Bonnerinnen und Bonner organisieren Einsätze gegen die Zugvogeljagd

20. November 2023 | Ausgabe 6 / 2023 Tierschutz, Nachhaltigkeit, Ökologie, Umwelt | 0 Kommentare

Den Vogel-Wilderern auf der Spur

Im Mittelmeerraum werden bis heute Millionen Zugvögel geschossen und gefangen, um als Delikatessen auf dem Teller von Gourmets zu landen oder als Stubenvögel in den Wohnzimmern vermeintlicher Tierfreunde den Rest ihres Lebens zu fristen. Das Komitee gegen den Vogelmord arbeitet schon seit 1975 gegen diese „Traditionen“ – die internationalen Aktionen des Verbandes werden von Bonn aus geleitet.


Alexander Heyd
(Komitee gegen den Vogelmord)


Jedes Jahr im Herbst machen sich rund zwei Milliarden Zugvögel auf den Weg von ihren europäischen Brutgebieten in den Süden, um dem Winter im kalten Norden zu entfliehen. Drei Routen
(s. Bild rechts) führen nach Afrika – im Westen geht es über Spanien und Gibraltar nach Westafrika und in die Sahelzone, der mittlere Zugweg führt über Italien und die Sahara ins zentrale Afrika und die östliche Variante verläuft über die Türkei und den Libanon ins östliche und südliche Afrika. Im Frühling fliegen die Vögel wieder in den Norden. Eine Strecke von meist über 10.000 Kilometern im Jahr!

Reise mit Gefahren

Der Weg der Vögel ist mit Gefahren gepflastert: Sie sind Wind und Wetter ausgesetzt, müssen 4.000 Meter hohe Gebirgspässe ebenso überqueren wie das Mittelmeer und ausgedehnte Wüsten. Die Vogelarten haben sich mit der Zeit auf diese Verhältnisse eingerichtet – ein empfindliches natürliches Gleichgewicht sorgt dafür, dass im Frühling genügend Tiere den Weg in die Brutgebiete zurückfinden, um wieder erfolgreich für Nachwuchs zu sorgen.
Wirkliche Probleme bereiten den Zugvögeln aber die menschengemachten Gefahren. Vor allem die Zerstörung von Lebensräumen, seien es Rastplätze auf dem Reiseweg, die Ausdehnung der Wüstenzonen durch den Klimawandel oder die Abholzung von Regenwäldern, macht den Tieren zu schaffen. Dort, wo sich die Zugvogelschwärme verdichten – auf Pässen, Inseln, schmalen Küstenstreifen und an Meerengen – stellt sich den Reisenden ein weiteres Hindernis in den Weg: Jäger, Wilderer und Vogelfänger!

Historie der Vogeljagd

Zugvögel waren früher eine saisonal verlässlich wiederkehrende Nahrungsquelle. Solange es wenige Menschen gab, die sich ihrer für den Eigenbedarf bedienten, stellte der Aderlass keine nennenswerte Bedrohung für die Bestände dar. Doch spätestens seit dem Beginn der Industrialisierung sind Nahrungsmittel in Europa leicht verfügbar geworden. Inzwischen lebt niemand mehr von Jagd und Vogelfang. Aus der einstigen Notwendigkeit haben sich Traditionen entwickelt, aus der althergebrachten Kulturtechnik wurde eine reine Freizeitbeschäftigung.
Die Liste der sich mit den Jahrtausenden entwickelten Jagdtraditionen ist lang und reicht von Leimruten und Rosshaarschlingen über Bogen-, Schlag- und Steinquetschfallen, Fangkäfige, Stell- und Schlagnetze und – als letzte Erfindung in der gruseligen Aufzählung – Schrotmunition. Die meisten Methoden sind grausam, weil die Tiere nicht unmittelbar getötet werden.
In historischer Zeit waren fast alle Fang- und Jagdmethoden europaweit verbreitet. Heutige Flurbezeichnungen wie „Vogelsang“ oder „Vogelherd“ belegen Fanganlagen mit Netzen, Leimruten und die Verwendung lebender Lockvögel auch in Mitteleuropa. Doch während hierzulande der Verzehr von Singvögeln nach und nach aus der Mode kam, hat sich an manchen Stellen des Mittelmeerraums das einstige „Arme-Leute-Essen“ zu einer gefragten Delikatesse gemausert.

