Buchbranche als Teil der ökologischen Zukunft

11. September 2020 | Gesellschaft, Ausgabe 5 /2020 Kommunalwahlen, Esther & Andreas Reinecke-Lison, Nachhaltigkeit | 0 Kommentare

Lesen mit Sojaöl auf Wiesengras

Ein erneutes Dürrejahr und fallendes Laub schon im Juli zeigen an, dass der Bedarf an der Entwicklung einer ökologisch verantwortlichen und gemeinwohlorientierten Ökonomie eher noch steigt. Das sollte nicht nur auf bedrucktem Papier stehen: Die Buchbranche selbst ist Gegenstand und Akteur dieses Wandels.

Esther und Andreas Reinecke-Lison

Corona – und sonst nichts?

„Die Welt ist in der Krise, Europa mit sich selbst beschäftigt.“ (Süddeutsche Zeitung)

Das öffentliche Bewusstsein und die mediale Berichterstattung sind seit Monaten durch die Corona-Krise dominiert. Doch gerade jetzt sind wir verpflichtet, uns um Dinge zu kümmern, die dabei aus dem Blickfeld geraten sind. Armut, Hunger, Wassermangel und Flucht, Atomwaffen, Urwald-Brandrodung, Klimawandel: Nichts, was die Erde und deren Lebewesen gefährdet, ist verschwunden oder gelöst.

„In Krisenzeiten werden Menschen gebraucht, die innere Reife entwickelt haben, um in Zeiten der Unsicherheit einen klaren Kopf zu bewahren und die richtigen Schritte zu gehen.“ (Ernst Gugler, Druckerei gugler/Österreich)

Die Buchbranche ist Mittler von Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen. Neuerdings fragt insbesondere die junge Kundschaft in den Buchhandlungen kritisch nach, ob Bücher eigentlich umweltfreundlich hergestellt sind und gehandelt werden. Aber den ökologischen Fußabdruck ihrer eigenen Produkte kennen wenige aus der Branche. Daher wurde auf der Frankfurter Buchmesse 2019 auch zum Thema Nachhaltigkeit in der Buchproduktion diskutiert. Auf der Veranstaltung „future publish“ in Januar 2020 riet Luisa Neubauer von „Fridays For Future“ dem Buchhandel, dafür zu sorgen, selbst Teil der ökologischen Zukunft zu sein:

„Findet Eure Experten und hört sie an. Schont Eure Ressourcen, startet jetzt und seid zukunftsfähig.“

Konzepte und Umsetzung

Das Bundesumweltministerium förderte ab 2011 zwei Projekte, um zu untersuchen, wie Publikationen nachhaltiger hergestellt werden können. Daraus ist 2015 der „Blaue Engel für Druckerzeugnisse“ (DE-UZ 195) hervorgegangen, der als hoher ökologischer Standard für die Printbranche über die Kriterien des EU-Ecolabel für Druckerzeugnisse hinausgeht, unter anderem durch ausschließlichen Einsatz von Recyclingpapier des „Blauen Engel für Papierprodukte“, Verwendung von mineralölfreien, schadstoffarmen Druckfarben und dem Gebot, gebrauchte Produkte hochwertig zu recyceln.

Unabhängig davon ist die Buchbranche seit einigen Jahren in vielfältiger Weise für Umweltschutz und Nachhaltigkeit aktiv. Ressourcen werden eingespart in Verlagen (Geschäftsreisen mit Bahn statt Flugzeug und Auto), Vertrieb (Warenlieferung mit Elektromobilen) und Handel (Zustellung per Fahrradkurier, klimaneutrale Buchhandlungen). Druckereien drucken im Book-on-Demand-Verfahren Bücher nur in der Menge, wie sie auch nachgefragt werden. Sie bieten ihren Kund*innen an, Kohlendioxid (CO2)-Emissionen, die bei der Herstellung entstehen, durch Kauf von Zertifikaten zur Unterstützung von Klimaprojekten zu kompensieren (z. B. für Baumpflanzungen oder Windkrafträder). Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels appelliert an die Verlage, auf Einschweißfolien zu verzichten. Deutschland ist das einzige Land Europas, das Bücher in Plastikfolie einschweißt. Doch das gedruckte Wort verliert ohne Folie nichts von seinem Wert. Alternativen zum Schutz der Buch- und Kalenderseiten sind Schuber oder Siegel für Bücher, ein verlängertes Deckblatt oder Kordel für Kalender. Außerdem erarbeitet der Börsenverein seit Ende 2019 einen Klimaschutzleitfaden für die Printbranche.

