Keine Zukunft ohne uns?
Dr. Manfred Fuhrich
Die Vergangenheit haben wir hinter uns. Jetzt kann die Zukunft kommen. Ja, aber welche? Zukunft wird es immer geben, das ist sicher – soweit die gute Nachricht. Offen ist nur, ob mit oder ohne uns.
Der Weltenlauf hat gezeigt, dass es häufig gravierende Veränderungen gegeben hat. Es gab wiederholt Eiszeiten, Hitzeperioden und andere heftige Katastrophen, die die Welt erschütterten. Die Natur hat es immer wieder verstanden, gravierende Wandlungsprozesse zu meistern. Neu ist aber, dass wir uns eingestehen müssen, dass wir zum aktuellen Klimawandel dramatisch beigetragen haben. Wir verstehen es einfach nicht, diesen Irrsinn zu stoppen.
Unsere Vorfahren waren Meister der Anpassung, genauer gesagt: die starken Lebewesen, die Schwachen gingen drauf. Das hat die Natur so eingerichtet; das gilt für Pflanzen und für Tiere und letztlich auch für uns. Die Dinosaurier haben es nicht geschafft, aber immerhin leben sie in den Erinnerungen noch fort in den Naturkundemuseen und zeigen Präsenz in fast allen Kinderzimmern. Welch eine enorme Leistung derjenigen Wesen, die – ursprünglich aus dem Wasser kommend – sich den wechselnden Lebensbedingungen an Land anzupassen verstanden. Das könnte uns dazu verleiten, zu erwarten – besser: zu erhoffen – dass es auch in Zukunft klappen könnte.
Doch hier irrt der Optimist. Es sind bereits diverse Kipppunkte erreicht. So manche Entwicklungen sind nicht mehr umkehrbar. Auch der technologische Fortschritt wird uns wohl nicht retten können; etwa die „künstliche Intelligenz“? Vielleicht hat genau diese technikaffine Selbstverliebtheit dazu geführt, dass wir alles, was wir glaubten zu können, auch umgesetzt haben. Mit dem Zauberwort „Technologieoffenheit“ öffnen wir mental den Weg zur weiteren Zerstörung unserer Lebensgrundlagen. Wir haben uns zur einzigen Gattung der Lebewesen erhoben, die es versteht, sich selbst abzuschaffen. Dieser kollektive Selbstmord hat für uns den verführerischen Vorteil, dass er nicht plötzlich kommt und wenn ja, erstmal woanders: Gletscher schmelzen, Inseln versinken, Ernten verdorren, Flüsse treten über die Ufer.
Nur das Hochwasser an der Ahr und der Erft, das war ein bisschen zu nah. Nun hat man die Uferbefestigung quer durch die Altstadt von Bad Münstereifel mit einer neuen Mauer gesichert. An der Ahr sind die Spuren der Verwüstung noch zu erkennen. Die Bahnlinie ist nach zwei Jahren immer noch unterbrochen. Auch in anderen Regionen häufen sich die Hochwasserschäden. Weitermachen wie bisher?
Ist das der Mut der Verzweifelten? Sind das die Pfiffe im finsteren Wald? Das Pfeifen nach Fördermitteln und die Erwartungen an Versicherungsleistungen sind jedenfalls noch nicht verstummt. Doch der Wunsch, das alles wieder so wird, wie es einmal war, hat schon etwas Groteskes. Irritierend sind zudem die Nachrichten, dass die Vergabe von Fördermitteln daran geknüpft ist, den alten Zustand wieder herzustellen. Dabei wäre es angezeigt, auf die Wiederherstellung des Altzustandes im Einzelfall konsequent zu verzichten. Nach der Flut ist vor der Flut. Natürlich ist es unpopulär einzugestehen, dass ein Rückbau von Gebäuden und eine Rückgabe gefährdeter Gebiete an die Natur die bessere Lösung wäre. Man ahnt schon, wie sich Anwälte in Stellung bringen, auf das vorhandene Baurecht im Auftrag der Betroffenen zu pochen.
Können wir mit dieser Mentalität überhaupt den Klimawandel bezwingen oder wenigstens in seinen Folgen abmildern? Ignorieren oder wenigstens Ausblenden erscheint einigen als Gebot der Stunde. So hat die Bahn den Slogan „Alle reden vom Wetter, wir nicht!“ schon längst entsorgt. Noch konsequenter die Neuformulierung der Fahrgastrechte: bei wetterbedingten Verspätungen gibt es nun nicht mehr eine Entschädigung, man konzentriert sich auf die „betriebsbedingten Verspätungen“. Die sind angesichts der maroden Schienen und des Personalmangels noch ausreichend relevant.
Welche Lehren können wir aus dem Bahnfiasko ziehen? Erst durch jahrelange Vernachlässigung wird die Problemlage so deutlich, dass nun dringend was getan werden muss. Dies alles mit der Folge, dass im Rahmen dieser Reparaturmaßnahmen die Situation erstmal noch schlechter werden muss. Diese Kollateralschäden vernachlässigter Aufgaben stimmen die mobile Bevölkerung auf weitere Durststrecken ein. Übertragen auf die Herausforderung der Klimakrise bedeutet dies: Es reicht nicht, dass die Mehrheit für mehr Umweltschutz votiert. Es muss auch die Bereitschaft wachsen, dafür zu zahlen und letztlich auf gewohnten Wohlstand zu verzichten. Das sagt sich so leicht. Aber haben wir eine Wahl? Eine Chance wäre: Wohlstand anders zu definieren, anders zu erleben. Nicht die reichhaltige Auswahl von Lebensmitteln aus aller Welt zu jeder Zeit wäre das Kriterium für Wohlstand, sondern eine intakte Umwelt und beeindruckend schöne Naturerlebnisse.
Aber die Natur lässt sich nicht davon beeindrucken, dass wir sie schön finden. Sie ist einfach da und entwickelt sich ihrer selbst Willen weiter. Wir sind ihr ziemlich egal. Sie wird uns überleben. Deprimierend müssen wir feststellen: Sie braucht uns nicht. Ohne uns würde es ihr sogar besser gehen. Sie hat Zukunft – und wir verspielen die Chance auf Teilhabe.
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