Die Durchschnittstemperatur in den Alpen steigt schneller an als im globalen Mittel. Auch bedingt durch das Relief sind hier die Auswirkungen daher deutlich früher zu „erleben“ als in anderen Teilen der Welt. Was bedeutet der Klimawandel für den Bergsport? Und was tut der Alpenverein gegen ein weiteres Aufheizen der Atmosphäre?
Björn Langer, Naturschutzreferent
Beginnen wir am höchsten Dolomiten-Berg, der Marmolata. Am frühen Nachmittag des 3. Juli 2022 löst sich dort bei außergewöhnlich hohen Temperaturen – mehr als zehn Grad über dem Gefrierpunkt – unterhalb der Punta Rocca (3.309 Meter) ein rund 200 Meter langer und 60 Meter hoher Eisblock. Geschätzt 300.000 Kubikmeter Eis und Geröll rasen mit einer Geschwindigkeit von rund 300 Stundenkilometern ins Tal, unter anderem über die Normalroute, die zum Hauptgipfel Punta Penia (3.343 Meter) führt. Elf Bergsteiger sterben, acht werden verletzt. Wissenschaftler sind sich einig, dass der Klimawandel ein wesentlicher Faktor für das Unglück ist: Als Ursache wird Schmelzwasser ausgemacht, dass sich unter der Unglücksstelle sammelte, die Eismasse instabil machte und letztendlich als „Gleitmittel“ für den Abbruch diente.
Der Gletscherabbruch an der Marmolata ist das wohl medienwirksamste Ereignis der letzten Jahre, das auch alpinistisch wenig(er) Interessierten die Folgen des globalen Temperaturanstiegs vor Augen führte. Doch wer regelmäßig in den Gebirgen unserer Welt unterwegs ist, beobachtet schon seit vielen Jahren dessen Folgen, die sich auch immer mehr auf Planung und Durchführung von Bergtouren auswirken. In den Alpen ist das Schwinden des nicht mehr ganz so ewigen Eises offensichtlich. An vielen Gletschern zeugen Schilder von der ehemaligen Länge und Mächtigkeit. Manchmal liegen mehrere Dutzend Meter zwischen zwei aufeinanderfolgenden Jahren. Allein 2022 zogen sich die österreichischen Gletscher im Schnitt um 28,7 Meter zurück. Den traurigen Spitzenplatz belegt das Schlattenkees in der Venedigergruppe mit einem Verlust von 89,5 Metern. Die Pasterze, mit 87,4 Metern auf Rang 2, verlor allein im Bereich der Zunge ein Volumen von 14,7 Millionen Kubikmetern – das entspricht einem Würfel mit einer Kantenlänge von 245 Metern (also von mehr als zwei Fußballfeldern).
Die Situation stellt Bergsteiger und Hochtourengeher schon heute vor erhebliche Herausforderungen. Die Eisflächen werden immer früher im Jahr aper – sprich: sie sind nicht mehr von Schnee bedeckt. Das macht die Querungen schwieriger und gefährlicher, zumal viele Gletscher auch steiler werden. Spalten reißen durch höhere Fließgeschwindigkeit häufiger auf, Seracs, das sind Eistürme, verlieren an Stabilität. Ebenso die Seitenmoränen. Randklüfte oder Schmelzwasserbäche können sich zu unüberwindbaren Hindernissen entwickeln. So wird der Aufstieg über den Höllentalferner auf die Zugspitze, mit 2.962 Metern höchster Berg Deutschlands, immer anspruchsvoller. Die Sektion München & Oberland des Deutschen Alpenvereins (DAV) warnt in diesem Jahr bereits seit Ende Juli auf ihrer Website: „Mitnahme und Benützung von Steigeisen ist obligatorisch! Die täglich größer werdenden Eisfelder“ – gemeint sind hiermit die aperen Flächen – „können nur mehr sehr schwer umgangen werden, die Randkluft vom Gletscher zum Fels wird täglich größer.“
Bleiben wir zunächst noch einmal am höchsten Berg Deutschlands. Dort machte es die Bayerische Akademie der Wissenschaften am 24. September 2022 amtlich: Der Südliche Schneeferner ist kein Gletscher mehr. Der Grund: Mittlerweile auf einen knappen Hektar zusammengeschrumpft und mit einer maximalen Mächtigkeit von sechs Metern fehlt der Druck, der das Eis fließen lässt. Dies ist jedoch ein Kriterium für aktive Gletscher. Die Reste des Südlichen Schneeferners werden nun als Toteis bezeichnet. Damit verfügt Deutschland noch über vier Gletscher, wobei nur einem, dem Höllentalferner, eine Lebenszeit von mehr als einem Jahrzehnt prophezeit wird. Er liegt auf der Nordseite der Zugspitze und wird jeden Winter auch von Lawinenschnee gespeist. Gerhard Lieb und Andreas Kellerer-Pirklbauer, ehrenamtliche Leiter des Gletschermessdienstes des Österreichischen Alpenvereins (ÖAV), rechnen „optimistisch“ damit, dass die Berge der Alpenrepublik 2075 „so gut wie eisfrei“ sein werden, „wahrscheinlich aber deutlich früher“. Doch der Gletscherrückgang ist nicht nur aus ästhetischen und bergsportlerischen Gesichtspunkten besorgniserregend. „Das rasche globale Abschmelzen der Gletscher trägt einen wesentlichen Anteil zum Anstieg des Meeresspiegels bei, die fehlenden natürlichen Wasserspeicher im Gebirge führen in weiterer Folge zu regionaler Trockenheit“, erläutert Ingrid Hayek, ÖAV-Vizepräsidentin. Das können Alpinisten schon heute spüren. Im vergangenen Jahr schloss die Neue Prager Hütte, auf 2.796 Metern in der Venedigergruppe gelegen, bereits am 8. August. Die Schneefelder, die den Stützpunkt mit Schmelzwasser versorgen, waren nach einem niederschlagsarmen Winter und dem außergewöhnlich warmen Frühjahr bereits weggeschmolzen, als die Tourengeher noch in Scharen unterwegs waren. Woanders wurden Hütten per Hubscharuber mit Wasser beliefert, selbst wer sich „nur“ die Zähne putzen oder nach dem Toilettengang die Hände waschen wollte, kaufte eine Flasche beim Wirt.
