Akzeptanz der Energiewende auf dem Land
Christian Koschatzky
Der vorliegende Artikel möchte der Frage nachgehen, weshalb die Akzeptanz der Energiewende im ländlichen Raum geringer ist als in den urbanen Zentren. Zur Beantwortung dieser Frage greift der Autor auf umweltpsychologische Erklärungsansätze zurück. Er zeigt zudem Perspektiven auf, wie sich die Zustimmung zur Energiewende im ländlichen Raum erhöhen lässt.
In regelmäßigen Abständen werden Studien publiziert, die darauf hindeuten, dass die Zustimmung zur Energiewende im ländlichen Raum geringer ist als in urbanen Zentren. So hat etwa eine Greenpeace-Studien aus dem Jahr 2019 ergeben, dass 97 Prozent der Berliner* innen der Windkraft positiv gegenüber stehen, während es in den ländlichen Räumen um Berlin herum (Nordostdeutschland) nur 63 Prozent sind. Ähnlich verhält es sich beim Kohleausstieg, einem weiteren zentralen Standbein der Energiewende: Zwar existieren hier keine Studien, die mit einem Stadt-Land-Gegensatz operieren, allerdings beträgt die Zustimmung zum Kohleausstieg in ländlichen Regionen teilweise nur 27 Prozent, während sie im bundesweiten Durchschnitt bei 63 Prozent liegt. Aufgrund der grundsätzlich höheren Akzeptanz der Energiewende im urbanen Raum lässt sich auch hier auf eine (deutliche) Diskrepanz zwischen Stadt und Land schließen. Doch wie sind diese Unterschiede zu erklären?
Strukturwandel und wirtschaftlicher Abstieg
Bei den vom Kohleausstieg besonders negativ betroffenen Regionen lässt sich die geringe Zustimmung zur Energiewende in erheblichem Maße auf den wirtschaftlichen Niedergang zurückführen, mit dem die dort lebenden Menschen bereits seit Jahrzehnten konfrontiert sind. So sind etwa in der Lausitz seit 1989 rund 135.000 Arbeitsplätze in der Kohleindustrie weggefallen. Auch die noch verbleibenden rund 20.000 Arbeitsplätze werden spätestens mit dem Ende der Kohleverstromung im Jahr 2038 nahezu vollständig verschwunden sein. In der Region löst diese Entwicklung erhebliche Abstiegsängste aus: So fürchten aktuell etwa 25 Prozent der dort lebenden Menschen um ihren Arbeitsplatz.
Nicht nur wirtschaftliche Gründe
Obwohl ökonomische Abstiegsdynamiken einen maßgeblichen Faktor für die relativ geringe Akzeptanz der Energiewende in den betroffenen ländlichen Regionen darstellen, sind sie nicht für den gesamten ländlichen Raum repräsentativ. Dies liegt vor allem darin begründet, dass die Energiewende in einem Großteil der ländlichen Räume erst gar nicht zu nachhaltigen wirtschaftlichen Verwerfungen führt. Damit steht die Frage im Raum, welche weiteren Faktoren für die geringer ausgeprägte Zustimmung zur Energiewende im ländlichen Raum verantwortlich sein können. Die Umweltpsychologie bietet zur Beantwortung dieser Frage einige interessante Erklärungsansätze, von denen einige im Folgenden vorgestellt werden sollen.
NIMBY-Effekt
Der wahrscheinlich bekannteste Erklärungsansatz ist der sogenannte NIMBY-Effekt, wobei NIMBY als Akronym für Not In My BackYard („Nicht in meiner Nachbarschaft“) steht. Bei diesem Erklärungsansatz geht es darum, dass Teile der Bevölkerung eine überregional bedeutsame Infrastruktur zwar grundsätzlich befürworten und vielleicht sogar nutzen möchten, aber sofort „auf die Barrikaden gehen“, sobald ein Element dieser Infrastruktur in der Nähe ihres Wohnorts errichtet werden soll. Da der Großteil der neuen Energieinfrastruktur im ländlichen Raum errichtet wird, kommt der NIMBY-Effekt hier besonders stark zum Tragen. So ließen sich in den vergangenen Jahren immer wieder Proteste im Zusammenhang mit der Errichtung von Windkraftanlagen beobachten, bei denen Anwohnende eine Entwertung ihrer Eigenheime oder die Tourismuswirtschaft eine Verspargelung der Landschaft befürchteten. Am häufigsten klagten jedoch Umwelt- und Naturschutzverbände gegen die Errichtung von Windkraftanlagen (61 Prozent der Klageführenden), weil sie durch deren Bau den lokalen Natur- und Artenschutz gefährdet sahen. Dem muss allerdings einschränkend hinzugefügt werden, dass wahrscheinlich ein erheblicher Teil dieser Klagen von Anwohnenden und windkraftkritischen Bürgerinitiativen mitinitiiert wurde, da sie keine andere Möglichkeit mehr sahen, um die geplanten Windkraftanlagen in ihrem Umfeld zu verhindern.
