Vom aufhaltbaren Wüsten-Wachstum

20. Mai 2024 | Ausgabe 3 / 2024 Klimaextreme, Esther & Andreas Reinecke-Lison, Ökologie | 1 Kommentar

Lebensraum Oase erneuern

40 Prozent der Erdoberfläche sind von Wüsten-Bildung bedroht und 1,5 Milliarden Menschen davon betroffen. Die Folgen sind Hungersnöte und Landflucht. Ein wirksames Mittel, um die weitere Wüsten-Bildung in schon trockenen Regionen der Welt zu verhindern und damit verbundene ökologische und soziale Folgen zu vermeiden, besteht darin, Oasen als Ökosysteme zu erneuern.


Esther und Andreas Reinecke-Lison


Oasen

„Man sitzt auf einer Sanddüne. Man sieht nichts. Man hört nichts. Doch etwas leuchtet in der Stille. ‚Es macht die Wüste schön‘, sagte der kleine Prinz, ‚dass sie irgendwo einen Brunnen verbirgt.“

Foto: Antonio Santoro// Oase in Tunesien.

Oasen heißen im Arabischen Ua-ha (Lautschrift), was neben „Wüstenparadies“ auch „Zufluchtsort“ bedeutet. Sachlich formuliert ist eine Oase ein Vegetationsfleck in einer Wüste. 1344 Oasen zählt die Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung derzeit, von Peru über Jordanien bis nach Australien – und in der Sahara, dem „Meer ohne Wasser“, der größten Wüste der Erde.

Prosa und Spielfilme verbreiten das Bild der Oase als winziger, lebensrettender Wasserstelle mit einer schattenspendenden Palme inmitten eines unendlichen Sandmeeres. Doch das trifft so nicht zu. „Nach aktuellen Schätzungen leben bis zu 224 Millionen Menschen allein im Nahen Osten und auf dem afrikanischen Kontinent in Oasen“, so Klement Tockner von der Senckenberg-Gesellschaft.

Oasen sind bis heute wichtige Stationen von Transsahara-Karawanenrouten, auf denen mit Dromedaren Salz, Edelmetalle und Stoffe transportiert wird, etwa von Fez nach Timbuktu. Über politische Grenzen hinweg sind Oasen Handelsplätze sowie soziale und kulturelle Treffpunkte.
In Oasen gibt es seit jeher auch landwirtschaftlich genutzte Flächen.

Typisch ist der Stockwerk-Anbau mit einer unteren Ebene (mit Getreide, Gemüse, Futterpflanzen), einer mittleren Ebene (mit Obstbäumen) und einer oberen Ebene mit bis zu 30 Meter hohen Dattelpalmen. Sie halten über 50 Grad Celsius aus und spenden Schatten für die Pflanzen der Ebenen darunter. „Es ist eine Ode an die Artenvielfalt. Alle Pflanzen leben in

Quelle: htps://commons.wikimedia.org/ // Oase Tafilalet

Synergie, mit der Palme als Orchesterleiter.“, so Abdelkarim Bouarif, Agrarwissenschaftler. In weitgehender Isolation lebend, bauten die Menschen nur das an, was sie selbst verbrauchten. Die begrenzten Ressourcen wurden optimal genutzt. Die Dattelpalme kann vollständig verwertet werden (Stamm als Bauholz, Palmwedel zum Korbflechten, Früchte als „Brot der Wüste“). 2022 wurde das Wissen, die Traditionen und Bräuche rund um die Dattelpalme von der UNESCO/UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur zum immateriellen Kulturerbe erklärt. Schutz vor dem stetig herbeigewehten Wüstensand garantieren eine reichhaltige Oasen-Vegetation und der Aufbau von Schutzwänden, aus Lehm oder Dattelzweigen.

Wichtigste Voraussetzung für das Leben von Mensch, Tier und Pflanze ist, dass Wasser verfügbar ist. Diese Ressource bestimmt, wie groß Oasen-Siedlungen werden können. In der Sahara gibt es unter anderem Flussoasen und Grundwasseroasen, denn sie ist reich an fossilem Grundwasser. Eine Art unterirdisches Meer stammt aus Zeiten, als dort noch ein feuchtes Klima herrschte. Das heutige Sahara-Klima entstand vor etwa 7000 Jahren.

