Video: https://youtu.be/zNRJghjGC4g
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