Gefühlte Verteilungsungerechtigkeit
In der Umweltpsychologie wird davon ausgegangen, dass ein menschliches Bedürfnis existiert, die positiven wie negativen Konsequenzen einer Maßnahme unter den Betroffenen gleichmäßig zu verteilen. Mit Blick auf die Energiewende sehen viele Menschen aus dem ländlichen Raum diese Verteilungsgerechtigkeit zwischen Stadt und Land nicht realisiert: So komme „grüner“ Strom zwar auch ihnen selbst zugute, die für die Erzeugung des grünen Stroms erforderliche Infrastruktur (Windkraftanlagen, Geothermieanlagen, Fernleitungen, Solarparks und weiteres) werde aber einseitig dem ländlichen Raum aufgelastet. Da zudem die Zustimmung zur Energiewende in den urbanen Zentren grundsätzlich höher ist als im ländlichen Raum, entsteht bei manchen Landbewohnenden der Eindruck: „Städter wollen die Energiewende, auf dem Land stehen die Windräder“ (Lukas Haffert).
Identitätsverletzung und Heimatverlust
Die meisten Menschen identifizieren sich im Laufe der Zeit mit dem Ort oder der Region, in der sie leben. Dies gilt sowohl für Menschen, die dort aufgewachsen sind als auch für Hinzugezogene. Nach und nach wird das Landschaftsbild vertraut, es entstehen soziale Netzwerke, das eigene Leben verknüpft sich mit den Gegebenheiten vor Ort und auch die Bedeutung der Region im gesamtgesellschaftlichen Kontext wird verinnerlicht. Der Abschluss dieser Entwicklung besteht darin, dass Menschen ihren angestammten Ort mit all seinen Facetten irgendwann als Teil der eigenen Identität begreifen („It‘s an Honour to be a Bonner!“). Die Energiewende kann dieses Identitätserleben bei Bewohnenden des ländlichen Raums nun auf zweierlei Weise gefährden: Zum einen darüber, dass sie bestimmte Merkmale der Region, die für das Identitätserleben der Bewohnenden zentral sind, verschwinden lässt. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn in Kohleregionen nach und nach alle physischen Repräsentationen der Kohleindustrie entfernt werden. Zum anderen kann der Bau von neuer Energieinfrastruktur dazu führen, dass die dort lebenden Menschen ihre Heimatregion nach Abschluss der Baumaßnahmen als „fremd“ erleben. Wenn beispielsweise Windkraftanlagen oder weithin sichtbare Solarparks das Landschaftsbild derart nachhaltig verändern, dass der ursprüngliche Charakter der Landschaft nicht erhalten bleibt, geht für die Betroffenen oftmals auch ein Stück Heimat verloren.
Zustimmung zur Energiewende im ländlichen Raum erhöhen
Mit Blick auf den NIMBY-Effekt hat sich herausgestellt, dass insbesondere eine Beteiligung der Betroffenen bei den Planungsverfahren eine sehr positive Wirkung auf die Akzeptanz von neu zu errichtender Energieinfrastruktur hat. So erklärten in der bereits erwähnten Greenpeace-Studie 79 Prozent der befragten Betroffenen, dass ein Einbezug in die Projektplanung ihre Haltung zum Bau von Windkraftanlagen positiv beeinflussen würde oder positiv beeinflusst hätte. Mit „Beteiligung“ sind hier jedoch ausdrücklich nicht die vorgeschriebenen Informations- oder Bürgerveranstaltungen gemeint, mit denen den Anwohnenden suggeriert wird, dass sie ein Mitspracherecht bei bereits getroffenen Entscheidungen hätten. Entgegen der ursprünglichen Absicht wirken sich diese formellen Kommunikationsformate oftmals sogar negativ auf die Haltung der Betroffenen zur Energiewende aus. Vielmehr soll ein echtes Mitspracherecht ermöglicht werden, bei dem die Betroffenen Pläne und Vorgaben (mit-)gestalten können und so das Gefühl von Selbstwirksamkeit erfahren.
Um die gefühlte Verteilungsungerechtigkeit zwischen Stadt und Land mit Blick auf die negativen Konsequenzen der Energiewende einzudämmen, kann beispielsweise eine Beteiligung der betroffenen Kommunen an den Gewinnen der Windkraftbetreiber wirksam sein. So zeigen mehrere Umfragen aus den vergangenen Jahren, dass etwa 50 Prozent der Landbewohnenden, die der Energiewende aus einem Gefühl der Benachteiligung gegenüber den nicht betroffenen Regionen skeptisch gegenüber stehen, ihren Widerstand aufgeben würden, wenn sie oder ihre Gemeinde eine finanzielle Entschädigung oder Beteiligung erhielten. Auf Länderebene existieren mit dem Windenergieanlagenabgabengesetz in Brandenburg und dem Bürger- und Gemeindebeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern bereits zwei Gesetze, die eine finanzielle Beteiligung der umliegenden Kommunen gesetzlich vorschreiben. Was Identitätsverletzungen und Heimatverlust betrifft, bietet es sich an, in den betroffenen Regionen neues Identifikationspotenzial für die dort lebenden Menschen zu schaffen („place making“). Ein interessantes Beispiel hierfür ist die Lausitz. Die dort lebenden Menschen haben sich über Jahrzehnte mit ihrer Region als einer bedeutsamen Energieregion identifiziert. Mit dem schrittweisen Rückbau der Kohleindustrie ging und geht dieser Identitätsbezug sukzessive verloren. Dem haben Bund und Länder mit dem sogenannten Strukturstärkungsgesetz von 2020 teilweise entgegengewirkt. So soll die Identität der Lausitz als Energieregion neu belebt werden, indem sie in den kommenden Jahren zu einer führenden Wissenschaftsregion in Sachen klimaschonende Energiewirtschaft entwickelt werden soll.
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