Nahrung für alle
Esther Reinecke-Lison
Die Welthungerkrise ist kein neues Problem und sie verschärft sich weiter. Das unfassbare Leid, das die hungernden Menschen sehr lange schon durchleiden, muss uns immer bewusst sein. In der Deklaration der FAO (Food and Agriculture Organization) der UN (Rom 1996) wurde das Menschenrecht auf Nahrung und die Freiheit von Hunger völkerrechtlich verankert.
Weltweit sterben täglich 25.000 hungernde Menschen, vor allem Kinder und es gibt weiter 1 Milliarde Hungernde. Dagegen gibt es mehr als 1,5 Milliarden übergewichtige Erwachsene. Die Erde befindet sich in einer Schieflage mit steigender Armut und ungerechter Verteilung. Zudem werden große Mengen an Nahrungsmitteln, die 1/3 der Gesamtmenge an Nahrung ausmachen, einfach weggeworfen. Sie wären, bei effektiver und gerechter Verteilung, ausreichend für 870 Millionen hungernde Menschen. Um die rasch wachsende Zahl der Menschen zu ernähren, muss die Nahrungsmittelproduktion gesteigert werden.
Dies geschieht allerdings vielfach unter Ausbeutung der Ressourcen, die auf künftige Hungerkrisen hinausläuft. In vielen Entwicklungs ländern leben bis zu 4/5 der Menschen von der Bewirtschaftung ihrer Ackerflächen, dennoch machen Bauern 2/3 der unterernährten Menschen aus. Jedes Land soll sich aus erster Hand selber ernähren, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln wird jedoch durch sinkende landwirtschaftliche Beihilfen für die Entwicklungsländer, aber auch durch die unfaire Subventionierung der Industrienationen seitens der EU und Amerikas, zunehmend erschwert. Dies betrifft vor allem Afrika und Asien.
Für die Entwicklungsländer wird wegen der Billig- bzw. Dumpingpreise des Westens die Eigenproduktion für den Inlandmarkt zu teuer oder unrentabel; so werden die armen Länder noch ärmer. 2012 wandten 53 der ärmsten Staaten für die steigenden Lebensmittelimporte 60% der Entwicklungshilfe des Vorjahres auf. Die Hungerkrise wird auch verschärft durch die schwer zu begrenzende Bevölkerungsexplosion. Nach Einschätzung der UNO wird es im 21. Jahrhundert auf der Erde 10,5 Milliarden Menschen geben, aktuell befinden wir uns bei einer Anzahl von mehr als 7 Milliarden Menschen. Die globale Überbevölkerung steht auch in direktem Zusammenhang mit der zunehmenden Versiegelung der Böden. Ein Beispiel: Mumbai hat etwa 20 Mio. Einwohner, Berlin nur ca. 3,5 Millionen. Ganze Megastädte entstehen, um der steigenden Bevölkerung eine Wohn- und Arbeitsstätte zu geben. Dies hat zur Folge, dass die Böden, wie die Umwelt insgesamt, große Schäden erleiden.
Zudem in besonderem Maße hungerauslösend wirken die unmoralischen Aktivitäten der transnationalen Unternehmen und Einzelhandelsriesen, durch welche die Bauern erst Marktzutritt erlangen können. Diese Konzerne ziehen den Gewinn aus niedrigen Agrarpreisen auf dem Weltmarkt und exportieren auch in die armen Länder. 1,5 Milliarden Kleinbauern stehen 500 Einzelhandelskonzernen gegenüber, die den Markt kontrollieren, und mit an der Preisspirale drehen und bewirken, dass z.B der Kaffeepreis der Bauern unter ihre Produktionskosten fällt. Einige ausländische Unternehmen fördern zum Teil auch die Privatisierung des Gemeinguts Wasser, sodass die eigene Bevölkerung in den betroffenen Ländern an Wassermangel leidet. Für die Kaffeeanbauländer, mit ihren 2,5 Millionen weltweit produzierenden Bauern, ist der Endverkaufsgewinn für die Bauern gerade einmal 7-10% des Umsatzes. Ein bitteres Geschäft. Gleichzeitig verdoppelte sich der Gesamtwert der Einzelhandelsverkäufe. Die Folge dieser Abhängigkeit ist Armut hunderttausender landwirtschaftlicher Produzenten, die in der Zerstörung ganzer Familiendorfstrukturen endet. Das Vorgehen ist unfair und unmenschlich. Fairer Handel würde den Bauern ihren Lebensunterhalt sichern und ihnen ihre Würde wiedergeben. Einen weiteren wichtigen Punkt stellt das