Jürgen Huber
Selbst in einer Stadt, die völlig zubetoniert ist, findet sich immer ein Fleckchen mit grünem Bewuchs. Wir begleiten die Klasse 3b der Stiftsschule in Bonn, um die Stadtwildnis zu entdecken.
Wenn ich mit spitzen Ohren durch die Stadt laufe, sieht für manches Kind der Alltag in einer (Groß)- Stadt so aus: „Nein, fass das nicht an, pass auf deine Klamotten auf, mach die nicht dreckig. Pflück das bloß nicht ab, nimm nichts in den Mund. Kletter nicht auf den Baum“. Das sind nur einige Warnungen, die sich viele Stadtkinder von deren Eltern anhören müssen. Auch die „Obrigkeit“ verbietet den Kindern schon mal Dinge, die ihnen gut gefallen. Betreten des Rasens verboten, Ballspielen nicht gestattet, und Vieles mehr! Besteht die Gefahr, dass eine Generation heranwächst, die meint, die Milch komme aus der Tüte? Die eine Kuh nicht von einem Zebra unterscheiden können? Fehlt hier die Berührung mit der Natur?
Das muss nicht sein, meinen die Bonner Organisationen „Abenteuer Lernen e. V.“ und „BIO – Diverse“. Es gibt auch in der Stadt eine Wildnis, die oft unentdeckt bleibt. Das Projekt „Stadtwildnis – Biodiversität und Bildung für nachhaltige Entwicklung“ zielt darauf ab, besonders „junge Menschen durch spannende Bildungsangebote für die ‚wilde Natur‘ in der Stadt zu sensibilisieren und zu begeistern“.
Jetzt begleite ich die Klasse 3b der Stiftsschule Bonn, angesiedelt mitten in der Stadt, um gemeinsam die Stadtwildnis zu entdecken. Bei der Vorstellung vernahm ich einen Mischmasch aus Deutsch, Spanisch und Englisch, diese Klasse ist bilingual. Geplant und durchgeführt wird dieser Ausflug von Wiebke Ecker, Naturerlebnispädagogin vom Abenteuer Lernen e. V.
Die erste Runde findet auf dem Schulhof statt; auf einem Stadtplan Bonns vermerkten die Kids, welche Tiere sie wo schon gesichtet hatten. Die Kids kannten doch eine Menge Stadttiere. Sogar von Waschbären wurde berichtet. Weiter ging es vom Schulhof in die Engeltalstraße. Die nächste Aufgabe bestand darin, mit Schnipseln auf dem Gehweg die Stellen zu markieren, an denen Grünes zu entdecken ist. Der Bürgersteig sah anschließend aus wie nach einem Karnevalszug. Dieses beweist uns, dass bei guter Beobachtungsgabe doch ganz schön viel grün in der Stadt vorkommt. Am Ende des Weges fragte Wiebke Ecker die Kids, was denn mit dem Bürgersteig passieren würde, wenn der Hausmeister kündigt und kein neuer gefunden würde. Schnell kam die Antwort: „Dann wächst hier alles zu“. Da der Hausmeister gekündigt hatte gab es niemanden, der die Kids daran erinnerte, die Schnipsel wieder aufzuheben. Die Erinnerung erledigte dann Wiebke Ecker, der Bürgersteig sah anschließend wie geleckt aus.



Jetzt ging es vorbei an der Mauer zur Beethovenhalle. In der nächsten Aufgabe sollte jedes Kind ein Efeublatt „ernten“. Neben dem Efeu fanden sich viele zarte Pflänzchen in den Mauerritzen. Die seit mehreren Jahren nicht mehr genutzte Treppe vom Rhein zur Beethovenhalle zeigte uns, wie schnell sich die Natur wieder ausbreitet. Gewarnt wurde vor der Giftigkeit der Eibe.
Mit Spannung erwarteten wir den Sinn des geernteten Efeus. Die Efeublätter wurden zerkleinert und mit Wasser in einem Glas vermischt. Das erinnert mich an Experimente in meiner Kindheit. Aber siehe da, jetzt lüftete sich das Geheimnis, wir sind im Begriff, Flüssigseife herzustellen. Nachdem jedes Kind dreißig mal geschüttelt hatte war die Seife schon fertig. Der etwas zu flüssige Zustand wurde mit einem Löffel Guakernmehl verändert.



Im nächsten Block bekamen Vierergruppen einen Zettel mit je einer Aufgabe. Begriffe wie „finde etwas, das fliegen kann, finde Spuren von Tieren, finde Seltenes oder finde etwas zum verknoten“ kamen darin vor. Aus diesen „Fundstücken“ wurden vier Kunstwerke erstellt und von den Kids benannt. Die vier Namen waren „Wildnispark“, „Das Netz der Tiere“, „Blütenbaum“ und „Natur Arena“.




Im Finale beobachteten wir zuerst Kormorane beim Trocknen der Flügel. Was geschehen würde, wenn wir jetzt alle zu denen laufen würden, war klar. So machten wir final noch eine „Anschleichübung“. Hier bildeten wir einen Kreis. In der Mitte stand ein Kind mit einer Sprühflasche voller Wasser und verbundenen Augen. Einer aus dem Kreis musste sich anschleichen. Wenn die/der „Sprayer*in“ das heranschleichende Kind bemerkte, durfte es dieses ansprühen. Klar, dass viel mehr als notwendig gesprüht wurde.
Zum Ende dankten wir alle Wiebke für diese tolle Führung. Abschließend erzählte sie, wie eine im Garten vergessene Barbie Puppe immer mehr Haare verlor und sie neugierig das Geschehen um das Verschwinden der Haare beobachtete. Vögel befanden diese Haare als ideales Material zum Bau ihrer Nester.
Davon motiviert schenkte sie der Klasse noch ein Knäuel mit Schafwolle zum Filzen, welches auf dem Schulhof ausgelegt werden sollte, um den Vögeln gutes Baumaterial zur Verfügung zu stellen.
Dieses Projekt wird finanziert durch die NRW Stiftung für Umwelt und Entwicklung, die HIT-Umweltstiftung und die Postcode-Stiftung. Nur deshalb können die Kurse kostenfrei angeboten werden. Das Projekt läuft bis Mai 2023 und es wird bis dahin gerne noch vielen weiteren Schulklassen die “wilde Seite” von Bonn näher gebracht.
0 Kommentare