Ein Projekt der Bertolt-Brecht-Gesamtschule

19. Juli 2021 | Interview, Ausgabe 4/2021 Kultur & Umwelt, Nachhaltigkeit | 0 Kommentare

Interkulturelle Traditionen und ökosophisches Denken

In welcher Beziehung stehen Kultur und Umwelt? Können Kulturen etwas zum lebensnotwendigen Wandel beitragen? Mit dieser Fragestellung ist vor einigen Jahren die Stiftung Kulturelle Erneuerung an Prof. Dr. Michael von Brück, Professor für Religionswissenschaft, herangetreten. Eine Antwort liegt nun in Form des Buchs Interkulturelles Ökologisches Manifest vor. Die Kundgabe: Die Erneuerung unseres Selbstverständnisses als Mensch auf dieser Erde ist möglich! Wie? Das wollen wir im Gespräch mit Michael von Brück erfahren.

Projektteam

Lieber Michael von Brück, was verbinden Sie mit dem Begriff Zeitenwende?

Zeitenwende ist immer. Indem wir diesen Satz aussprechen, ist er schon Vergangenheit, die Zeit hat sich gewendet. Aus Gegenwart ist Vergangenheit geworden und im nächsten Moment ist schon wieder Zukunft. Zeit ist ein Rätsel seit Jahrtausenden. Man kann sie nicht denken, ohne in Widersprüche zu geraten. Das ist der philosophische Aspekt. Gleichzeitig haben Menschen, wenn wir in die Kulturgeschichte schauen, sehr häufig das Gefühl gehabt, in einer Zeitenwende zu stehen. Die Wende, dass der Mensch wirklich anders geworden wäre, hat noch nicht wirklich erkennbar eingesetzt. Allerdings glaube ich auch zu sehen, und das ist meine kulturgeschichtliche Betrachtung in diesem Buch, dass es durchaus Umbrüche und zwar Umbrüche im Gesamtzusammenhang menschlichen Lebens gegeben hat. Das sind ökonomische, ökologische, technologische und auch geistesgeschichtliche, kulturelle und religiöse Umbrüche und sehr häufig spielen die ineinander. Allerdings zeigt uns die Analyse des gegenwärtigen Zustands der Welt, der Menschheit und vor allem des Verhältnisses von Welt und Mitwelt und Menschheit, dass wir so, wie wir jetzt leben, nicht leben können werden, ohne die Grundlagen unseres Lebens zu zerstören. Wenn wir so weitermachen, wird uns in sehr kurzer Zeit, und das zeigen alle Parameter an, die wir messend erheben, das System Erde so nicht länger tragen, ertragen und ernähren können. Und deshalb glaube ich, schon mit einiger objektivierender Berechtigung sagen zu können: Wir sind in einer Situation, in der eine Wende menschlichen Lebens im Kontext der Mitwelt dieses Lebens überlebensnotwendig ist.

Das Weltgesetz ins eigene Herz schreiben

Das geht natürlich einher mit der Reflexion menschlicher Möglichkeiten. Was kann der Mensch, was kann er nicht, wozu ist er fähig? Das sind Fragen, die ganz wesentlich in der Literatur, im Fiktiven, im Ritual gestellt werden, also in den Religionen. Wir können sehen, dass Religionen wie eigentlich auch die Künste in der Fähigkeit der Fantasie der Menschen wurzeln, sich die Lebensbedingungen, in denen er lebt, anders vorzustellen als er gegenwärtig lebt. Das Charakteristikum der gegenwärtigen Religionen ist, ich nehme jetzt mal nur zwei, Buddhismus und Christentum, dass sie nicht nur auf eine kosmische und allgemein ewige Ordnung setzen, sondern darauf, dass der Mensch durch einen Bewusstseinswandel seine eigene Natur, seine eigene Lebensform und damit natürlich auch seinen Einfluss auf die Mitwelt verändern kann. Der erste Satz im ältesten der Evangelien lautet: Transformiert euer Bewusstsein! Das bedeutet, das Weltgesetz ins eigene Herz zu schreiben, das heißt, sich so zu verhalten, dass es der Harmonie und der Balance mit dem Ganzen entspricht.

