»Wegweiser« für mehr Nachhaltigkeit
Melanie Alessandra Moog
Gemeinsam mit dem österreichischen Biologen Clemens G. Arvay schrieb die Kulturwissenschaftlerin und Redakteurin der Bonner Umwelt Zeitung, Alessandra Moog, kürzlich das Buch „In Zukunft selbstversorgt – Wegweiser in ein autarkes Leben“, das der Kölner Verlag Bastei Lübbe verlegt. Chefredakteur Ralf Wolff sprach mit ihr über die Neuerscheinung.
Wie kamt ihr auf die Idee, einen Wegweiser in ein autarkes Leben zu schreiben? Was waren eure Beweggründe? Ganz autark zu leben, das wirkt wie eine Utopie. Inwieweit kann man dem nahekommen?
Die Verringerung des ökologischen Fußabdrucks ist ein großes Thema unserer Zeit, das auch uns seit Langem beschäftigte. Zusätzlich spielen angesichts der multiplen Krisen der letzten Jahre auch die Stichworte Unabhängigkeit und Versorgungssicherheit für viele Menschen eine Rolle.
Mehr Selbstbestimmung in Sachen nachhaltiger Energie und hochwertiger biologischer Nahrungsmittel treten immer mehr ins Bewusstsein, ebenso die Erhaltung unserer samenfesten Sortenvielfalt. Auch bezahlbarer und ökologischer Wohnraum ist ein Augenmerk. Die Schwierigkeiten der Energiewende, der Ukraine-Krieg, die Inflation, das Insektensterben und insgesamt der große Verlust an weltweiter Biodiversität, die Covid-19-Krise, wiederkehrende Lebensmittel-
skandale, – viele Herausforderungen zeigen, dass es grundlegende Sicherheiten für ein gesundes und erfülltes Leben braucht. Als Mensch stehe ich in einem Netzwerk aus Wechselwirkungen und bin nicht isoliert, weder von der Natur noch der (globalen) Gesellschaft.
Unser Wegweiser ist keine ferne Utopie, sondern reflektiert realisierbare Möglichkeiten und gibt praktische Tipps für mehr Nachhaltigkeit, je nach den eigenen Mitteln und Zielen. Autarkie und Selbstversorgung müssen nicht bedeuten, dass wir vom Hausbau über die Nahrungsmittelproduktion bis hin zur Kleidung alles selbst herstellen, sondern dass wir selbst oder in Vernetzung mit einer Gemeinschaft, Gemeinde oder Region möglichst vieles dezentral regeln und damit für kurze Transportwege, Umwelt- und Sozialverträglichkeit sowie Preisstabilität sorgen. Insofern ist Autarkie ein Modell, das im Idealfall viele Menschen mitnimmt und in ein Versorgungsnetz integriert, das die Umwelt schont sowie soziale Gerechtigkeit und biokulturelle Diversität fördert.
Die Modellregion rund um den niedersächsischen Ort Steyerberg mit dem angrenzenden Ökodorf Lebensgarten Steyerberg e. V. zeigt bereits jetzt, dass ein umwelt- und sozialverträglicheres Leben möglich ist. Solche Orte sind ein Reallabor für den notwendigen Wandel hin zu einer Nachhaltigkeitskultur, die auf mehr Eigenverantwortung, Innovation und Selbstversorgung setzt.
Welche Kompetenzen und fachlichen Hintergründe habt ihr in dieses Buchprojekt eingebracht?
Das Werk stellt eine Synthese aus kultur- und naturwissenschaftlichen Betrachtungen dar zu den persönlichen, gesellschaftlichen, ökologischen, technischen und ökonomischen Aspekten rund um die Selbstversorgung.
