Urban Mining in der Kinder- und Jugendbildung

10. Oktober 2022 | Nachhaltigkeit, Energie, Gesellschaft, Interview, Melanie Alessandra Moog, Ökologie | 0 Kommentare

Luxemburgs Äerdschëff als Lernmodell

Alessandra Moog

Diese Artikelreihe zeigt, wie Strategien des Urban Mining den Lebensraum des Menschen zukunftsfähiger machen können. Es ist ein Konzept, das auch das Bauwesen reformieren will. Dass es besonders wichtig ist, Heranwachsenden diese Innovationen zu vermitteln, liegt nahe. Im luxemburgischen Redange treffe ich Benjamin Klein vom CELL (Center for Ecological Learning Luxemburg). Als Mitglied des Zentrums für Umweltbildung Luxemburg setzt er sich für die pädagogische Vermittlung der Kreislaufwirtschaft ein.

Die Krise umschiffen

Im kleinen Ort Redange in Luxemburg entsteht derzeit Großes. Hinter Arbeitsutensilien und Schutthaufen glänzt eine 30 Meter lange Glasfront, darüber thronen Solarpanele. Benjamin Klein steht auf der Baustelle und schaut sich zufrieden um. Ein erfrischender Nieselregen fällt auf seine Arbeitskleidung. „Wir sind froh über den Fortschritt unseres Projekts, das auf einer luxemburgischen Bürgerbewegung beruht.

Bild: Foto mit Benjamin Klein Aufnahme: Clemens Arvay

Für die Umsetzung des Baus haben wir uns seit 2015 eingesetzt und vorbereitet.“ Klein, der nachhaltige Entwicklung mit dem Schwerpunkt Bauwesen studierte, schrieb seine Masterarbeit über die ökologischen Aspekte des Äerdschëffs („Erd-Schiffs“) und dessen Energieeffizienz. Im Anschluss erhielt er seinen Traumjob in der Projektumsetzung des CELL. „Dieser Modellbau, der Lehrzwecken dient, ist ein wichtiger Beitrag in der aktuellen Zeit. Das Thema Nachhaltigkeit ist eine große Baustelle, das war es schon vor der Energiekrise. Umweltfragen und eine gesicherte Zukunft gehen uns alle etwas an.“ „Sicher,“ stimme ich ihm zu, „wir sitzen schließlich alle im gleichen Boot.“ Hinter uns werkelt Kleins Crew aus Kolleg*innen derweil nicht an einem Boot, sondern an einem Schiff.

Nachhaltigkeit in der Bildung verankern

Genaugenommen ist das Earth Ship, oder Äerdschëff, wie es im Luxemburgischen heißt, kein wirkliches Schiff, sondern ein längliches, intelligentes Gebäude auf festem Untergrund. Die lange Glasfront allerdings erinnert ein wenig an die Panoramafenster eines Ausflugsdampfers. Benjamin Klein erklärt jedes Detail vom Aufbau und der Funktion dieses besonderen Gebäudes, das auf dem Grundstück des angrenzenden Lycée Atert, einer weiterführenden Schule, steht. Die Schule bietet den Kindern und Jugendlichen auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Unterrichtsfächer. Schon während der Bauphase kommen Schulgruppen regelmäßig hinüber und lernen Zusammenhänge der Kreislaufwirtschaft direkt an diesem modellhaften Bau.

Junger Idealismus am Steuerruder

Der Rohbau und die Energieversorgung des Gebäudes sind bereits fertiggestellt, sodass Benjamin Klein einiges direkt am Bau vermitteln kann. Ähnlich wie eine Schiffsmannschaft auf hoher See alles Lebensnotwendige dabeihaben muss, ist auch das Äerdschëff auf Autarkie und Selbstversorgung in Sachen Strom, Wärme, Wasser und Nahrung ausgerichtet. Zur Verstärkung des Teams und zu Lernzwecken werden künftig interessierte junge Menschen aus dem Freiwilligendienst sowie Praktikantinnen angeheuert, die in dem Gebäude eigene Zimmer und “Schlafkajüten” finden. Sie dürfen Workshops zum Thema Kreislaufwirtschaft für die Schülerinnen sowie für andere Gruppen begleiten. Die umliegenden Brachflächen sollen in einen florierenden Permakulturgarten transformiert werden und der teilweisen Selbstversorgung der Mitarbeitenden dienen. Der Großteil des Gebäudes wird zu einem architektonisch einzigartigen Gemeinschaftszentrum für die Workshops ausgebaut.