Schöne Vögel als Trophäe

Doch den Vögeln wird nicht nur für die Küche nachgestellt. Schlag- und Stellnetze werden häufig verwendet, um „Stubenvögel“ zu fangen. Vor allem schön singende oder einfach hübsche Arten, wie z. B. Stieglitze, Buchfinken oder Erlenzeisige, landen auf diese Weise nicht im Winterquartier, sondern in den Käfigen vermeintlicher Vogelliebhaber. Lebende Vögel werden auch stets für die Jagd benötigt. Vor allem in Spanien und Italien ist die Verwendung lebendiger Lockvögel bei der Singvogeljagd bis in unsere Tage weit verbreitet.
Auf Malta und im Libanon kommt die Trophäenjagd dazu. Während die maltesischen Wilderer riesige Sammlungen mit ausgestopften Weihen, Adlern, Bussarden und Falken horten, geht es den libanesischen Vogeljägern um Trophäenfotos. Sie lassen sich mit illegal geschossenen Vögeln für die Sozialen Medien abbilden, oder machen schlicht Selfies. Tausende solcher Bilder kursieren auf Facebook, Instagram und Co.

Gesetzeslage

Die Naturschutz- und Jagdgesetzgebung in den jeweiligen Staaten variieren erheblich und werden durch regionale Verordnungen noch unübersichtlicher. Der Lichtblick in dem Paragraphen-Labyrinth ist – zumindest für die EU – die Europäische Vogelschutzrichtlinie. Das 1979 in Kraft getretene Regelwerk bildet die Basis des Vogelschutzes auf dem Kontinent und die dafür zuständige Umweltkommission in Brüssel ist ein verlässlicher Partner für die Umsetzung der Vorgaben.
Die zentralen Aussagen der Richtlinie lassen sich leicht zusammenfassen: 82 Vogelarten sind zur Jagd freigegeben. Neben den zu erwartenden Enten, Gänse, Tauben und Hühnervögeln befinden sich auch hochgradig bedrohte Arten darunter, wie etwa Kiebitz, Großer Brachvogel, Uferschnepfe und Kampfläufer. Für viele Mitteleuropäer überraschend ist die Tatsache, dass auch Singvögel wie die Amsel, Sing-, Rot-, Wacholder- und Misteldrossel ebenso wie die Feldlerche ganz offiziell geschossen werden können.
Die Richtlinie verbietet die Jagd auf heimkehrende Zugvögel im Frühling, die Verwendung elektronischer Lockgeräte und automatischer Waffen und es gibt weitreichende Vermarktungsverbote für geschossene Singvögel, damit die Jagd nicht aus Profitgier erfolgt. Die wohl fortschrittlichste Einschränkung betrifft den Vogelfang: Weil man mit Fallen und Netze Vögel wahllos und in großen Mengen fangen kann, ist der Vogelfang in der EU komplett verboten!

Verstöße an der Tagesordnung

Nun hat Papier die Gewohnheit, geduldig zu sein. Jagd und Vogelfang finden meist nicht in der Öffentlichkeit statt und entziehen sich weitgehend der staatlichen Kontrolle. Verstöße gegen Vogelschutzbestimmungen gibt es in allen EU-Mitgliedsstaaten, in vielen Ländern des Mittelmeerraums sind sie an der Tagesordnung.
Die Art der Verstöße sind so mannigfaltig wie die lokalen illegalen Jagdtraditionen: In Spanien gibt es Schlagfallen für Rotkehlchen, Schlagnetze für Finken und Fanganalgen mit Leimruten für Drosseln. In Frankreich haben steinzeitliche Methoden wie Rosshaarschlingen, Steinquetschfallen und Leimruten für den Drosselfang bis heute überdauert. In Italien gibt es Stellnetze, Bogen- und Schlagfallen für Rotkehlchen, aber auch Rosshaarschlingen und Schlagnetze für den Finkenfang. Auch auf der Insel Malta sind Schlagnetze allgegenwärtig. In Griechenland und Zypern kommen häufig Leimruten und Stellnetze zum Fang von Grasmücken zum Einsatz. In Nordafrika und im Nahen Osten ist der Vogelfang noch viel weiter verbreitet, wenngleich auch hier überall illegal.

50 Millionen Vögel erschossen

Ein besonders großes Problem ist die illegale Zugvogeljagd mit der Flinte. Rund 5 Millionen lizenzierte Zugvogeljäger gehen in der EU auf die Pirsch und erlegen dabei nach eigenen Angaben rund 50 Millionen Vögel. Während Fallen und Netze immer illegal sind, kann man bei Schüssen nie wissen, ob gerade eine Drossel legal oder eine Grasmücke illegal ins Visier genommen wurde. Die Zahl nachgewiesener illegaler Abschüsse ist dennoch immens. Italien steht dabei an erster Stelle. Hier ist der Abschuss von geschützten Finken, Rotkehlchen und Piepern so selbstverständlich, wie kaum sonst irgendwo in der EU. In Süditalien und auf Malta werden Greifvögel wie Wespenbussarde und Rohrweihen traditionell geschossen, in Griechenland Pirole, auf Zypern Grasmücken und im Libanon, wo die Jagd dramatische Ausmaße hat, werden nicht nur zehntausende Adler, Falken, Störche und Pelikane geschossen, sondern auch Millionen Schwalben und Bienenfresser.