Clemens Arvay schrieb an der Wiener Universität für Bodenkultur seine Masterarbeit zum Thema Selbstversorgung. Ich praktizierte Selbstversorgung in Südamerika, unter anderem mit den traditionell lebenden Ethnien der Shuar und Quechua in Ecuador und Peru. Auch Clemens betrieb landwirtschaftliche Projekte. Seit langer Zeit engagierten wir uns zudem im Umweltbereich und verarbeiteten vieles davon im Buch. Ich bin seit fünf Jahren Mitglied der Redaktion der Bonner Umwelt Zeitung, Clemens wirkte nachhaltig als Ökologe und Autor. Neben unseren Kompetenzen fließen in das Buch Recherchen bei Fachleuten und Selbstversorgern ein, die Wertvolles rund um das ökologische Gärtnern, Bauen, Wohnen und Leben berichten.
Wie habt ihr die im Buch vorgestellten Nachhaltigkeitsprojekte gefunden?
Ökologische Projekte für einen Besuch oder Freiwilligendienst finden Interessierte beispielsweise über die Plattform WWOOF (World Wide Opportunities on Organic Farms) und GEN (Global Ecovillage Network).
Ihr seid kreuz und quer durch Europa gereist und habt vorbildliche Ökoprojekte besucht, beispielsweise auch das Erdschiff in Luxemburg. Als eine Gruppe der indigenen Kichwas aus Ecuador auf Einladung von ASTM, einer NRO zur Verteidigung von Menschen- und Umweltrechten im globalen Süden (astm.lu), zu Besuch war, wiesen sie darauf hin, dass die Natur ohne großen technischen Aufwand vieles selbst leisten kann. In das Erdschiff in Luxemburg floss solches Wissen mit ein (s. BUZ 5/22, Seite 4).
Alessandra, du hast schon in Südamerika gelebt und den passenden wissenschaftlichen Hintergrund. Ist euer Wegweiser auch ein Buch, das Europäer*innen spiegelt, was sie aus anderen Kulturräumen, zum Beispiel von Indigenen, lernen können?
Die Idee der Zirkularität, das ist richtig, finden wir in den alten Kulturen dieser Welt und sie ist bis heute unter anderem bei den traditionellen Völkern Südamerikas sehr präsent, von denen wir vieles lernen können. Die moderne westliche Wegwerfgesellschaft steht diesem Gedanken diametral gegenüber und bewirkt dadurch eine ökologische Schieflage. Müll, insbesondere Sondermüll, kennen Naturvölker nicht. Er ist ein Entwurfsfehler unserer Gesellschaft, den wir dringend beheben sollten, um Stoffe im Kreislauf zu halten, insbesondere solche, die aus kostbaren Ressourcen stammen oder die als Abfall unsere Umwelt belasten, weil sie lange Zeit benötigen, bis sie abgebaut sind. Mehr Kreislaufwirtschaft ist aus ökologischen, sozialen und ökonomischen Gründen sinnvoll. In traditionellen Gemeinschaften, z. B. bei den Kichwa, wird ökologisch gebaut und nachhaltig gewirtschaftet, Heizung und Strom werden kaum oder gar nicht genutzt. Trotzdem lebt in Südamerika nur noch ein kleiner Bruchteil der Menschen so traditionell.
Der progreso, die industrialisierte Fortschrittsbewegung, rückt Abfälle, Abwässer, kritische Ressourcen und die nachhaltige Energieversorgung auch dort in den Fokus und bedarf moderner Lösungen, um Ökozid und soziale Schieflagen zu verhindern. In unserer Zeit ist die globale Vernetzung als Ideenaustausch wichtig, um das Beste aus altem, traditionellem Wissen und modernen Innovationen zu kombinieren. Deshalb werden Betrachtungen zu den australischen Aborigines, zu indigenen Völkern Südamerikas und zu unseren europäischen Vorfahren in unserem Buch erwähnt, beispielsweise bei Themen rund um nachhaltiges Gärtnern und ökologisches Bauen.
In eurem Buch ist ein Gastbeitrag von Christine und Wolf-Dieter Storl. Darin berichten sie aus ihrer Erfahrung von den Rückschlägen und Erfolgen des Anlegens und Nutzens ihres eigenen Gartens zur Selbstversorgung.
