Wie Kunst den Diskurs beflügelt
Um die Schönheit und Vielfalt der Natur wahrzunehmen, hilft es, den Blick als Betrachter*in wie mit einem Mikroskop „scharf“ zu stellen. Unsere natürliche Umgebung erschließt sich uns auch über Farben und Formen. Was liegt also näher, als biologische Forschung und Kunst als Botschafter der Biodiversität in gegenseitigen Austausch zu bringen.
Susanna Allmis-Hiergeist
Das Federkleid der Vögel und die pigmentierten Flügel der Schmetterlinge leuchten in vielen faszinierenden Farben. Öffnen sich die Sammlungen des Museums Alexander Koenig, ist hierin eine Vielzahl von beeindruckenden Objekten zu bestaunen.
Ebenfalls farbenfroh geht es neuerdings in der Unterführung des DB-Haltepunkts UN Campus zu. Dort haben Kai Niederhausen und Roman de Laporte (Semor & Jack Lack) ein Fassadenkunstwerk geschaffen, das sich dem Artensterben und der bedrohten Insektenwelt widmet. Besonders ins Auge sticht der im Jahr 2021 zum Schmetterling des Jahres gekürte Braune Bär (Arctia caja). Seine dunkelbraun, mit einem großmaschigen weißen Muster gefärbten Vorderflügel lassen sich blitzschnell öffnen. Bei Gefahr zeigt er so seine roten Hinterflügel, erschreckt seine Feinde wie Vögel und Fledermäuse und kann selbst entkommen. Während der Falter in Europa, Asien und Nordamerika häufig vorkommt, ist sein Bestand in Deutschland gefährdet. Lichtverschmutzung spielt dabei eine große Rolle. Doch davon später mehr.
Street Art trifft auf Wissenschaft

Mural von Semor & Jack Lack in der Bonner Maxstraße
Quelle: Susanna Allmis-Hiergeist/Semor & Jack Lack
Um das Thema Schönheit der Natur und bedrohte biologische Vielfalt im öffentlichen Raum sichtbarer zu machen, hat sich in 2022 in Köln der gemeinnützige Verein InUrFaCE (Initiative for Urban Facades Creature Exposition) gegründet. In ihm kooperieren international vernetzt Wissenschaftler*innen und Künstler*innen zum Thema „Art Meets Biodiversity“.
Carola Greve und France Gimnich sind zwei Mitbegründerinnen des Vereins. Beide arbeiten als Wissenschaftlerinnen für verschiedene Institute in Bonn und Frankfurt in der Biodiversitätsforschung. Für sie stellte sich die Frage, wie sie mit ihren Themen aus ihrem wissenschaftlichen Zirkel heraustreten und bei einem breiteren Publikum die Wertschätzung für die biologische Vielfalt erhöhen könnten. Gemeinsam mit Künstler*innen entwickelten sie die Idee, das spannende Thema durch öffentliche Fassadengestaltung, sogenannten „Murals“, zum Ausdruck zu bringen. Ein erstes Wandkunstwerk des Vereins, gestaltet von Semor & Jack Lack, ist im Juli 2024 in der Bonner Maxstraße entstanden. Der Kunstaktion vorausgegangen war ein Workshop mit Wissenschaftler*innen und Künstler*innen unter Beteiligung des Kooperationspartners LIB (Leibnitz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels/Museum Alexander Koenig).
„Focusing“ in der Altstadt
Vom Stadthaus kommend wird auf einer hohen Wand ein heranschwirrendes Rotkehlchen sichtbar. Ist es im Landeanflug auf die nahen Dächer der vorgelagerten, ebenfalls mit Graffitis versehenen niedrigeren Häuser? Ändern wir den Standort, wird eine Blumenwiese als Landebahn sichtbar und dann, ganz nah davor, die Silhouette eines zweiten Vogels. „Focusing“, der Titel des Bildes, soll verdeutlichen, dass Perspektive und Annäherung eine vielfältigere Wahrnehmung der Natur ermöglichen. Gefördert wurde das Projekt durch die Dr.-Hans-Riegel-Stiftung, die Fassadenkunstwerke im Rahmen ihres Programmschwerpunkts „Walls of Vision“ unterstützt. Weitere von der Stiftung geförderte Murals finden sich in Bonn in der Kölnstraße und der Kreuzung Reuterstraße/Bonner Talweg.
Bedrohte Insektenwelt

