Bauen und Wohnen in Bonner Stadtquartieren
Unzählige Abkommen seit den 1970er Jahren bezeugen immer wieder die Absicht, das Bauen und Wohnen umweltfreundlicher und nachhaltiger zu gestalten. Obwohl auf den unterschiedlichsten Ebenen viel diskutiert und geplant wurde, fällt die Bilanz nach 40 Jahren Debatte um das Ökologische Bauen eher ernüchternd aus: Insgesamt wurden rund 110.000 Wohnungen in mehr oder weniger nachhaltiger Bauweise in Deutschland realisiert oder sind derzeit im Bau – eine verhältnismäßig geringe Zahl verglichen mit den 200.000 Wohnungen, die derzeit alleine in Deutschland jährlich gebaut werden.
Die Situation in Bonn
Auch die Stadt Bonn macht hinsichtlich dieser verhaltenen Entwicklung des Ökobaus keine Ausnahme. Dort entstanden in den vergangenen vier Jahrzehnten fünf kleinere, privat initiierte Wohnprojekte. Das erste in den 80ern in Tannenbusch mit etwa zehn Reihenhäusern, die sich um einen kleinen Innenhof gruppieren. 2008 wurde das bislang größte nachhaltige Wohnprojekt bezogen, das den klingenden Namen „Amaryllis“ erhielt. Die 32 Wohnungen in Niedrigenergiebauweise und schadstofffreien Baustoffen sind barrierefrei erschlossen, es gibt einen 170 m² großen Gemeinschaftsraum, die gemeinschaftliche Nutzung von Privatkraftwagen sowie naturnah gestaltete Gärten. Dafür wurde „Amaryllis“ unter anderem 2010 mit dem Bonner Umweltpreis ausgezeichnet.
Wenn sich nachhaltige Wohnprojekte bereits schwer tun, wie steht es dann um die Chancen, ein ganzes Stadtquartier nachhaltig zu errichten? Diese Frage ist um so wichtiger, da die Nutzungstrennung von Wohnen und Arbeiten oft erst jene Umweltprobleme schafft, die das ökologische Bauen eigentlich verhindern möchte (wie zum Beispiel ein hohes Verkehrsaufkommen). Erst in verdichteten Stadtquartieren mit drei bis fünf Geschossen, deren Flächen nutzungsgemischt mit Wohnen und Büronutzung und Gewerbe belegt sind, wird die Stadt mit kurzen Wegen zur Arbeit, zum Einkaufen, zu Bildung, Freizeit- und Kultureinrichtungen, erst richtig nachhaltig.
Nachhaltige Quartiere in Bonn
Um nachhaltige Stadtquartiere in Bonn realisieren zu können, gibt es aktuell lediglich zwei Standorte, die hierfür in Betracht gezogen werden könnten. Das ist zum einen das Viktoriaviertel und zum anderen das Areal der Ermekeilkaserne. In beiden Fällen existieren vergleichbare Ideen und Zielsetzungen, die bereits von verschiedenen Interessensgruppen unter anderem in Form von Beteiligungsverfahren geäußert wurden. Auch hinsichtlich ihrer baulichen Struktur wären beide Areale für die Umsetzung eines umfassenden nachhaltigen Konzeptes geeignet.
Ermekeilquartier
Das Ermekeilquartier liegt mit einer Grundstücksfläche von 2,5 Hektar in der beliebten Bonner Südstadt und ist in wenigen Minuten zu Fuß vom Bahnhof erreichbar. Aufgrund der zentralen Lage und der nutzungsgemischten Stadtstruktur gibt es kein zweites Areal in Bonn, das sich ebenso gut für ein autofreies Quartier eignen würde.
Seit 2005 setzt sich die Initiative zur zivilen Nutzung der Ermekeilkaserne “Ermekeilinitiative e. V.” für die Konversion des Geländes ein.
Sie organisiert auf dem Gelände unterschiedliche Kultur- und Fach-Veranstaltungen, engagiert sich in der Bonner Flüchtlingsarbeit, betreibt den Ermekeilgarten als “Urban gardening”-Projekt und führt regelmäßige RepairCafes auf dem Gelände durch. Längerfristig strebt die Ermekeilinitiative ein lebendiges, grünes, nutzungs- und sozial gemischtes Quartier innerhalb der UN-Stadt Bonn an.
Die Stadt Bonn führte Ende 2015 eine Bürgerwerkstatt sowie eine dreitägige Planungswerkstatt durch, woraus verschiedene städtebauliche Entwürfe entstanden sind, die als realistische Grundlage der weiteren Planungen dienen. Der städtebauliche Entwurf, der am weitesten gediehen ist – auch in Bezug auf eine Nutzungsmischung innerhalb des Quartiers -, ist der des Planungsbüros reicher haase associierte GmbH (Dortmund). Nach diesen ersten Plänen könnten rund 650 Wohnungen für unterschiedliche soziale Wohnformen entstehen, darunter auch Wohnprojekte, Bau- und Wohngemeinschaften.
Die Gebäude der alten Ermekeilkaserne selbst mit 7.000 qm soll von einer gemeinnützigen Wohnbau- Genossenschaft als Träger entwickelt und verwaltet werden. Diese ist derzeit in Gründung. Das Projekt macht deutlich, dass Baukultur mehr ist als Bauwerke nachhaltig zu erhalten. Auch der bürgerschaftliche Prozess drückt den Anspruch an Baukultur aus.
Viktoriaviertel
Im Zuge einer Bürgerwerkstatt wurde von Seiten der künftigen Bewohner*innen der Wunsch geäußert, die Gebäude und Wohnungen sowie die kleinteilige Struktur des Viktoriaviertels zu erhalten. Dem war auch der Stadtrat gefolgt – entgegen der Expertenempfehlung zum Bau einer Shoppingmall. Seither gab es allerdings kaum mehr Bewegung im Gebiet, da die Gemengelage innerhalb des Viktoriaviertels auf Grund der Besitzverhältnisse recht strittig ist.
Vor allem der Wechsel mehrerer Gebäude von der Firma Signa an einen neuen Investor lassen bisher noch keine eindeutige Entwicklung absehen. Aus Sicht der Stadt- und Quatiersplanung würde sich das Viertel ausgezeichnet als Musterquartier für nachhaltiges Bauen im Bestand eignen.
Grundsätzlich wäre die Entwicklung der beiden oben genannten Quartiere eine große Chance für das Renommee der UN-Stadt Bonn. Hier könnte Deutschland sein über 40 Jahre gesammeltes Wissen zum nachhaltigen Bauen und Wohnen in einem größeren Quartier erlebbar machen. Dies beinhaltet die Themenbereiche „Energie und Klimaschutz“ (Stichworte: Plusenergiebauweise, Erneuerbare Energien) sowie Baustoffe und Ressourceneffizenz (Holz, andere nachwachsende Rohstoffe, Recycling). Darunter fällt auch das autofreie Wohnen und Elektromobilität, eine naturnahe, klimaangepasste Freiraumplanung samt intensiv genutzter Freiräume mit Angeboten zum Urban gardening. Beide Projekte wären vorbildliche Pilotprojekte für eine nachhaltige Quartiersentwicklung.
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