„Glaubwürdigkeit und Vertrauen  die Währungen von morgen“ (Ernst Gugler, Druckerei gugler/Österreich)

Papier

Jeder fünfte gefällte Baum wird für die Herstellung von Holzzellstoff verwendet. Der Bedarf daran steigt weltweit an, vor allem für Versandhandelkartons. Deutschland hat den weltweit dritthöchsten Pro-Kopf-Verbrauch von Papier: 242 Kilogramm in 2018. 1950 lag der deutsche Pro-Kopf-Verbrauch bei nur 32 Kilogramm. Doch die Produktion von Papier benötigt so viel Energie wie die Herstellung von Stahl. Papier-Herstellung ist sehr wasserintensiv, das Abwasser aus Papier- und Zellstoffwerken zudem mit Chemikalien belastet. Rund 80 Prozent der in Deutschland verarbeiteten Rohstoffe für die Papierproduktion stammen aus anderen Ländern, unter anderem Brasilien (Zellstoff aus Eukalyptus, der auf Plantagen wächst, auf denen früher Urwald wuchs).

Für die Herstellung von Recyclingpapier werden generell bis zu 70 Prozent weniger Wasser und bis zu 60 Prozent weniger Energie benötigt. Deutsche Verlage drucken aber derzeit nur 20 Prozent der Bücher auf Recyclingpapier, weil es angeblich für den Buchdruck ungeeignet sei. Doch es gibt bereits eine solch hohe Qualität, dass schon 2003 die kanadische Ausgabe eines Harry Potter-Bandes auf 100 Prozent Recyclingpapier gedruckt wurde. Dadurch wurden 30.000 Bäume nicht gefällt und über 47 Millionen Liter Wasser eingespart.

Doch die Entwicklung geht weiter, hin zur Verwendung von  Gras.

Die Firma Creapaper aus Hennef entwickelte seit 2011 in einem Projekt mit der Universität Bonn ein Verfahren für die Herstellung von Graspapier. Es besteht neben Fasern aus Holz oder Altpapier zu mindestens 30 Prozent aus Grasfaser-Pellets, ist recyclingfähig und kompostierbar. Wissenschaftliche Institute haben keine unerwünschten allergieauslösenden Nebenwirkungen festgestellt.

Die Produktion von Papier aus Gras ermöglicht einen umfassenden nachhaltigen Umweltschutz bei der Herstellung. Das gelingt durch die Einsparung von 99,9 Prozent Wasser (zwei Liter Wasser/Tonne Heu statt 6.000 Liter/Tonne Holzzellstoff), rund 97 Prozent Energie (136 Kilowattstunden [kWh] Energie/Tonne Heu statt rund 5.000 kWh/Tonne Holzzellstoff) und der völligen Vermeidung des Einsatzes von Chemie (statt Einsatz von Natriumsulfid, Chlorkalk). CO2-Emissionen werden um bis zu 75 Prozent reduziert. Es ist ein geringerer logistischer Aufwand nötig, weil Gras von heimischen Wiesen gewonnen wird, somit weite Rohstoff-Transportwege entfallen (100 km statt bis zu 9.000 km). Holz als Ressource wird geschont, Monokulturen und Massenrodung werden vermieden, denn für 1 Tonne Papier-Faserstoff werden statt 2,3 Tonnen Holz nur 1,2 Tonnen Gras benötigt. Schließlich kann die Möglichkeit der Renaturierung von Brachland zu Grasflächen Landwirt*innen Erträge ermöglichen und Arbeitsplätze schaffen. Eine Studie der Hochschule Bonn Rhein-Sieg aus 2017 belegt für Graspapier einen Umweltvorteil sogar gegenüber Recyclingpapier.

Aus Graspapier werden gegenwärtig zum Beispiel Postkarten, Kinderbücher und Schreibpapier hergestellt. In Industrie und Handel wird es bereits für Obst- und Schuhkartons, Etiketten und Prospekte verwendet.