Auch in der Schweiz fehlen im Sommer 2022 Niederschläge. Trotzdem führen einige Flüsse aufgrund der rasanten Gletscherschmelze Hochwasser, Wanderwege müssen gesperrt werden. Aus dem Gibidum-Stausee unterhalb des Aletschgletschers, dem flächenmäßig größten Eisfeld der Alpen, wird Wasser abgelassen, um die Sicherheit des Sperrwerks nicht zu gefährden.
Das Schmelzen von Eis und Schnee macht sich jedoch auch in den Felsen bemerkbar. In größerer Höhe werden diese auch vom Permafrost, ganzjährig gefrorenem Wasser, zusammengehalten. Taut dieses, kommt es vermehrt zu Steinschlag oder ganzen Wandabbrüchen. Am 25. Juli 2022 stellen die schweizerischen Bergführer ihre Touren auf das 4.478 Meter hohe Matterhorn ein – zu groß ist das Risiko ist das von schweren Verletzungen oder gar tödlichen Unfällen. Einen Tag zuvor waren zwei Alpinisten bei einem Felssturz, der auf die außergewöhnlich hohen Temperaturen zurückgeführt wird, ums Leben gekommen. Auf italienischer Seite war der Berg bereits seit mehreren Tagen gesperrt. Ein ähnliches Schicksal erleben auch Wanderwege in anderen Teilen der Alpen. Das Hochwildehaus, auf 2.885 Metern in den Ötztaler Alpen gelegen, ist seit 2016 geschlossen, da ihm der Boden unter dem Fundament wegtaut. In der Schweiz wurden in diesem Jahr bereits mehrfach Ortschaften evakuiert, da große Felsmassen ins Tal zu stürzen drohten – oder es sogar zu Unglücken kam. Dabei machen dem Zusammenhalt der Berge nicht nur die steigenden Temperaturen zu schaffen. Auch die immer heftigeren und länger anhaltenden Regenfälle nehmen ihnen die Stabilität.
Unbemerkter schreitet in den Alpen, wo die Wald- und Baumgrenze oft von Menschenhand geschaffen ist, die Verschiebung der Vegetationsgrenzen voran. Anders beispielsweise in Skandinavien. 1982 wurde rund um den 775 Meter hohen Tandövarden ein Naturreservat ausgewiesen, um den südlichsten über die Baumgrenze hinausragenden Gipfel Schwedens zu schützen. Im Jahr 2004 verlor die Erhebung diesen Status, stattdessen beginnen Fichten und Ahorne, sich auf dem Plateau auszubreiten. In den 85 Jahren seit Beginn der Temperaturmessungen am Berg 1919 war diese im Durchschnitt um 0,8 Grad gestiegen. Auch in den Alpen weichen Pflanzen und Tiere immer weiter in die Höhe aus, das Aussterben einiger Arten ist zu befürchten, sobald die Gipfel Grenzen setzen.
Der DAV ist sich der Problematik, die der Klimawandel mit sich bringt, bewusst. Das Ziel aller Sektionen ist es, bis 2030 klimaneutral zu sein. Klimaneutralität bedeutet dabei, dass nach dem Prinzip „vermeiden vor reduzieren vor kompensieren“ vorgegangen wird. Nur Emissionen, die nicht vermieden oder reduziert werden können, werden kompensiert. Schon jetzt sind Kurzstreckenflüge, die zu Ausbildungszielen in weniger als 1.000 Kilometern Entfernung führen, tabu; die Geschäftsstellen, Berghütten (sofern an das öffentliche Netz angeschlossen) und andere Einrichtungen werden zu 100 Prozent mit zertifiziertem Ökostrom beliefert.
NATURKUNDLICHE TERMINE DER DAV-SEKTION BONN
Sonntag,den 15. Oktober 2023
Das Hohe Moor – Zum Baum des Jahres im Hohen Venn
Strecke: ca. 16 km, ca. 130 Hm im Auf- und Abstieg, Gehzeit: ca. 4 Stunden
Treffpunkt: bitte bei der Anmeldung erfragen, Anreise in Fahrgemeinschaften
Anmeldung: bis Freitag, 13.10.2022 beim Naturschutzreferent: Björn Langer,
bjoern.langer@dav-bonn.de
Die Moorbirke ist der Baum des Jahres 2023. Besonders schön zeigt sich diese im Herbst, wenn sich ihre Blätter goldgelb verfärben. Auf einer Wanderung durch das Hohe Venn, das größte Hochmoorgebiet Mitteleuropas, lernen wir Betula pubescens, so der wissenschaftliche Name, und den Lebensraum, nach dem sie benannt ist, kennen.
KONTAKTDATEN
Geschäftsstelle des Sektion Bonn des Deutschen Alpenvereins
Gottfried-Claren-Straße 2
53225 Bonn
Geschäftszeit:
jeden Mittwoch von 17 bis 21 Uhr
Tel.: 0228/4228470 (nur während der Geschäftszeit, sonst Anrufbeantworter)
E-Mail: info@dav-bonn.de
Internet: www.dav-bonn.de
0 Kommentare