Jürgen unterwegs – Spaziergang durch Mehlem

1. August 2022 | Gesellschaft, Jürgen Huber, Nachhaltigkeit | 0 Kommentare

Jürgen Huber

In der warmen Jahreszeit machen wir das, was wir lange nicht mehr gemacht haben; wir gehen spazieren. Das Auge muss sich im Stadtteil Mehlem mit starken Kontrasten auseinandersetzen, manch zweifelhafte architektonische Leistung ist zu registrieren. Wir sehen hier Altes vermischt mit Neuem. Sinniges neben Unsinnigem.

Der Stadtteil Mehlem

Der Stadtteil Mehlem liegt im südlichenBonn. Gehen wir weiter in Richtung Süden aus Mehlem heraus, betreten wir nicht nur eine andere Gemeinde, sondern auch das Bundesland Rheinland-Pfalz. Hier rücken
auch die Berge näher an den Rhein heran, eine deutliche Verengung des Rheintales ist nicht zu übersehen.
Nach Mehlem kommen wir alle zwanzig Minuten mit der Eisenbahn, wenn sie denn kommt oder wenigstens pünktlich ist. Empfangen werden wir von dem im Jahre 1855 eröffneten Bahnhof Mehlem, der im Ortsteil Lannesdorf liegt! Da Lannesdorf weniger bekannt war, wurde der Bahnhof Mehlem zugeordnet. Das Bahnhofsgebäude selber ist für Bahnkunden nicht nutzbar, in diesem befindet
sich ein portugiesisches Restaurant. Interessant ist die Geschichte des Bahnhofes und auch der Verlängerung der Eisenbahnstrecke Köln-Bonn bis nach Rolandseck.
Einflussreiche Aktionäre der Eisenbahngesellschaft, wie zum Beispiel der Bankier Deichmann, hatten keine Lust am Bonner Bahnhof in die Pferdekutsche umzusteigen und den langen Weg mit der Kutsche zu fahren, um deren in Mehlem liegende Villen zu erreichen. So machten sie ihren Einfluss geltend und erreichten die Verlängerung der Eisenbahnlinie. Das ermöglichte ihnen, bequem und schnell ihre Villen zu erreichen.

Die Deichmanns Aue
Zuerst spazieren wir in Richtung Rhein und biegen an der Fähre Mehlem-Königswinter
links ab. Hinter dem versteckt liegenden
Tennisplatz sehen wir linkerhand das
Schloss Deichmannsaue, das zu Zeiten des
Regierungssitzes Bonn Teile der amerikanischen Botschaft beherbergte. Der frühere „Auerhof“ war seit 1836 im Besitz der Kölner Bankiersfamilie Deichmann. Die wohlhabende und gesellschaftlich hochstehende Kölner Familie hielt dort ihre Empfänge ab.

Foto: Schloss Deichmannsaue Bildrechte Jürgen Huber

Im Jahre 1941 wurde das Gelände an die „Deutsche Wehrmacht“ verkauft, Ende des Zweiten Weltkrieges von den Alliierten beschlagnahmt. Danach nutzten die Belgier das Gelände bis 1949. Im Jahre 1950 hat der amerikanische Hochkommissar John McCloy seine Dienststelle hier eingerichtet. Heute finden wir dort unter anderem die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sowie das Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung.
Im Gegensatz zu dem komplett schwer bewachten Gelände zu Zeiten der „Amerikanischen Botschaft“ ist das Gelände heute teilweise offen. In Teilen ist es weiterhin umzäunt und durch Kontrollposten bewacht.
Ganz oben im Hochhausriegel lauschen immer noch die Amerikaner, so konnte ich erfahren. (Das stimmt wohk doch nicht!l
Wir können uns aber frei durch einen Park mit uraltem Baumbestand bewegen, hier finden wir ausreichend Lebensraum.
Nach dessen Durchquerung stoßen wir auf die etwas versteckt liegende „Alte Gärtnerei Deichmanns Aue“, inzwischen als „Naturparadies Deichmannsaue“ bekannt. Dieses 7.300 qm große „Paradies“ sollte, so die Planung aus dem Jahre 2018, von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft „Vebowag“ zum „Zwecke einer Wohnbebauung (ca. 80 Wohneinheiten, davon ca. 70% geförderte Wohnungen)“ umgewidmet werden. Seit Neuestem beansprucht die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) das ihr gehörende Gelände für sich.