Heider Druck
  • druckt die BUZ auf 100% Recyclingpapier
  • im energiesparenden Coldset-Rollenoffsetdruck
  • ist PSO (ProzessStandard Offsetdruck) für Zeitungsdruck zertifiziert
  • setzt Cradle-to-Cradle-Druckfarben ein (leider noch nicht im Coldset-/BUZ-Druck möglich)
  • bezieht zu 100% Ökostrom
  • hat für die eigene CO2-Reduzierung betriebseigene Gebäude saniert und energiesparende sowie emissionsarme Maschinen beschafft
  • bietet seinen Kunden Zertifikate zur CO2-Kompensation an
  • setzt als erste Druckerei seit 2013 Graspapier ein, unter anderem für die Herstellung von Verpackungen, Schulheften, Kalendern
Farbe und Druck

Für den Druck von Büchern gibt es mittlerweile umweltfreundliche Druckfarben. Sie kommen ohne Mineralöl, Kobalt, Schwermetalle (Blei, Cadmium, Quecksilber) und Weichmacher aus. Sie basieren auf nachwachsenden pflanzlichen Inhaltsstoffen wie Leinöl, Sojaöl oder Baumharz, die biologisch abbaubar, verseifbar und wasserlöslich sind. Daher lassen sich mineralölfreie Druckfarben auch rückstandslos aus dem Papier entfernen. Sie können in ihrer Zusammensetzung die Norm EN 71 für Kinderspielzeug erfüllen.

Die Entwicklung In der Buchbranche geht hin zur Anwendung des Cradle to Cradle-Verfahrens. Dabei werden alle Inhaltsstoffe geprüft, ob sie vollständig wiederverwertet und zum Beispiel als Kompost in den biologischen Kreislauf zurückgeführt werden können. Das verhindert, dass in der Herstellung Abfälle entstehen, die teils als Sondermüll entsorgt werden müssen. Darüber hinaus werden die Bücher emissionsfrei produziert. Vorreiter sind die Verlage oekom, neunmalklug und Willegoos (Wildgans) sowie die Druckerei gugler aus Österreich.

„Es ist ein Meilenstein für unser aller Zukunft, wenn Verlage nicht nur Bücher publizieren, die die Rettung der Welt zum Thema haben, sondern auch selbst einen aktiven Beitrag dafür leisten, indem sie sie nachhaltig, sprich schadstofffrei und gesund für Mensch und Natur, drucken lassen.“ (Ernst Gugler, Druckerei gugler/Österreich)

Zu guter Letzt

Wer in Bonn-Roleber Richtung Siebengebirge spazieren ging, konnte mitten im Wohnviertel eine unerwartete Entdeckung machen. An einem von einer mächtigen Kiefer flankierten Haus hing ein schlichtes „Buchhandlung“-Schild. Darunter ein efeuumrankter Schaukasten, der mit seiner liebevollen Ausgestaltung auf Literatur zu ständig wechselnden Themen neugierig machte. Entlang üppig wachsender Fliederbüsche, einem knorrigen Apfelbaum mit seltenen „Kaiser Wilhelm“-Äpfeln und Blumen, die sich selbst angepflanzt haben, betrat man schließlich die klitzekleine „Buchhandlung Sigrun Reinecke“ mit Büchern aller Art bis unter die Decke. Regelmäßig besuchten Grundschulklassen den Laden. Kinder bestaunten scheu die randvollen Regale und eine uralte mechanische Kurbelkasse auf der Ladentheke. Bücher wurden hier nicht als Ware gehandelt, sondern als Kulturgut behandelt. Alle Kunden waren glücklich, dass die belesene Inhaberin stets zu ausführlichen Gesprächen bereit war, um das „gute“ Buch für jeden erdenklichen Anlass zu finden. Mitunter wurde das von Klaviermusik untermalt, die ihre Kinder spielten und durch das Haus in den Laden hereinschwebte. Doch nach 53 wunderbaren Jahren schließt Sigrun Reinecke nun diese Ladentür. Und als ob sie dies gespürt hat, funktioniert die Kurbelkasse seit neuestem auch nicht mehr. Sigrun, Esthers Mutter, erzählt oft: „Wenn Sonntags-Spaziergänger und Wandergruppen vorbeikamen, bewunderten sie immer den Vorgarten und meinten: Endlich ein Naturgarten!“ Und diese Aussage passt wunderbar zu diesem Artikel über Bücher und Nachhaltigkeit.

„Sorgen Sie für ein Haus voller Bücher!“ (Neurowissenschaftlerin Maryanne Wolf plädiert für das Lesen mit Büchern, nicht im Internet)

Umweltbundesamt (Hg.): Der Blaue Engel für Druckerzeugnisse Internet: boersenblatt.net / creapaper.de / heider-druck.de / printelligent.de / umwelt-im-unterricht.de

 

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Beitrag teilen

Verbreite diesen Beitrag!