In Marokko leben etwa 1,7 Millionen Menschen (4,5 Prozent der Bevölkerung) in Oasen. Tafilalet ist eine Oasengruppe in der marokkanischen Sahara, an den Ausläufern des Atlas-Gebirges. Sie ist mit 1380 km² die ausgedehnteste der Welt und umfasst damit eine fast zehnmal größere Fläche als Bonn, hat 300 Orte und etwa 150.000 Einwohner. Wasser wird durch den Fluss Ziz in die Oase geleitet. Vor Jahrhunderten wurde zudem das Bewässerungssystem der Khetarras angelegt. Aus dem Grundwasser-Reservoir des Gebirges wird in bis zu zehn Meter tief gelegenen, manchmal nur schulterbreiten und hüfthohen Kanälen Wasser, vor Verdunstung geschützt, in die Orte geführt. Das System wird seit jeher gemeinschaftlich verwaltet. Wasser für die Felderbewässerung mit oberirdischen Kanälen (Seguias) wird nach einem Schema, das der Dorfrat freitags beschließt, allen Bauern zugewiesen, die sich an der harten und gefährlichen Arbeit der Wartung der Khettaras beteiligen. Alle erhalten die Menge, die ihnen zusteht. „In der Oase geht es um Zusammenhalt, Menschlichkeit, Austausch.“, so der Agrarwissenschaftler Thierry Ruf.

Oasen sind Ökosysteme voller biologischer Vielfalt und eine Barriere des blühenden Lebens gegen das Vordringen der Sahara. „Ich komme immer in diese wunderbare Natur, wenn ich Ruhe finden oder meine Gedanken sammeln möchte. Manchmal höre ich einfach nur zu, wie die Vögel zwitschern.“, sagt Bauer Mohammed Laaziz.

„Und nach einer Weile sagte er: „Die Sterne sind schön, weil sie an eine Blume erinnern, die wir nicht sehen.“ Ich sagte: „Natürlich“ und betrachtete die Falten des Sandes im Mondlicht. .Plötzlich verstand ich dieses geheimnisvolle Leuchten des Sandes.
Veränderungen
Die grünen Inseln von Tafilalet verändern sich seit den 1990er-Jahren, als die ersten Dürren auftraten. Seitdem wandern Männer mangels wirtschaftlicher Perspektiven zur Arbeit in die Städte ab, überweisen Geld an ihre Familien zuhause. Der Wert der Solidarität und des kollektiven Handelns für das gemeinschaftlich gepflegte und genutzte Gut geht verloren. Alte, Frauen und Kinder allein können die Anstrengungen der regelmäßigen Wartung der Khettaras nicht erbringen. Das betrifft auch die Schutzgürtel um die Oasen, so dass fruchtbarer Boden an die Wüste verloren geht. Das Bohren von bis zu 120 Meter tiefen Brunnen führte zur Kommerzialisierung der Landwirtschaft und des Tourismus zum Vorteil ortsfremder Investoren, steigerte aber auch den Wasserbedarf, die Wasser- und Bodenversalzung. Dabei ist der Vorrat an fossilem Grundwasser begrenzt. Klement Tockner sagt hierzu: „Oasen sind sehr empfindliche Ökosysteme. Übernutzung der natürlichen Ressourcen, Industrialisierung der Landwirtschaft, Massentourismus bedrohen Oasen weltweit – und das mehr denn je.“. Will man die Oasen beschützen, muss man sie bewirtschaften und pflegen.

Auslöser und Beschleuniger der Veränderungen ist der Klimawandel. Temperaturanstiege und ausbleibende Niederschläge dörrten selbst Dattelpalmen aus. Juli 2019 verbrannten in der Oase Tafilalet mehr als 10.000 teils Jahrhunderte alte Bäume bei einem durch Hitze ausgelösten Brand. Im Frühjahr 2024 gab es im Mittelmeerraum eine Winterdürre. Marokko, wo die Temperaturen schon im Februar auf 37 Grad Celsius stiegen, erlebt sein sechstes Dürre-Jahr in Folge. Mitte Januar lag der durchschnittliche Talsperren-Füllstand bei 23 Prozent, der Niederschlag lag 70 Prozent unter dem Durchschnitt. Daher wurde die Verwendung von Wasser aus Staudämmen sogar für landwirtschaftliche Flächen gestoppt, auf denen für den Export nach Europa produziert wird. Für 2024 wird auch eine geringe Getreideernte erwartet. Landwirtschaftsminister Sadiki: „Wir beten für Regen.“ Marokko hat in einhundert Jahren zwei Drittel seiner Oasen verloren.