Land-Grabbing dar. Internationale Nahrungsmittelkonzerne kaufen Flächen auf, um ihre Eigenproduktion und ihre Ernährungssicherheit oder den Ersatz fehlender eigener Ressourcen zu gewährleisten. Seit 2004 wurden mehr als 50 Mio. ha bebaubare Flächen in armen Entwicklungsländern gekauft oder gepachtet. Nur 30% davon dienen der Nahrungsmittelproduktion, der Rest dem Anbau von Baumwolle, Rosen, Agrotreibstoffen, u.a.. Wegen der dadurch fehlenden Anbauflächen in den „Gastländern“ können die Entwicklungsländer ihren Eigenbedarf und ihre Ernährungssicherheit nicht mehr decken. Mangelernährung, Hunger und Krankheiten bei unzureichender medizinischer Versorgung sind die Folge. Kleinbauern, Hirten und indigene Völker müssen ihre jahrzehntelang bewirtschafteten Flächen unter Zwang verlassen. In Äthiopien mussten nach Human Rights Watch 1,5 Millionen Menschen ihre Heimat verlassen. Zukünftige globale Kriege um Nahrungs- und Wasserressourcen stehen uns bevor. J. Diouf, der frühere Generaldirektor der FAO in der UN (1994-2011) bezeichnete diese Situation als Form des Neokolonialismus.
Auch werden durch die Industrialisierung auf den Flächen ganz neue landwirtschaftliche Methoden angewandt, die die traditionelle Landwirtschaft zerstören und die Böden erschöpfen. Jean Ziegler, (ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung) bezeichnet das weltweite Hungerproblem als „den größten Skandal des 3. Jahrtausends. Es handelt sich um ein immer wieder von neuen begangenes Verbrechen gegen die Menschheit.“
Um nachhaltige Lösungen für die Welternährung zu finden, muss erst einmal der Zugang zu den Böden, als wichtigste Einkommens- und Nahrungsquelle, als Lebensgrundlage für die Kleinbauern ermöglicht werden. Eine weltweite Reformierung der Agrarmärkte und -struktur auf Basis gerechter und sozialer Perspektiven, um Armut, Hunger und die Kinderarbeit zu unterbinden, ist dringend erforderlich,. Neben einer gerechten Bodenverteilung und dem Ausbau der Infrastrukturen durch den Staat müssen Methoden im Kampf gegen den Welthunger und gesamtgesellschaftliche Entwicklungsperspektiven entwickelt werden, insbesondere Bildungschancen. Eine Orientierung am Menschenrechtsansatz und an der Demokratisierung landwirtschaftlicher Strukturen mit einer Eigenmacht der Bauern bekämpft den Hunger. Der ehemalige luxemburgische UN-Botschafter J. Feyder: „Die Politik der reichen Industrienationen ist schuld an der Unterernährung in armen Ländern, nicht nur weil die Kredit-, Hilfs- und Handelsregeln der Mächtigen tödlich wirken, sondern auch weil die urban geprägten Überflussgesellschaften sich nicht für die Agrarproduzenten interessieren.“. Dazu auch Jean Ziegler „Es kommt nicht darauf an, den Menschen der 3. Welt mehr zu geben, sondern ihnen weniger zu stehlen“. Im LMD-Artikel „ Savagados Leidenschaft der Bäume“ aus 8/2010 berichtet M. Hertesgaard über ein Projekt in der heißen und trockenen Sahelzone in Burkina Faso. Dort leiden Bauern infolge der Dürreperioden, auch durch den Klimawandel, an Ernteausfällen. Seit Generationen bewirtschaftete, verdorrte Flächen in Trocken- und Steppengebieten werden nun regional mit landwirtschaftlichen Rehabilitationstechniken bearbeitet. Die einst so fruchtbaren Böden erwachen wieder und Bäume wachsen neu. Zukünftig wird besonders der Umgang der Bauern mit einer nachhaltigen, an das Klima angepassten Landwirtschaft erforderlich sein, die nach den Hungersnöten (z. B. Äthiopien 1982) über Leben und Tod entscheiden. Wenn stattdessen die hungernden Menschen herbeiströmen, werden nicht nur die afrikanischen, sondern auch die reicheren Industrienationen sich der Situation stellen müssen.
(Quellen: J.Feyder, Mordhunger; W.Bommert, Kein Brot für die Welt/Bodenrausch; Le monde diplomatique-Atlas der Globalisierung)
Erschienen in der BUZ 2_15
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