Für die Zukunft rund um die drei Pole der Erde
Esther & Andreas Reinecke-Lison
Millionen Menschen protestieren international bei den „Fridays for Future“ (im weiteren: FFF)-Klimastreiks seit Anfang 2019. In den hiesigen Medien werden die Proteste in Großstädten des globalen Nordens (Industrieländer) medienwirksam dargestellt. Doch protestiert wird nicht nur in den „Zentren“ im globalen Norden, auch an den „Rändern“ der Welt: im globalen Süden, den Entwicklungs-und Schwellenländern wie Bangladesch oder auf Vanuatu.
An tausenden Orten auf allen Kontinenten setzen sich Menschen aktiv für den Klimaschutz ein. Das tun sie unabhängig von FFF und teils schon lange vor deren Gründung! Ihr Einsatz für Klimaschutz vor Ort ist den meisten Menschen hier jedoch kaum bekannt. Darauf hinzuweisen erscheint umso wichtiger, als die Menschen des globalen Südens bis heute weniger als aktiv handelnde Individuen, sondern als Randfiguren wahrgenommen und behandelt werden, die den Klimawandel nur illustrieren. Dabei kommen sie aus Ländern, die den Klimawandel nicht verursachen, aber schon jetzt deutlich zu spüren bekommen. Hier hinzusehen und zuzuhören lohnt sich. Dann erhält man neue Impulse und Ideen, und es öffnen sich neue Perspektiven.
„Alles, was uns begegnet, verbindet uns mit der ganzen Welt“ Jon Kabat-Zinn
Nord-und Südpol
Das Eis der Arktis und Antarktis wirkt auf das globale Klimasystem wie eine Klimaanlage, indem es die Strahlung der Sonne zurück ins All reflektiert (Albedo-Effekt). Es kühlt die Luft und das Wasser, so dass es riesige Mengen an CO2 speichern kann. Allerdings erwärmt sich die Arktisregion durch den Klimawandel dreimal schneller als Regionen mittlerer Breitengrade. Die arktische Sommereisfläche ist in den letzten Jahren um eine Fläche viermal so groß wie Deutschland geschrumpft.
Mit dem schmelzenden Eis kann das CO2 nicht mehr gespeichert werden. Der Meeresspiegel steigt an. Biotope kommen aus dem Gleichgewicht, Interaktionen in den Ökosystemen funktionieren nicht mehr. Die aktuellen Klimawandel-Veränderungen sind nach Ingolf Kühn (Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung) etwa zehnmal so schnell wie alles, was wir in der Geschichte der Erde beobachten konnten und das damit sehr viel schneller ist, als Arten sich irgendwie anpassen können und dass das Hinterherwandern von Arten passieren kann. Das trifft vor allem Lebewesen, die in kalten Gebieten heimisch sind und denen eine Anpassung an Hitze nur bedingt möglich ist. Die indigenen Volker der Arktis merken hautnah, wie sich der Klimawandel auf die Ökosysteme auswirkt. Zudem drohen der rohstoffreichen Arktis große Gefahren durch den Abbau von Öl und Gas, da sie anders als die Antarktis nicht vor der Ausbeutung der Rohstoffe umfassend völkerrechtlich geschützt ist. In etwa 30 Jahren wird die Arktis in den Sommermonaten eisfrei sein und damit als schiffbare Alternative auf dem Weg nach Asien genutzt werden, so dass der Gefahrenmix, den der Mensch anrichtet, weiter anwachsen wird. „Wenn wir da nichts in unserem Verhalten verändern, haben Wale und Delphine keine Chance zum Überleben.“ (Nicolas Entrup, Leiter internationale Zusammenarbeit bei OceanCare). Der Film „Into the ice“ liefert zusätzlich reiches Anschauungsmaterial.
Am Forschungsschiff Polarstern in der Arktis und an der Neumayer-Station in der Antarktis gab es anlässlich der FFF-Klimaproteste 2019 Klimaprotest-Aktionen von Wissenschaftler*innen. Wann beginnt jeder Einzelne den Ernst der Lage endlich zu erfassen?
Nepal
Im Himalaja gibt es die meisten Gletscher außerhalb der Polarregionen, weshalb dieses Gebirge auch „dritter Pol“ der Erde genannt wird. Klimaveränderungen sind hier deutlich spürbar. In den Bergen schmelzen die Gletscher, es kommt zu Lawinen, Erosion, Dürre und Vegetationsverlusten. Die besondere Schönheit seltener heimischer Pflanzen ist unter den neuen Bedingungen gefährdet. Im Flachland steigt die Gefahr von Überflutungen. Das hat dramatische Auswirkungen auf die Ernährung der Bevölkerung, die zu zwei Dritteln von kleinteiliger Landwirtschaft leben. Zudem gibt es staatliche Bestrebungen, eigene Ölvorkommen mit China auszubeuten.
Einige Organisationen in Nepal fördern aktiv und unabhängig von FFF das Umweltbewusstsein. Power Shift Nepal ist eine 2014 gegründete, von Frauen geführte Organisation, die Klimagerechtigkeit und Umweltschutz in Nepal fördert. Sie will über Wissen zum konkreten Handeln befähigen und wendet sich dafür an Schülerinnen und Frauen mit einem Training für Ausbilderinnen, Aktionen gegen die Ölbohrungen, Projekten für Permakultur und nachhaltige Städte zum Weltumwelttag am 05.06.2022. Nepalese Youth for Climate Action/NYCA motiviert Kinder und Jugendliche seit 2008 darin, einen nachhaltigen und umweltfreundlichen Lebensstil zu führen und innovative Lösungen für die Anpassung an den Klimawandel zu finden. Himalaya Climate Initiative führt Kurse für Nepales*innen durch, um Plastikverbrauch zu reduzieren.