Die Künstler bei der Arbeit
Quelle: Susanna Allmis-Hiergeist/Semor & Jack Lack
Zurück zum Braunen Bär, der mit weiteren Exemplaren bedrohter Insekten wie dem Weinschwärmer (Deilephila) ein zweites Mural des Künstlerduos am Bahnhaltepunkt UN Campus belebt. Der Braune Bär ist wie anfangs erwähnt ein an sich wehrhafter Falter. Bedroht sind er und seine in der Bahnunterführung gezeigten Kollegen durch die menschliche Zivilisation. Zum Verhängnis werden dem nächtlichen Jäger oft Lichtquellen, um die er orientierungslos herumflattert und so viel Kraft verliert. Neben dem unmittelbaren Tod wird er in erschöpftem Zustand auch leichter Beute seiner Fressfeinde. Mond- und Sternenlicht sind für Insekten wie dem Braunen Bär kein Problem. Aber die gängige Straßen- und Industriebeleuchtung mit hohen spektralen Blauanteilen machen den nachtaktiven Faltern stark zu schaffen.
Insektenfreundliche Beleuchtung fördern
Nächtliches dauerhaftes Kunstlicht ist ein Thema zum Beispiel bei Personenbahnhöfen der Deutschen Bahn. In Deutschland sind rund 5400 Bahnhöfe regelmäßig beleuchtet. Allein die Länge der beleuchteten Bahnsteige summiert sich auf circa 1900 Kilometer.
Hier setzt das Projekt BALIN an. Das Akronym steht für „Insektenschutz an Bahnhöfen durch insektenfreundliche Beleuchtung“. Das Vorhaben wurde im Januar 2021 mit Forschungsmitteln des Umweltministeriums auf die Schiene gesetzt. Konsortialpartner im Projekt sind das Deutsche Zentrum für Schienenverkehrsforschung (DZSF) beim Eisenbahn-Bundesamt, das LIB am Museum Alexander Koenig und die DB Station&Services.
Ziel ist es, durch Maßnahmen wie Einsatz von alternativen Lichtquellen, anderer Spektralverteilung des Lichts, Verwendung von Bewegungsmeldern und Dimm-Einrichtungen die Anziehungswirkung von Bahnhöfen auf Insekten zu verringern. Auch eine bessere Abschirmung der Leuchten kann hilfreich sein. An sechs Bahnhöfen im Naturpark Westhavelland, die in einer ziemlich dunklen Region liegen, wird ein vergleichendes Monitoring mit aktueller Beleuchtung und mit umgerüsteten Lichtquellen durchgeführt. Vorläufige Ergebnisse zeigen, dass die als weniger insektenanziehend entwickelte Leuchte erste vielversprechende Tendenzen aufweist. Mitte 2025 sollen wissenschaftlich verifizierte Aussagen vorliegen.
Lernort Fassadenkunst

Schulklassenausflug zum Haltepunkt UN Campus
Quelle: Cornelia Greve/ Semor & Jack Lack
Die Visualisierung der bedrohten Insektenwelt bietet die Möglichkeit, auch Kinder und Jugendliche an die Thematik heranzuführen. Noch während die Künstler mit Batterien von Farbdosen auf langen Leitern am Werk arbeiteten, bekamen sie Besuch aus Siegburg. Eine 4. Klasse der Hans Alfred Keller-Schule machte einen besonderen Ausflug nach Bonn. Fasziniert hörten die Schülerinnen und Schüler Kai Niederhausen zu, der ihnen die großen Wandbilder und die im Licht taumelnden verletzlichen Insekten erklärte. Die Klasse möchte das Thema auf jeden Fall im Rahmen des an der Schule eingeführten Frei-Day weiter verfolgen. Dem Thema „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ wird sich die kommende BUZ in einem ausführlichen Schwerpunkt widmen.
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Es folgt eine Anzeige unserer Unterstützer*innen/in eigener Sache.
Werbung in der Bonner Umweltzeitung? Unsere Mediadaten

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