Solidarische Landwirtschaft

5. Mai 2020 | Nachhaltigkeit, Ausgabe 2 / 2020 Lebensmittel, Gesellschaft | 0 Kommentare

Frisch vom Feld

Gemüse frisch vom Feld. Wissen, wo es herkommt, wie und von wem es angebaut wurde. Gemeinschaftlich lokale Betriebe unterstützen. Das ist das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft – eine vielversprechende Alternative zu Tomaten aus Spanien und Avocados aus Peru.

Marian Schuth

Jeden Donnerstag holt man seinen Gemüseanteil aus einem der sieben Depots in Bonn ab. Etwa in der Altstadt, in Beuel oder der Südstadt, je nach dem wo man wohnt. Ein Fahrer hat das frisch geerntete Gemüse zuvor vom Feld bei Dransdorf abgeholt und hertransportiert. Eine große Ladung für jedes Mitglied. Den Inhalt kann man sich nicht aussuchen, der wird davon bestimmt, welches Gemüse gerade Saison hat. Darunter krummgewachsene Möhren, Salate, die auch mal als Schneckenbehausung dienen und eine Portion Ackerboden als Anhängsel mit dazu. Es kann schon mal passieren, dass es so oft hintereinander Kohl gibt, dass kulinarische Kreativität gefragt ist, um den Vorrat abwechslungsreich zu verarbeiten. Für rund 71 Euro monatlich kann man so sein Gemüse über die Solidarische Landwirtschaft Bonn/Rhein-Sieg beziehen.

Vorteile der Solawis

Aber warum nicht einfach wann es einem beliebt in den Super- oder Biomarkt gehen und dort nach Lust und Laune eine Gemüseauswahl treffen? Weil das, was wir essen, mehr Aufmerksamkeit und Bewusstsein verdient hat als den Gang in den nächsten Supermarkt. Seien die Lebensmittel auch mit noch so vielen Zertifikaten versehen, die biologischen Anbau und fairen Handel bescheinigen möchten:

Bei einem Kauf muss den Versprechen zu Herkunft, Anbau und Vertrieb der Lebensmittel vertraut werden. Das Leben eines Gemüses vom Samen bis zum Kauf der reifen Frucht bleibt dabei für die meisten von uns ein theoretisches Konzept. Da wächst irgendwie und irgendwo ein Pflänzchen aus der Erde und wenn man nur lang genug wartet, fleißig gießt und Unkraut jätet, dann wird daraus nach einigen Monaten eine stattliche Tomatenstaude oder ein praller Salatkopf. Diese grobe Vorstellung haben wir alle, aber einen richtigen Bezug dazu doch nur selten. Wer pflanzt, hegt, pflegt und erntet heutzutage schon noch, was er isst? Wer kann schon auf das Fleckchen Erde zeigen, in dem seine Mahlzeit herangewachsen ist?

Beim Essen Nähe wagen

Das heißt nicht, dass nun jeder wieder sein eigenes Essen anbauen sollte. Das muss man auch dann nicht, wenn man Mitglied in einer Solidarischen Landwirtschaft (kurz: SoLaWi) ist. Aber in einem System, in dem unsere Lebensmittel teilweise halbe Weltreisen vollbringen, bevor sie auf unserem Teller landen, ist es wichtig, die Distanz zwischen uns und dem, was wir essen zu, verringern. Genau das schafft die SoLaWi: Im übertragenen Sinne, wie auch konkret durch den Wegfall langer Transportwege und eine Verteilung vom Hof direkt an die Verbraucher*innen, ohne eine weitere
Zwischeninstanz. „SoLaWis sind eine Form des richtigen Wirtschaftens im falschen System“ behauptet Monika von der SoLaWi Stopperich mit einem großen Erfahrungsschatz in dem Bereich. Man ist geneigt, ihr zuzustimmen.

Vorgehensweise in den Solawis

In Deutschland gibt es inzwischen zahlreiche SoLaWis. 275 Einträge finden sich auf der Website des Netzwerkes Solidarische Landwirtschaft. Diese sind unabhängig voneinander organisiert, aber das Grundprinzip ist immer das folgende: Eine Gruppe von Menschen tut sich mit einem landwirtschaftlichen Betrieb zusammen und eine bestimmte Fläche wird für den Gemüseanbau festgelegt. Diese wird in Ernteeinheiten aufgeteilt. Für diese Ernteeinheiten bezahlen Mitglieder monatlich einen zu Beginn eines jeden Jahres ausgemachten Betrag, der je nach SoLaWi zwischen 50 und 100 Euro schwankt. Wer mehr zahlen kann und möchte, zahlt mehr. Wer weniger hat, kann auch weniger zahlen. Das ist das solidarische Prinzip. Am Ende muss aber in den Bieterrunden zu Jahresbeginn ein zuvor aufgestelltes Budget erreicht werden, von dem beispielsweise Fläche und Gärtner*innen bezahlt werden.

Dafür bezieht man ein Jahr lang die anfallende Ernte. In guten Jahren gibt es mehr, in schlechten weniger. Aber zu wenig ist es eigentlich nie: „Ich muss quasi nie Gemüse kaufen, außer ich habe mal Lust auf etwas bestimmtes, zum Beispiel auf Tomaten, die wir momentan nicht bei uns anbauen können“, sagt Tobias, Koautor der BUZ und Mitglied in der Bonner SoLaWi. Der landwirtschaftliche Betrieb und die Verbraucher*innen der SoLaWi tragen also Chance und Risiko der Ernte gleichermaßen. Der Vorteil für die Landwirte ist, dass sie garantierte Einnahmen für das Jahr haben. Über den gezahlten Beitrag zu einer SoLaWi hinweg liegt das Maß des eigenen Engagements an jeder und jedem Einzelnen. Ob man sich nur wöchentlich sein Gemüse abholt oder fleißig auf dem Feld mithilft, ist die eigene Entscheidung.

Solidarische Landwirtschaft in Bonn

Die SoLaWi Bonn/Rhein Sieg besitzt seit 2014 Anbaufläche in Dransdorf. Momentan hat sie rund 400 Mitglieder und vergibt jährlich etwa 230 Ernteeinheiten. Für das im März beginnende SoLaWi-Jahr sind zu dem Zeitpunkt, als dieser Text verfasst wurde, noch rund 25 davon an Interessent*innen zu vergeben. Außerdem gibt es in der Region die SoLaWis Hanfer Hofgemüse in Hennef, Rhein Ahr in Remagen, Stopperich bei Hausen und RheinlandObst in Meckenheim. Das Prinzip funktioniert nämlich nicht nur mit Gemüse, sondern auch mit anderen Lebensmitteln, beispielsweise mit tierischen Produkten, Backwaren und eben Obst.

Was die Mitglieder der SoLaWis eint, ist der Wunsch danach, dem Thema Ernährung und Essen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Man möchte mit einem guten Gewissen gesund essen. SoLaWis sind Gemeinschaften von Gleichgesinnten, in denen ein Austausch geführt wird. Wer will, kann hier vieles lernen: Zur Lagerung von Gemüse, zu Rezepten und Zubereitung und natürlich zu den Hintergründen und ideologischen Gedanken, die hinter dem Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft stehen. Das Thema Essen geht uns alle etwas an und die SoLaWi könnte ein richtiger Schritt „zurück in die Zukunft“ sein, in der wir wieder eine stärkere Wertschätzung dafür entwickeln, wie und woher wir uns ernähren.

Erschienen in der Ausgabe März/April 2020

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