„Wir arbeiten mit null Mitteln. Das ist nicht einfach, aber unsere Leidenschaft für die Umwelt hält uns aufrecht.“ Shreya KC/NYCA
Afrika
Im Osten Afrikas herrscht die schlimmste Dürre seit 40 Jahren. Schon drei Regenzeiten sind ausgefallen. Ernten sind verdorrt, Tiere verenden. Die Menschen verlieren ihre Lebensgrundlage. Viele verlassen ihr Zuhause, wandern in Nachbarländer. Doch dort herrschen dieselben Bedingungen. Und wenn es doch regnet, dann ist der Regen so stark, dass es Überschwemmungen und Erdrutsche gibt. Trotzdem erschließen Uganda und Tansania mit Partnern aus Frankreich und China am Albertsee ein großes Ölvorkommen. Dafür wird eine 1.400 Kilometer lange Pipeline gebaut, die durch einen Nationalpark und artenreiche Gebiete führt. Menschen werden umgesiedelt, gering entschädigt, fruchtbares Land wird ihnen genommen. Dabei hat Afrika ein riesiges Potenzial für den Einsatz erneuerbaren Energien. In Kenia werden bereits heute rund zwei Drittel des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen gedeckt.
Schulproteste sind in Afrika nicht überall einfach umzusetzen. Für streikende Schülerinnen gibt es in Ländern, in denen die Mehrzahl der Menschen weder lesen noch schreiben kann, wenig Verständnis. In einigen Ländern besteht generell das Risiko, wegen Klimaaktionen staatliche Repressionen zu erleiden. Wangari Maathai aus Kenia wurde 2001 für ihr Umweltschutz-Engagement noch verhaftet. 2004 erhielt sie den Friedensnobelpreis.
Viele Frauen versuchen auf pragmatische Art, aktiven Klimaschutz zu betreiben. Leah Namugerwa aus Uganda beschloss 2019, ihren 15. Geburtstag nicht zu feiern, sondern 200 Bäume zu pflanzen, um auf Umweltschäden aufmerksam zu machen. Sie versucht, ein Verbot von Plastiktüten durchzusetzen und den tropischen Bugoma-Wald zu schützen. Bei ihren Klimaaktionen erlebt sie „Verhaftungen, Einschüchterungen, Polizeiblockaden, Spott“. Doch sie sagt auch: „Ich habe jetzt mehr Mut, weiterzukämpfen.“. Hilda Nakabuye kämpft seit 2017 vor allem gegen die Verschmutzung des Victoriasees und begründete mit anderen FFF Uganda.
„Ich habe mich entschlossen, den einzigen Ort zu schützen, den ich mein Zuhause nenne: Die Erde.“ Hilda Nakabuye
Vanessa Nakate aus Uganda gründete unter anderem eine Initiative, die Solarstrom an ländliche Schulen bringt. 2019 ist sie alleine mit einem Plakat „Danke für den Klimawandel“ auf die Straße gegangen und für verrückt gehalten worden. Mittlerweile ist sie international anerkannt, erhielt für ihre Klimaschutz-Aktivitäten 2022 den Helmut-Schmidt-Zukunftspreis und den Edmund-Hillary-Preis, um Menschen zu inspirieren, ihr „volles Potenzial in den Dienst unseres Planeten zu stellen.“ Elizabeth Wathuti aus Kenia geht seit 2016 mit der Green Generation Initiative Vorträge an Schulen, pflanzt mit Schülerinnen Bäume. Den Kindern soll bewusst gemacht werden, wie sie nachhaltig leben können.
„Der einzige Weg, Veränderungen herbeizuführen, ist, daran teilzuhaben“ Hilda Nakabuye
Anerkennung und Unterstützung
„Die Debatte über den Klimawandel ist nicht nur für Weiße. Wir alle sind dafür verantwortlich.“ Hilda Nakabuye
Schwarze, Indigene und People of Color machen die Erfahrung, in der mehrheitlich weißen und akademischen Klimaaktivistinnen-Bewegung nur die Vorzeige-Betroffenen darstellen zu dürfen. Vanessa Nakate nahm mit weißen Klimaaktivistinnen am Weltwirtschaftsforum Davos 2020 teil. Auf dem von der Presseagentur AP veröffentlichten Gruppenfoto waren aber nur diese zu sehen, Nakate war abgeschnitten worden. Wegen eines gleichen Vorfalls entschuldigte sich Greenpeace bei der aus Bangladesch stammenden Tonny Nowshin, Ökonomin aus Berlin: „Wir sind dankbar, dass sie uns als vornehmlich weiße Menschen schonungslos vor Augen führt, dass wir nicht frei von unbewussten Rassismen sind.“ Um sich nicht eine weiße Überheblichkeit vorwerfen zu lassen, sollten hiesige Klimaaktivist*innen und hiesige Medien den nichtweißen Menschen zuhören, deren eigenen Protesten und Aktionen Gehör verschaffen, sie würdigen und unterstützen.
„Veränderungen haben Vorzeichen. Entscheidend ist, diese wahrzunehmen, zu verarbeiten und entsprechend damit umzugehen.“ Tania Konnerth
Informationsquellen
tagesspiegel.de: Female fight for future // nepaltimes.com: Nepal´s climate activism // Deutschlandfunk: Umwelt und Verbraucher, 29. und 30.11.22 // taz.de: Klimabewegung und Diskriminierung // fridaysforfuture.org: strike statistics // visitgreenland.com: Leitfaden zum Klimawandel // Leisgang/Thelen: Zwei am Puls der Erde, 2021
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