Nadelöhr Netze – Stau auf den Stromautobahnen?

1. Februar 2023 | Energie, Nostalgie, Susanna Allmis-Hiergeist, Umwelt | 0 Kommentare

Stromnetze für die Zukunft


Susanna Allmis-Hiergeist


Den Stromnetzen kommt bei der Energiewende eine entscheidende Rolle zu, darüber sind sich Experten und Politiker weitgehend einig. Aber welche Netzteile sollen vorrangig ausgebaut werden? Das so genannte Super-Grid als hoch leistungsfähige Verbindung zwischen großtechnologischen regenerativen Erzeugern? Oder liegt der Vorrang eher auf der Erschließung lokaler Erzeugungspotentiale? In jedem Fall: Beide Stoßrichtungen werden sich klug ergänzen müssen.

Die Energiewende und ambitionierte CO2-Einsparziele sind auch ohne AKWs machbar. Das haben Einrichtungen wie das Freiburger Ökoinstitut oder das Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt und Energie schon vor Jahren errechnet. Nun zeigt auch der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung den geeigneten Weg auf: zuerst gehen die Atommeiler vom Netz, dann die Kohlekraftwerke und bis 2050 aufgrund knapper werdender Ressourcen selbst die Gaskraftwerke. Parallel zur Ablösung der konventionellen Erzeugung durch nachhaltige Technologien entsteht ein Energieangebot mit wesentlich stärkeren Schwankungen, das netzweite Ausgleichs- und Pufferungsmaßnahmen und somit auch ein neues Design des gesamten Stromnetzes erfordert.

Grob kann man bei diesem Netz drei Ebenen unterscheiden: das regionale Verteilnetz, die überregionalen i.d.R. für 380 kV ausgelegten Hochspannungstrassen und die Infrastruktur zum grenzüberschreitenden Stromaustausch und zur Anbindung von weit im Norden Europas gelegener Offshore-Windparks oder solarthermischer Wüstenstromanlagen.

Super-Grid und HGÜ

Während der Ausbau der unteren und mittleren Netzebene sich auf erprobte technische Lösungen stützen kann, stecken im letztgenannten Bereich ohne Frage einige großtechnische Herausforderungen, da die Nordsee oder das Mittelmeer nicht mit Freileitungen sondern mit Kabelsystemen überbrückt werden müssen. Kabelgebundene Hochspannungsübertragung ist jedoch oberhalb von 110 kV und bei größeren zu überbrückenden Distanzen für die gängige Wechselstromtechnik ungeeignet. Das liegt an kapazitiven Verlusten, die durch den Abstand der Strom führenden Drähte verbunden mit den di-elektrischen (nicht leitenden) Eigenschaften der sie umgebenden Materialien bestimmt werden. Über hohe Masten in der Luft verteilte Leitungssysteme haben hiermit vergleichsweise wenig Probleme; eine See- oder Erdkabelverlegung mit hoch isolierten Leitern auf engstem Raum verursacht dagegen schon bei Entfernungen unter 100 Kilometern so beträchtlichen Blindstrom und einen damit verbundenen starken Abfall der elektrischen Leistung, dass die gesamte Anlage wirtschaftlich in Frage gestellt wird.

Da derartige Effekte nur bei sinusförmigen Wechselspannungen auftreten, wurde für den kabelgebundenen (insbesondere den seekabelgebundenen) Trassenausbau die Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ) entwickelt. Kleinere Systeme dieser Technik sind bereits in Betrieb. Die projektierten 450 bis 1000 kV-Anlagen dringen jedoch in neue Dimensionen vor. Thyristoren, die den angelieferten Wechselstrom an den Seekabelanlandestellen in Gleichstrom wandeln und auch die Vorkehrungen zur Notabschaltung (das Kabel kann nicht im Nulldurchgang der Sinusschwingung, sondern nur bei Volllast vom Netz genommen werden) erfordern hallenartige Technikkomplexe, und das Handling solcher hoher Spannungen muss mit extremer Sorgfalt durchgeführt werden.