Der „Geförderte Wohnungsbau“

Gehen wir jetzt die Brunhildstraße weiter Richtung Zentrum sehen wir einen Versuch, den Flächenverbrauch durch Bauen in die Höhe zu vermindern. In einem Hochhaus leben unter dem Dach der Vebowag Menschen, die eine heute leider normal gewordene hohe Miete nicht aufbringen können. Hier hat eine öffentliche Förderung es ermöglicht, trotz energetischer Sanierung die Mieten für die nächsten 25 Jahre stabil zu halten.
Am Nippenkreuz finden wir eine vorbildliche soziale Einrichtung, das „VFG Stadtteilcafé am Nippenkreuz“. Die dort ansässige Gemeinwesenarbeit und Sozialberatung des „Vereins für Gefährdetenhilfe e.V. „ ist ein Angebot an die Bewohner*innen der angrenzenden Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus.
In der Sozialberatung wird Hilfe bei sozialen Schwierigkeiten angeboten. Unweit des Cafes finden wir betreutes Wohnen für suchtmittelabhängige Menschen. Das ambulant betreute Wohnen ist ein Hilfeangebot für suchtmittelabhängige Frauen und Männer, die ein selbstständiges Leben in einer eigenen Wohnung anstreben oder bereits in eigenem Wohnraum leben. So lesen wir es auf der Webseite des VFG.

Das Rheinufer

Wir begeben uns zurück zum Rhein und folgen ihm Stromaufwärts. Dabei betrachten wir die rechts stehenden Villen aus alter Zeit. Leider finden wir dazwischen immer wieder einige Bausünden der neueren Zeit, teilweise mit geschmacklich denkwürdigem Schnickschnack.
Bei schönem Wetter, nur nicht montags, lohnt sich ein Besuch des „Weinhäusschens am Rhein“, ein gemütliches Weinlokal mit großer Terrasse. Dort kann bei einem lecker Weinchen der Rhein mit seinem Schiffsverkehr beobachtet werden. Petersberg, Drachenburg und Drachenfels sind von der Terrasse aus deutlich zu sehen. Aber nicht zuviel Wein, wir haben ja noch was vor! Wir schreiten weiter stromaufwärts bis wir rechterhand einen großen Park mit einem Springbrunnen sehen, durch den wir bis hoch zur Mainzer Straße laufen. Dann geht es zurück in Richtung des Mehlemer Zentrums. Hier finden wir zahlreiche Cafes, einen tollen Eissalon und alles was wir zum täglichen Leben brauchen.
Wer doch nicht mehr so ganz sicher auf den Beinen ist, kann mit der Buslinie 610 bis zum Bonner Hauptbahnhof und weiter zurück fahren. Diese Buslinie folgt bis zum Bahnhof Bad Godesberg der Linie der ehemaligen Straßenbahnlinie GM.

Der Mehlemer Bach

Mitten im Zentrum überqueren wir den Mehlemer Bach. Dieser fließt aus dem „Drachenfelser Ländchen“ durch Mehlem in den Rhein. Bis zur Mündung in den Rhein wechselt er sehr häufig seinen Namen. Linkerhand unserer Gehrichtung sehen wir ihn, eingezwängt in sein Betonbett noch fließen. Vergebens suchen wir ihn auf der rechten Seite unserer Gehrichtung.

Zur Schaffung von Wohnraum wurde dem Bach sein Freiraum entzogen, er wurde kurzerhand unter die Erde verbannt. Zum Leidwesen der Bewohner*innen des Mehlemer Zentrums rächte er sich jedoch furchtbar für diese Einengung.
In den Jahren 2010, 2013 sowie im Juni 2016 überschwemmte er einen großen Teil des Stadtbereiches, da die Kapazität der unterirdischen Verrohrung nicht ausreichte. Im Jahre 2010 rutschte sogar ein großer Teil der Uferböschung zum Rhein hin ab, es entstand ein 30 mal 50 Meter großer Krater. Daraufhin ließ die Stadt Bonn einen Entlastungskanal bauen, der im Juli 2021 nach dem Starkregen seine Bewährungs-probe erfolgreich bestanden hat.