Sie unterscheiden hinsichtlich des beschriebenen Bewusstseinswandels zwischen ökologischem und ökosophischem Denken.

Es ist genau das, wenn ich sage, ich spreche lieber von Mitwelt als von Umwelt. In dem Begriff Logos steckt die Vernunft, die etwas von außen betrachtet. Also jetzt zum Beispiel das ökologische System, das ich als Mensch betrachte, so und so muss es sein, so und so muss ich es verändern. Die Weisheit, also die Ökosophie – da steckt „sophia“, die Weisheit drin – besteht darin, zu erkennen, dass ich selbst Teil des Ganzen bin. Die Umwelt ist nicht meine Umwelt, sondern ist meine Mitwelt. Und ich stehe als Mensch keineswegs in der Mitte, sondern wir sind abhängig in unserem Menschsein und auch unserer menschlichen Zivilisation von allen anderen Arten, die hier existieren.

Wie können wir diese ökosophische Haltung in den Alltag integrieren?

Erstens indem wir staunen, wie großartig und unbegreiflich komplex und doch völlig aufeinander abgestimmt diese verschiedenen Systeme in der Natur sind. Ein großes Staunen. Das Staunen lässt uns erkennen, wenn wir es wirklich mit Begeisterung tun. Kinder können das noch und wir Erwachsenen müssen es wieder lernen. Insofern müssen wir wie Kinder werden. Das ist ja genau das, was die Bibel, was Jesus empfiehlt. Mit großem Staunen diese Komplexität bewundern. Und daraus folgt, meines Erachtens naturhaft, die Ehrfurcht vor dem Leben. Das ist das, was Albert Schweitzer, der ganz große Humanist des 20. Jahrhunderts, so geprägt hat.

Im Rhythmus des Lebens

Diese Erkenntnis beruht auf Erfahrung. Alles, was wir nur theoretisch lernen, ist nicht nachhaltig. Dies tun wir dann nicht. Aber wo eine tiefe Erfahrung ist, und es ist eine Erfahrung von Schönheit, von Kraft auch, die beflügelt uns dabei zu sein, weil es uns gut tut, weil sie uns erhebt und weil sie uns auch eine Sicherheit gibt. Die Vorstellung, eingebunden zu sein in diesen Rhythmus des Lebens, in dieser Resonanz aller Lebensbeziehungen, die wir in der Natur studieren können und dann auch nachahmen können. Natürlich können wir sehen, wie die Natur etwa Blattstrukturen hervorgebracht hat, und das können wir in der Bionik dann nachmachen und unsere Technologie entsprechend gestalten. Aber eben immer so, dass wir dabei nicht Natur zerstören, sondern in Kreisläufen denken und in Kreisläufen die Technologie konzipieren, dass wir das, was wir der Natur entziehen, auch wieder zurückgeben. Denn alle Naturprozesse sind auf Wechselseitigkeit angelegt. Wir nennen dies modern recycling. Und das haben wir in der ersten und auch zweiten Industriellen Revolution sträflich vernachlässigt oder auch noch nicht erkannt, oder aus reiner Profitgier vernachlässigt, dass das passieren muss, damit wir Teil der Natur bleiben und die Natur nicht zerstört wird. Unsere Technik ist noch ganz primitiv, weil sie dieses Recycling-Prinzip, was die Natur in so einzigartiger Weise „erfunden“ hat, noch nicht nachgeahmt hat. Das nachzuahmen ist ein neuer technologischer Sprung, der enorme Kreativität erfordert und auch wieder freisetzt. Und das ist das, was den Menschen glücklich macht. Und genau deshalb denke ich mir, ist diese ökosophische Wende als Zeitenwende eine menschliche Wende, eine Wende im Verhältnis des Menschen zur Mitwelt, eine Wende in der Verhältnisbestimmung von Natur und Kultur. Es ist eins. Wir sind Teil des Ganzen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Kirsten Huppertz.
Das ungekürzte Interview finden Sie unter:
https://youtu.be/8Y3f7f9vyBo

Erschienen in BUZ 4_21

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