Auch das nationale Netz muss fit werden

Doch nicht nur die Außenpositionen, auch das deutsche Netz muss sich fit machen, denn die Standorte terrestrischer Windkraftanlagen wie z.B. an den Küsten Ostdeutschlands und die großen industriellen Verbrauchsschwerpunkte stimmen nicht unbedingt überein. Das ist aber keine neue Erkenntnis. Die halb dem Staat, halb den großen Energieversorgern gehörende Deutsche Netzagentur (Dena) hat mit dem Bedarfsplan dena I einen umfangreichen Katalog vorrangig zu realisierender Netzabschnitte vorgelegt, der als Ausbauplan bereits 2009 im so genannten Energieleitungsausbaugesetz, kurz EnLAG, als energiewirtschaftlich notwendig festgeschrieben wurde. Für die darin mit Anfangs- und Endpunkten aufgeführten Trassen muss deren Notwendigkeit in den nachgelagerten planungsrechtlichen Verfahren nicht mehr separat nachgewiesen werden. In einer aktualisierten Studie, dena II, wurde der Betrachtungszeitraum über 2015 hinaus verlängert, was zu den viel zitierten 3600 Kilometern neuer Stromautobahnen bis 2020 führte. Dies bedeutet einen zirka 13%igen Zuwachs bezogen auf das heute vorhandene Übertragungsnetz. Kein unbedeutender Schritt, aber sicher auch keine Unmöglichkeit, vor allem, da auch das bereits existierende Netz noch mit innovativer Technik wie Hochtemperaturseilen zu höherer Leistungsfähigkeit aufgerüstet werden kann.

Allerdings wäre an dieser Stelle zu fragen, ob die Planung eines solchen Netzes nicht zentral von der in Bonn angesiedelten staatlichen Bundesnetzagentur verantwortet werden sollte. Dies würde mit Sicherheit die Akzeptanz bei den von den Trassenneubauten betroffenen Teilen der Bevölkerung erhöhen. Und vielleicht ließe sich in dieser Konstellation auch die Zeitachse für die im Raum stehenden Zusatzkilometer neutraler diskutieren. Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) beispielsweise hält bis zum Jahr 2020 nur zirka 800 bis 900 Kilometer Trassenausbau für wirklich vordringlich, der Rest könne später gebaut werden.

Global denken, lokal handeln

Auch eine konsequente Umsetzung des Mottos „Global denken, lokal handeln“ würde die über weite Strecken zu transportierenden Strommengen und die in jedem Fall damit verbundenen Verluste reduzieren. Hier steckt ein erhebliches Potential, das hier nur beispielhaft beleuchtet werden soll:

  • Warum wird nicht den Einsatz von Blockheizkraftwerken zur kombinierten Strom- und Wärmeerzeugung bei den bundesweiten Stadtwerken stärker forciert?
  • Ließe sich genau diese Technik nicht auch in denjenigen Industriesparten, die Strom und Prozesswärme gleichzeitig benötigen, durch gezielte Einflussnahme deutlich weiter ausbauen?
  • Wie praktikabel ist die Idee einiger Pfälzer Kommunalversorger, die örtlich bei Firmen und Behörden vorgehaltenen Notstromaggregate in die Kapazitätsplanung mit einzubeziehen?

Super Grid im europaweiten Netz und Smart Grid zur Feinsteuerung beim Verbraucher, beides wird sich intelligent ergänzen müssen. Aber eine solche Verzahnung ist kein Selbstläufer, sondern muss geplant und voran getrieben werden, durch zentrale Impulse auf Bundesebene, die sich bis in die Kommunen fortsetzen, und kommunale Initiativen, die an zentraler Stelle verknüpft werden. Die neue Bonner
Energie Agentur könnte ein Baustein in so einer Erfolgsgeschichte sein.

Erschienen in der BUZ 3_11

Mehr von Susanna Allmis-Hiergeist

Zu den Nostalgie Artikeln

0 Kommentare

Einen Kommentar abschicken

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Beitrag teilen

Verbreite diesen Beitrag!