Foto: Mehlemer Bach nach Starkregen

Bildrechte Jürgen Huber

Die Schlossallee

Vielen ist die Schlossallee eher von dem Spiel Monopoly bekannt, die teuerste Straße in Sachen Miete und Hauskauf. In der Mehlemer Schlossallee sind die Preise laut Mietspiegel noch human. Doch das könnte sich ändern, denn ein Investor beabsichtigt das Projekt Schlosshöfe auf dem Gelände der ehemaligen Jugoslawischen Botschaft zu errichten.
Wo bis vor kurzem neben einem schönen Park noch ein kleines Gebäude stand, sollen laut jüngst bekanntgewordenen Planungsvarianten massige Häuser mit bis zu fünf Stockwerken entstehen. Eine ungleich größere Fläche wie bisher soll bebaut werden, dabei trifft es auch den Park mit altem Baumbestand.
Das komplette Projekt wird unter dem Titel „Wohnen im Park“ vermarktet. Das ist ein wenig widersinnig, denn der Park mit dem alten Baumbestand steht dem Bauvorhaben im Wege, die altehrwürdigen Bäume sind in den Plänen nicht mehr zu sehen.
Ein Anteil sozial geförderter Wohnungen und ein großer Supermarkt werden weiterhin angekündigt. Der Zwangs?- Anteil an sozial gefördertem Wohnraum ist sehr zu begrüßen. Verwunderlich ist die Planung eines Supermarktes abseits vom Zentrum in der Schlossallee, obwohl im wirklichen Zentrum einer existiert. Die Frage nach dem Sinn beantwortet die Verwaltung folgendermaßen: „Der Supermarkt sei das Ergebnis des Einzelhandels und Zentrenkonzeptes für Mehlem aus denJahren 2008/2012“. Da fragen wir uns, sind solche Pläne nicht längst überholt?
Um größere Schäden am Ortsbild und der Natur zu verhindern, existieren zwei Bürgerinitiativen. Als vorbildlich ist es zu bewerten, dass beide Bürgerinitiativen sich nicht gegen eine grundsätzliche Bebauung wehren, sondern eine dem Ortsbereich angepasste Bebauung zum Ziel haben. Diese hoffen auf eine Wendung durch den neu eingeführten Nachhaltigkeitschecks für Bauleitplanungen. Grob gesagt die Entwicklung eines Kriterienkataloges mit standortbezogenen Kriterien und Indikatoren wie Hochwasserschutz, Klimaschutz und vieles mehr.

Die Villa Friede

In direkter Nachbarschaft des geplanten Objektes finden wir die Villa Friede. Erbaut wurde sie im Jahre 1896 und als Hotel ersten Ranges eröffnet. Im Jahre 1901 wurde ein großer Saal mit geschweiften Giebelwänden und einem Blumenornament im Jugendstil angebaut.

Foto: Villa Friede

Copyright: J. Huber

 

 

 

Von 1950 bis 1970 wurde die Villa als Kino und dann von Mehlemer Vereinen genutzt. Bis zum Verkauf im Jahre 2007 gehörte sie der Stadt Bonn, die es damals schon verstand, Gebäude verkommen zu lassen. 2007 wurde das marode Gebäude an den international bekannten Künstler Ren Rong verkauft und von diesem bis 2014 aufwendig renoviert. Entstanden ist ein neuer Ort für die Kunst, der Kunstraum Villa Friede. Herr Rong hat ein Händchen dafür, die Werke namhafte Künstler*innen auszustellen. Die Bemühungen, den neben der Villa, aber auch neben dem Bauprojekt befindlichen Park durch den Künstler zu erwerben, trafen bei der Stadt Bonn auf taube Ohren, heute wissen wir warum.

Die Moral von der Geschichte

Dass wir bezahlbaren Wohnraum benötigen, steht außer Zweifel, und irgendwo müssen die Gebäude auch installiert werden.
Im Interesse der Verkehrswende ist es unangebracht, diese im Umland anzusiedeln. So kommen wir nicht umhin, auch in unserer Stadt das eine oder andere Gelände zu bebauen.
Investoren haben üblicherweise ein Interesse, so viel Geld wie möglich aus ihrem Bauvorhaben zu erwirtschaften. Dass beim Wohnungsbau durch Investoren Sozialwohnungen wenig Begeisterung hervorrufen, ist eine logische Folge. Daher müssen nach dem Bonner Baulandmodell von Investoren wenigsten 40 Prozent Sozialwohnungen gebaut werden. Zu den Nutznießer*innen des sozialen Wohnungsbaues zählen viele Menschen aus systemrelevanten Berufen. Wir finden Pflegepersonal, Bahn- und Busfahrer*innen, Mitarbeiter*innen von Polizei und Feuerwehr. Auch sind die Städte gefordert, auf ihren eigenen Grundstücken soviel wie möglich Wohnungen für Menschen zu bauen, die nicht mehr in der Lage sind, horrende Mieten zu bezahlen. Doch ist neues Bauen der einzige Weg? Nein, denn schlaue Köpfe denken schon länger über alternative Konzepte nach. Ein für Lannesdorf sinnvolles Konzept wäre das Überbauen von sowieso schon asphaltierten Flächen. Hier fällt mir spontan der riesige Parkplatz des HIT ein. Gefolgt derer von ALDI und LIDL. Wenn tatsächlich weitere Flächen für Bonn bebaut werden müssen, ist ein Gesamtkonzept für Bonn unabdingbar, unter Einbezug aller Bürgerinnen und unter Berücksichtigung der Anforderungen an den Klimawandel.

Titelbild: Uralter, verwachsener Baum in der Deichmannsaue Foto: Jürgen Huber

 

 

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