Das Theaterprojekt MYZEL des fringe ensemble startet

19. Februar 2024 | Ausgabe 1 / 2024 Bäume, Gesellschaft, Nachhaltigkeit, Susanna Allmis-Hiergeist | 0 Kommentare

Connected – Nature takes over

Kann Kunst dazu beitragen, uns die Natur näher zu bringen? In einem mehrjährigen Projekt hatte sich ein Schulteam der Bertolt-Brecht-Gesamtschule (BBG) mit der Rolle von Religion und Philosophie für das Naturverständnis befasst. Nun wird gemeinsam mit dem fringe ensemble der Blickwinkel im Theaterprojekt MYZEL um künstlerische Aspekte erweitert.
Ein Artikel aus der aktuellen Print Ausgabe Seite 12

 


Kirsten Huppertz und Susanna Allmis-Hiergeist


„Der Mensch hat die Natur für seine Zwecke genutzt, ausgenutzt, übernutzt, in den Dienst der Ökonomie gestellt. Zwei der eklatantesten Folgen sind der Klimawandel und das Sterben der Pflanzen und Tierarten. Wir brauchen einen Bewusstseinswandel, eine radikale Verschiebung unserer Perspektive“, formuliert das Bonner fringe ensemble. Und hat deshalb das Projekt MYZEL auf den Weg gebracht.

„Wach werden. Themen wie Pflanzen und Klimaschutz auffrischen. Gut, dass es draußen war. Freies Sprechen.“ (Schülerzitat)

Im „Dschungel“, einem zur Bertolt-Brecht-Gesamtschule in Tannenbusch gehörigen Gartengrundstück, stand im Oktober eine knappe Woche ein Theatercontainer. Der mit Sofa, vielen Kissen, Tee und Keksen ausgestattete Container wurde als Workshop-Raum von einem Team des Bonner fringe ensemble aufgestellt. Hier konnten Schüler*innen in kleinen Gruppen mit Schauspieler*innen, einem Theaterpädagogen und einer Tänzerin das Thema Mensch – Natur spielerisch erkunden.
Das gestörte Gleichgewicht zwischen Menschen und Natur erfordert nach Ansicht der Ensemblemitglieder eine Öffnung der Perspektive. Deshalb wollen sie mit unterschiedlichen Gruppen der Zivilgesellschaft, insbesondere jungen Menschen in Kontakt treten. Gemeinsam soll ein möglichst perspektivenreiches Bild von Natur-Mensch-Vorstellungen, von Geschichten und Utopien rund um das Leben mit der Natur entstehen. Der Projektname MYZEL verweist als Leitmotiv auf die Arbeitsweise des Projekts.

„Mir hat gut gefallen: Tee, Kekse, viel Spaß. Dafür haben wir von uns und der Natur erzählt und so etwas zum Theaterstück beigetragen.“ (Schülerzitat)

Inspiriert hat das fringe-Team das Buch Merlin Sheldrakes „Verwobenes Leben – Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen.“ Hierin werden die Eigenschaften und das Verhalten Myzel-bildender Pilze beschrieben. Ein bestimmendes Merkmal ist ihre symbiotische Verbindung mit Pflanzen, insbesondere Bäumen.
Das eigentliche Leben Myzel-bildender Pilze spielt sich verborgen im Boden ab. Die oberirdischen, jahreszeitlich gebildeten Fruchtkörper dienen der Sporenbildung und Vermehrung. Aus den Sporen entwickeln sich fadenförmige Hyphen, die sich ähnlich wie Baumwurzeln verzweigen, aber auch zu Netzwerken fusionieren können. Von diesem filigranen Röhrensystem werden Nährstoffe absorbiert, gespeichert und mit Partnern ausgetauscht.
90 Prozent aller Landpflanzen können über ihr Wurzelsystem mit bestimmten Pilzen in Austausch treten. Dabei filtert das viel feinere Hyphen-System zum Beispiel Mineralien für die Bäume aus dem Boden und erhält im Gegenzug Zucker für sein Wachstum aus der Photosynthese der grünen Blätter. Interessant ist, dass das Myzel auch auf die Gegenleistung „warten“ kann, wenn der pflanzliche Partner – etwa bestimmte Orchideenarten – erst mit zeitlichem Versatz liefert.
Pflanzen profitieren jedoch nicht nur vom Nährstoffaustausch, sondern auch vom Informationstransfer im Myzel. Es wurde nachgewiesen, dass die Kommunikation über Schadinsekten mit den Nachbarpflanzen unterirdisch schneller vonstatten geht als beispielsweise über Duftstoffe in der Luft. Dies ist jedoch keine „altruistische“ Netzdienstleistung, sondern sichert den Pilzen weitere gesunde Pflanzenpartner.

„Nach dem Projekt habe ich realisiert, dass Natur so viel mehr ist als vorher gedacht“ (Schülerzitat)

Pilze zählen zu den größten und ältesten Lebewesen der Erde. Ihre komplexen Netzwerke entwickeln sich organisch in alle Richtungen ohne zentrale Steuerung. Das Wissen um das Myzel, seinen Aufbau und seine Funktion lieferte die Basis für die Struktur des MYZEL-Konzeptes. Folgt man dem Leitmotiv, befindet sich das Projekt derzeit in der Phase der Keimung, der Bildung und Sammlung fruchtbaren Materials. „Fruchtkörper“ und Ort des Geschehens ist der durch die Schulen und Stadtteile wandernde Theatercontainer, der nicht nur Sporen/Spuren von Naturerlebnissen ans Licht bringt, sondern auch hyphengleich den Austausch und die Interaktion unterschiedlicher Akteure im Stadtraum mit den Mitteln der Kunst fördern soll.
Im Feedback-Gespräch mit den Schüler*innen des BBG-Workshops wurde deutlich, wie sehr sie vom offenen Umgang mit dem eigenen Umweltverhalten profitiert haben. Spielszenen erlaubten den Wechsel der Rollen, das Einfühlen in die Perspektiven von Pflanzen und Tieren. Bewegung und Tanzen setzten Emotionen intensiver frei und förderten die Selbstwahrnehmung und Positionierung. Entstanden sind perspektivische Verknüpfungen, Gleichzeitigkeiten, Magisches.
Mit Unterstützung vieler solcher Workshops wird das fringe ensemble in den folgenden Monaten gemeinsam mit Akteur*innen der Stadtgesellschaft sowie Musikern und Chören ein Sing-Klang-Sprechwerk entwickeln. Es werden Performances entstehen, die sich im Rahmen der Aufführung wie die Fruchtkörper der Pilze im Stadtraum verteilen. Das dazwischen wandelnde Publikum wird auf seinen Wegen ein hyphengleiches Netzwerk spannen. Seine Uraufführung soll das Projekt MYZEL beim Beethovenfest 2024 finden.

Mitmachen? Interesse? Hier noch mehr zu dem Projekt!

 

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