Entscheidung erst in 2068?

Im Herbst 2020 hatte die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) den „Zwischenbericht Teilgebiete“ veröffentlicht, in dem 54 Prozent der bundesrepublikanischen Fläche als endlagertauglich ausgewiesen war. Zwei Jahre später ist zumindest methodisch beschrieben, wie daraus circa zehn Standorte für eine oberirdische Erkundung gewonnen werden sollen. Doch die methodischen Konkretisierungen stellen die bisherigen Zeitpläne erheblich in Frage.


Susanna Allmis-Hiergeist


Bis 2031 sollte dem Bundestag nach bisherigem Konzept ein entscheidungsreifer Vorschlag für die unterirdische Einlagerung von hochradioaktivem Müll vorliegen. In den letzten Jahren wurden dazu mittels geowissenschaftlicher Abwägung 90 für die Endlagerung geeignete sogenannte Teilgebiete ermittelt. Dies geschah ausschließlich auf der Basis vorhandener geologischer Daten oder in der wissenschaftlichen Literatur beschriebener Eigenschaften der örtlich vorhandenen Gesteinsart.

Aus 90 werden maximal 10

Zur weiteren Eingrenzung von 90 Teilgebieten hin zu 6 bis 10 Standortregionen für eine oberirdische Erkundung sind vorläufige repräsentative Sicherheitsuntersuchungen vorgesehen (rvSU). Hierzu hat die Vorhabenträgerin BGE Mitte dieses Jahres ihren methodischen Ansatz vorgestellt. Viel Misstrauen entstand, weil die Brauchbarkeit der Methodik an vier realen Modellgebieten mit Ton-, Kristallin- und Salz-Untergrund erprobt wird.

Im Rahmen der rvSU werden erstmalig Geologie und Endlagertechnik gemeinsam betrachtet. Vor der Einlagerung müssen beispielsweise die heute in den Zwischenlagern aufbewahrten 1900 Castoren, die die verbrauchten Brennelemente enthalten, in endlagergeeignete Behälter umverpackt werden. Da je nach Gesteinsart unterschiedliche Behältertypen mit mehr oder weniger Wärmeabstrahlung zum Einsatz kommen, ändert sich die Packungsdichte und damit die benötigte Größe des unterirdischen Stollens (auch einschlußwirksamer Bereich genannt). Ergebnis der rvSU ist eine qualitative Aussage über einen möglichen sicheren Einschluss und eine Kategorisierung der Teilgebiete in Eignungsstufen, wobei nur die Kandidaten der höchsten Eignungsstufe A im weiteren Verfahren verbleiben. Die BGE hat zugesagt, einmal jährlich eine Liste der gewonnenen A-Gebiete zu veröffentlichen. Es ist leicht vorstellbar, welchen Sturm das bei den gelisteten A-Kandidaten auslösen wird, zumal die Raumplanung auf Landes-, Regions- und Gemeindeebene bei dem hier praktizierten Legalverfahren gegenüber den Entscheidungen des Gesetzgebers zurückstehen muss.

Da das Motto „Geologie first“ gilt, könnte sich der sicherste zu findende Endlagerstandort denkbar unter Berlin-Mitte befinden. Schon an der Karte des Zwischenberichts Teilgebiete sieht man jedoch, dass die großen Städte weitgehend als Standortregionen ausgespart und allenfalls in Randbereichen tangiert sind. Diese Tendenz stützen die sogenannten Planungswissenschaftlichen Abwägungskriterien (planWK). Sie dienen der weiteren Einengung, wenn das Ensemble an Kategorie A-Kandidaten zu groß ist oder die mit A bewerteten Teilgebiete so ausgedehnt sind, dass innerhalb der Gebiete weiter differenziert werden muss.

Gewichtete Nutzungsrechte

Die 11 planWK berücksichtigen Nutzungsansprüche an die übertägigen Flächen und den darunterliegenden Untergrund. Sie sind in drei Gewichtsgruppen (GG) unterteilt. Die höchste Gewichtsgruppe bewertet die Nutzungsrechte des Menschen, zum Beispiel die Besiedelung, Emissionsbelastungen und die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung. In GG2 finden sich Kriterien zum Erhalt von Naturschutzgebieten oder bedeutenden Kulturgütern. Schließlich werden in GG3 konkurrierende Nutzungen wie Bodenschätze oder vorhandene Geothermieanlagen oder Erdspeicher betrachtet.

Mit der Auswahl der Standorte für eine oberirdische Erkundung zur Beurteilung der Stabilität des Deckgebirges und einem entsprechenden Beschluss des Bundestages endet die Phase 1 des Standortauswahlverfahrens, voraussichtlich in 2027. In Phase 2 werden diejenigen Standorte ausgesiebt, die in der anschließenden Phase 3 auch unterirdisch erkundet werden sollen. Das Verfahren endet mit der Entscheidung des Deutschen Bundestages über den „Bestmöglichen sicherheitstechnischen Einschluss“, bisher geplant für das Jahr 2031.

Erst in fast 100 Jahren unter der Erde?

Doch die Befassung mit der Methodik und der damit verbundenen Vielfalt benötigter Daten aus unterschiedlichsten Datenquellen zwang auch zu einer erneuten Evaluierung der Zeitpläne. In einer Veranstaltung des Forums Endlagersuche am 30.11.2022 bestätigte die BGE im Prinzip die von der Presse kolportierte Verschiebung der Standortentscheidung um 15 bis 37 Jahre. Ob die Evaluierung in Phase 3 durch Bohrungen oder ein Erkundungsbergwerk erfolgt, bestimmt maßgeblich den zeitlichen Korridor. Weitere 50 Jahre würden nach Expertenmeinung vergehen, bis der letzte Behälter eingelagert ist. Bis dahin stehen die 1900 Castoren in ihren Zwischenlagern vergleichsweise ungeschützt in oberirdischen Hallen.

Nähere Infos, Termine und Beteiligungsmöglichkeiten unter www.endlagersuche-infoplattform.de

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