Wir haben uns sehr gefreut, dass der bekannte Kulturanthropologe, Ethnobotaniker und Selbstversorger Wolf-Dieter Storl mit seiner Frau Christine einen Beitrag für unser Buch schrieb. Sie teilen spannende Erfahrungen aus erster Hand mit. Beide sind Autoren rund um die Themen Natur, Heilkräuter und Selbstversorgung. Wir besuchten sie für vier Tage, lernten ihre Lebensweise konkret kennen und aßen frisch Geerntetes. Sie haben zwei mittlerweile erwachsene Kinder und leben seit Jahrzehnten abgelegen im Allgäu, in einem mittelalterlichen Haus mit einem idyllischen Selbstversorgergarten. Damit zeigen sie, dass ein nachhaltiger Lebensstil auch neben der Berufstätigkeit in unserer modernen Welt möglich ist und uns bis ins hohe Alter gesund und glücklich machen kann.
Das Kapitel 5 eures Buchs, „Lagerung und Verarbeitung pflanzlicher Erzeugnisse“, ist ein interessanter Ratgeber, sobald Selbstversorger erste Erfolge in Form von Ernten aus dem eigenen Garten erreichen.
Das korrekte Lagern und Haltbarmachen der eigenen Ernte ist ein wichtiger Punkt, damit sie nicht dem Verderb anheimfällt und bedenkenlos genießbar bleibt. Gerade in unseren Breitengraden mit ausgeprägter Winterzeit ist es toll, selbst Eingemachtes, Gedörrtes, Eingelegtes oder Lagerfrüchte essen zu können, und bis vor einigen Jahrzehnten war dies in ländlichen Regionen normal, beispielsweise bei meinen hessischen Selbstversorger-Großeltern. Nicht nur sparen wir Geld, auch entscheiden wir, was drin ist – und was nicht, beispielsweise Farb- und Konservierungsstoffe.
Das Buch schafft einen Überblick zu Möglichkeiten, die jeder nach Interesse vertiefen kann, um Lebensmittel sicher zu lagern und haltbar zu machen und dabei Gefahren wie Schimmel, Schädlingsbefall und Lebensmittelvergiftungen auszuschließen.
Heutzutage ist es mehr und mehr wichtig den Verbrauch an fossilen Energierträgern beim Bauen und Heizen einzusparen. Im Vergleich zum Selbstversorgen aus dem Garten scheint das durch entsprechende Investition und Förderung mehr und mehr im Fokus zu sein.
Sind die richtigen Weichen seitens Politik gestellt, um eine dezentrale Energieversorgung und einen nachhaltigeren Ressourcenverbrauch zu erreichen?
Wir betrachten rechtliche Rahmenbedingungen und Fördermittel. Auch sprachen wir u.a. mit den Architects for Future, einem Verein ehrenamtlicher Architekt*innen für mehr Nachhaltigkeit im Bauwesen und energetischen Gebäudehaushalt. Technisch ist bei uns bereits mehr machbar, als rechtlich oder marktwirtschaftlich ermöglicht wird. Bei unserer Recherche in Wales beeindruckte uns vor allem die dortige Nachhaltigkeitsstrategie: Personen, die sich für mehr Selbstversorgung und Kreislaufwirtschaft einsetzen, werden über das One Planet Development Program finanziell stark gefördert. Ein solches Maß an politischer Entschlossenheit lässt der deutschsprachige Raum (noch) vermissen.
Leider ist dein Co-Autor Clemens Arvay im Februar unerwartet verstorben. Wie gedenkst du seine Ideen eures Wegweisers in ein autarkes, selbstversorgtes Leben weiterzuführen?
Es ist ein großer Verlust. Uns verbanden Ideale und Synergien, die weiterhin Teil meines Lebenswegs bleiben. Das Buch, in dem seine Zukunftsvision fortlebt, schrieben wir für unsere Kinder, die stellvertretend für die kommenden Generationen stehen und die den Weg in ein nachhaltiges Leben weisen.
Clemens Arvay/ Alessandra Moog: In Zukunft selbstversorgt – Wegweiser in ein autarkes Leben.
Bastei Lübbe, Köln 2023. ISBN: 978-3-431-07046-0
Erscheinungstermin: 26.05.2023
Danke für diesen wertvollen Beitrag!