„Er war müde. Als der kleine Prinz einschlief, nahm ich ihn auf meine Arme und setzte den Weg fort. Ich war bewegt. Es schien mir, als trüge ich ein zerbrechliches Juwel“

Entwicklungen

Quelle: htps://commons.wikimedia.org/ // Oase Tafilalet

In den letzten 20 Jahren sind in Marokko eine Reihe von Maßnahmen unternommen worden, um den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen dieser Veränderungen zu begegnen und eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.

Dazu gehört auf nationaler Ebene der Aufbau alternativer Energiequellen wie der Windpark Tetouan und der Solarkomplex Noor Ouarzazate (eine der größten Solaranlagen der Welt). Für die Oase Tafilalet besonders wichtig waren Projekte zur Erneuerung der Agrarökosysteme und Biodiversität. Dazu zählen der Einsatz grüner Technologien: Solarenergie-betriebene Wasserpumpen und die Einführung der ressourcensparenden Tröpfchenbewässerung direkt an der Pflanzenwurzel, der Ausbau des ökologischen Landbaus: Anbau traditioneller Pflanzenkulturen wie Hartweizen, Linsen und Favabohnen, Haltung lokaler Nutztierrassen wie das D‘man-Schaf, Wanderimkerei mit Sahara-Bienen, Anbau von hitzeresistenten Kräuter- und Heilpflanzen,
der Aufbau wirtschaftlicher Selbständigkeit und Persönlichkeitsentwicklung von Frauen mittels Kooperativen,
der Aufbau eines Ökotourismus-Angebots,
die Restaurierung einiger Khetttaras und Seguias.

Ausblick

Durch gemeinschaftlich beschlossene Nutzungsregeln mit klaren Grenzen, die den Ressourcenzugang kontrollieren und lokal akzeptiert sind, wurde in Oasen jahrhundertelang mit den Ressourcen Boden und Wasser verantwortungsvoll und schonend umgegangen. In der Neuzeit formulierte die Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom daraus Gestaltungsprinzipien für Gemeingüter. Sie konnte nachweisen, „dass Menschen kooperieren und eine gemeinsam genutzte, aber begrenzte Ressource erfolgreich bewirtschaften können.“ (Wolfgang Wiedlich). Die Wiederbelebung dieser bewährten Prinzipien kann sich im Verbund mit der Anwendung nachhaltiger Technologien und Anbaupraktiken dann als wirksame Kombination für die Anpassung an den Klimawandel erweisen. Eine Oase kann wieder ein von vielen jungen Menschen bewohnter und bewirtschafteter Ort werden und dafür sorgen, dass die Ausbreitung einer Wüste verhindert wird. Der Umweltaktivist Halim Sbai, der in einer Oase lebt: „Wenn man die Oasen retten will, muss man sich zuerst der Menschen annehmen, die dort leben. Es wird eine langfristige Aufgabe sein, aber ich freue mich, wenn ich das Lächeln auf den Gesichtern meiner Leute sehe.“
„Was mich so sehr an diesem verschlafenen kleinen Prinzen bewegt, ist seine Treue zu einer Blume, es ist das Bild einer Rose, das ihn durchscheint wie die Flamme einer Lampe, sogar wenn er schläft … Und während ich ging, entdeckte ich bei Tagesanbruch einen Brunnen.“

 

Internet: arte: Oasen der Welt // Programme Oasis Tafilalet 2006-2015 // FAO: Projet OASIL // W. Wiedlich in: General-Anzeiger Bonn 3.-4.2.24 // Matteo Fagotto in: NZZ 3.6.22 // Global Drought Observatory, Emergency Management Service // fettgedruckte Zitate stammen aus Antoine de Saint-Exupéry: Der kleine Prinz

 


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