Gemeinsam mit voller Kraft voraus

In Redange wird die kommende Generation mit den Ideen und Möglichkeiten des Urban Mining vertraut gemacht. Die Schulklassen erfassen Informationen zur Kreislaufwirtschaft nicht nur aus dem Lehrbuch, sondern erleben vor Ort anschaulich die technischen Voraussetzungen des Äerdschëff. Dieses fungiert als konkretes Beispiel für ein neues Bauen, Wohnen und Wirtschaften. So werden nach und nach die Segel für
einen ökologischen Paradigmenwechsel gehisst, der aus der gesellschaftlichen Mitte heraus entsteht. Die Schule bot durch den Bauplatz und ihre Kooperation den nötigen Wind in den Segeln, sodass der Bau realisiert und bald abgeschlossen werden kann.

Besonderheiten des „Land-Schiffs“

Das Äerdschëff ist fast ausschließlich aus Recycling-Material sowie aus nachhaltigen, regionalen Ressourcen erbaut. Glasflaschen, gebrauchte Fliesen, alte Bretter und Autoreifen sowie Fenster aus zweiter Hand sind in die Mauern aus Lehm, Stroh und regional gewonnenem Holz eingebaut. Gedämmt wurde mit naturbelassenem Hanf. An einer Stelle im Gemeinschaftssaal wurde der Lehmputz zu Lehrzwecken weggelassen: Hier erkennt man die Substanz, aus der das Gebäude besteht. „Der Bau kann mit Ende seiner Lebensdauer wieder auseinandergebaut und alle Bauteile und -stoffe können wiederverwertet werden. Nichts ist verleimt oder mit Chemie-Lack versehen,“ erklärt Klein. Der Bau orientiert sich am Modell des Earth Ship, das in New Mexiko (USA) für ein extremes Terrain und Klima entwickelt wurde: Hitze und Wasserknappheit führten zu der Idee, intelligent mit den natürlichen Ressourcen zu haushalten – aufgrund anhaltender Dürre in Europa könnte sich dieses System bald auch bei uns durchsetzen. Das Trink- und Nutzwasser durchläuft in dem Öko-Gebäude einen Kreislauf, der keinen Tropfen vergeudet. Regenwasser wird bis zu dreimal wiederverwendet und im hausinternen Spezialbeet geklärt. „Wir sind mit Energie und Wasser selbstversorgt, aber aufgrund der Gesetze haben wir Wasserhähne und Steckdosen angebracht, die sich aus den örtlichen Netzen speisen. Das Tolle ist aber, dass es notfalls auch ohne öffentliche Versorgung funktionieren würde.“ erklärt Klein.

Auf zu neuen Ufern

Im Äerdschëff lernen Heranwachsende, wie wir alle unsere Grundbedürfnisse in Zukunft unabhängig von wirtschaftlichen Krisen decken könnten und gleichzeitig die Umwelt schonen. Die Photovoltaik- und Solarthermie-Anlagen, ein Holzofen sowie ein kleines Windrad versorgen den luxemburgischen Bau mit eigenem Strom, Heizwärme und Warmwasser. Auch die große Fensterfront zur Südseite trägt zur Wärmeeffizienz bei, daneben schützt die Hanglage das gut gedämmte Gebäude an der Nordseite. Regenwassertanks, eine Kleinkläranlage, das integrierte Gewächshaus und ein Erdkeller für Lebensmittelvorräte runden das lebendige „Lern- Schiff“ ab. Wer in das Konzept des „Erd-Schiffs“ einsteigt, fährt auf eine Art Reise. Sie führt jedoch nicht über das Wellenspiel auf hoher See, sondern zu neuen geistigen Ufern. Hier entstehen wertvolle Impulse für eine zukunftsweisende Kreislaufwirtschaft.

Bild: Die Baustelle von innen Foto: Clemens Arvay

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