Zur Gründung und Arbeit
des Komitees gegen den Vogelmord

Als in Deutschland Mitte der 1970er Jahre erstmals das Ausmaß der Zugvogeljagd in Südeuropa bekannt wurde, hat eine kleine Gruppe Vogelschützerinnen und Vogelschützer das Komitee gegen den Vogelmord gegründet. In den ersten Jahren hat sich der Verein mit Kampagnen für eine bessere Gesetzgebung auf EU-Ebene eingesetzt, Protestaktionen gestartet und war auch an der Ausarbeitung der Europäischen Vogelschutzrichtlinie beteiligt.
Der erste praktische Einsatz, der 1979 gegen den illegalen Vogelfang im deutsch-niederländischen Grenzgebiet bei Aachen stattfand, war der Startschuss für das heutige Markenzeichen des Verbandes: Die Vogelschutzcamps. Das Konzept, mit ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern in den Brennpunkten der Wilderei aktiv zu werden, Fallen und Netze einzusammeln und den Behörden dabei helfen, mit den vom Komitee gesammelten Beweisen die Täter zu überführen, wurde hier zuerst erprobt und ab 1981 in Belgien und 1983 in Italien weiter verfeinert.
Inzwischen finden die Vogelschutzcamps des Komitees gegen den Vogelmord in allen Brennpunkten der Wilderei des Mittelmeerraums statt. Von Spanien und Südfrankreich über Italien, Malta, Griechenland und Zypern bis zum Libanon finden jährlich 27 Aktionen statt. Die Bundesgeschäftsstelle organsiert von Bonn aus den Einsatz von 15 Angestellten und rund 300 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer aus ganz Europa. An manchen Stellen, z. B. auf der süditalienischen Insel Ischia (Braunkehlchenfang) oder am Gardasee in Norditalien (Trauerschnäpperfang), müssen Vogelschützerinnen und Vogelschützern aufgrund des Zuggeschehens nur jeweils eine Woche verbringen. In anderen Gebieten – etwa im Libanon oder im oberitalienischen Brescia – sind sie jeweils vier Wochen im Jahr im Einsatz, während das Komitee auf Malta und Zypern mit über 20 Einsatzwochen sogar die gesamte Zugzeit im Frühling und Herbst abdeckt.
Im Schnitt werden dabei pro Jahr 200 Wilderer überführt und über 10.000 Fallen und Netze sichergestellt. Seit 1979 wurden bei den Aktionen 385.000 Fanggeräte eingesammelt, darunter 154.000 Rotkehlchenfallen, 128.000 Rosshaarschlingen und rund 4.100 Netze mit einer Gesamtlänge von über 50 Kilometern.

Erfolg und Herausforderung

Der Erfolg dieser Arbeit kann sich sehen lassen: Nicht nur in den Niederlanden und Belgien ist der Vogelfang inzwischen verschwunden. Auch die Leimruten in Ostspanien sucht man heute meist vergebens, nicht anders ist es mit Ortolanfallen in Südfrankreich oder Bogenfallen am Gardasee. Die Greifvogeljagd auf Malta ist zu einer Randerscheinung geworden, ebenso der Fang von Braunkehlchen im Golf von Neapel. Und auch in Deutschland, wo sich der Verein seit über 40 Jahren gegen die illegale Verfolgung von Greifvögeln einsetzt, ist eine Besserung erkennbar.
Die aktuell wohl größte Herausforderung stellt die Arbeit gegen die ausgeuferte Wilderei im Libanon dar, wo die ersten Einsätze 2017 stattgefunden haben. Dazu kommt die Schwäche der EU-Kommission, hervorgerufen durch Nationalisten und Populisten in den Mitgliedsstaaten, nicht zuletzt in Deutschland. Der Vogelschutz in Europa – das steht fest – steht und fällt mit einem starken Europa.
Informationsquelle/Mitarbeit:
Wer mehr über die Arbeit des Komitees gegen den Vogelmord erfahren will oder Interesse an der Mitarbeit auf den Vogelschutzcamps hat, kann sich unter www.komitee.de informieren.

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