Baukultur in Bonn

31. März 2021 | Nachhaltigkeit, Gesellschaft | 0 Kommentare

Zwischen dörflichem Idyll und glitzernden Konzernzentralen

Baukulturell hat Bonn viele Gesichter – zuallererst denken die meisten Bonner*innen wohl an ihre Innenstadt, an das stolze Alte Rathaus und den Marktplatz, an das Münster und den Münsterplatz, an das kurfürstliche Schloss und den Hofgarten – Postkartenmotive, die ohne Zweifel als Identifikationsmomente dienen und sich auch in den Selbstdarstellungen der Stadt finden. Doch in Bonn gibt es nicht nur diese Vorzeigebauten.

Prof. Dr. Claus Wiegandt

Universität Bonn

Bonner Innenstadt

Die Innenstadt hat im Zweiten Weltkrieg stark gelitten. Auch wenn es beim Wiederaufbau gelungen ist, an vielen Stellen den Eindruck einer historischen, gewachsenen Innenstadt zu vermitteln, wird doch einiges bemängelt, was in der Nachkriegszeit architektonisch und stadtplanerisch geschehen ist. Das neue Stadthaus mit seinen fünf unterschiedlichen Turmkomplexen steht hier besonders in der Kritik. Ende der 1970er Jahre wurde es noch gefeiert, doch heute begegnet den gewaltigen und schwer zugänglichen Baukörpern viel Skepsis, weil sie nicht zur Kleinteiligkeit der angrenzenden Altstadt passen.
Auch die aktuellen Entwicklungen vor dem Hauptbahnhof – das Maximilian-Center an Stelle der Südüberbauung und das Urban-Soul-Projekt an Stelle des Bonner Lochs – passen nicht ins Stadtbild. Die Baukörper wirken zu massiv, ihre Fassaden zu glatt und austauschbar. An einem so prominenten Eingangsbereich der Innenstadt fehlt es ihnen an einer wirklich eigenständigen Formensprache. Sie könnten in jeder anderen deutschen Großstadt stehen. Zudem sind die öffentlichen Räume in ihrer Umgebung weiterhin desolat: Die Straße zwischen Hauptbahnhof und den Neubauten müsste ebenso zu einem verkehrsberuhigten Bereich mit Aufenthaltsmöglichkeiten umgebaut werden wie der unübersichtliche und benutzerinnenunfreundliche Busbahnhof. Auch andere Bereiche am Rand der Innenstadt sind alles andere als architektonisch und funktional gelungen. Belderberg und Oxfordstraße sind fußgängerinnenunfreundlich und wirken als Barrieren, beim Bertha-von-Suttner-Platz muss man sich trotz einer noch jüngeren Auffrischung fragen, wo denn eigentlich der Platz sein soll. Prekär ist die Anbindung zum Rhein. Weder die Brüdergasse mit dem Fußgängertunnel unter dem Belderberg hinweg noch die Rathausgasse mit der starken Frequentierung durch Busse wirken einladend.

Stadtteilzentren

Bonn hat nicht nur ein Zentrum. In Godesberg, Beuel und Duisdorf gibt es gleich drei weitere Stadtteilzentren, die früher eigenständige Städte waren. Godesberg und Duisdorf haben sogar eigene identitätsstiftende Fußgängerzonen und stehen damit in einem gewissen Wettbewerb zur Bonner Innenstadt. In Godesberg wurden in den 1960er und 1970er Jahren größere Teil der Altstadt abgerissen und durch Zweckbauten ersetzt, die vielfach dem heutigen Geschmack nicht mehr entsprechen. In einigen Teilen sind die Möblierung und Pflasterung der Fußgängerzone in die Jahre gekommen, sodass in einem Masterplan aktuell über eine attraktivere Gestaltung diskutiert wird. Wichtig ist es, Kurpark und Godesburg besser an die Godesberger Innenstadt anzubinden und deren Qualitäten zu nutzen. Auch das Kino am Moltkeplatz ist mit seiner schwarzen Fassade und dem gewaltigen Bauvolumen sicherlich kein architektonisches Juwel. Für die Funktionsfähigkeit der Innenstadt ist es aber ebenso wie die Kammerspiele eine zentrale kulturelle Einrichtung, die in den Abendstunden zur Lebendigkeit beiträgt. Deutlich wird hier, dass nicht allein das Aussehen, sondern auch die Funktion eines Bauwerks für ein Zentrum bedeutsam ist.

Jugendstil- und Gründerzeitviertel

Besondere baukulturelle Qualitäten bieten die Jugendstil- und Gründerzeitviertel der Süd- und Weststadt, aber ebenso die entsprechenden Viertel aus dieser Zeit in Godesberg und Beuel. Wie in kaum einer anderen deutschen Stadt umfassen sie in Bonn sehr große Bereiche und zeichnen sich durch eine aufeinander abgestimmte, im Detail aber doch abwechslungsreiche Architektur aus. Zudem gibt es dort inzwischen alten Baumbestand, der in den heißen Sommern Schatten spendet. Schauderhaft ist aber der aktuelle Trend, bezaubernde Vorgärten in Schotterwüsten zu verwandeln. Dennoch erfreuen sich die Viertel großer Beliebtheit, was zu hohen Immobilienpreisen führt. In der Folge können es sich nicht alle leisten, in diesen schönen Vierteln zu wohnen.

Bundesviertel

Zwischen dem Bonner und Godesberger Zentrum hat sich entlang der B9 in der Nachkriegszeit schleichend ein in Deutschland einzigartiges Büroviertel herausgebildet, das sich baulich deutlich vom Rest der Stadt absetzt. Bis zum Hauptstadtbeschluss 1991 bildeten die Bauten für Parlament und Regierung, für Landesvertretungen und Parteizentralen, Medien und Lobbyvertretungen sowie die Residenzen und Kanzleien der Botschaften das sogenannte Regierungsviertel. Helmut Schmidts Bezeichnung des Kanzleramts aus den späten 1970er Jahren als „rheinische Sparkassenfiliale“ brachte die damalige Zweckmäßigkeit der Regierungsarchitektur auf den Punkt. In den späten 1980er Jahren stieg der Anspruch des Bundes an die Architektur seiner Gebäude. Der viel gepriesene gläserne neue Plenarsaal des Deutschen Bundestags, heute Teil des Kongresszentrums WCCB, wurde eine Meisterleistung des Stararchitekten Günter Behnisch. Der langgestreckte weiße Schürmannbau – zunächst für die Abgeordneten des Bundestags vorgesehen – ist trotz Baupannen heute die schlichte und zugleich edle Zentrale der Deutschen Welle. Mit der Bundeskunsthalle, dem städtischen Kunstmuseum und dem Haus der Geschichte entstanden Anfang der 1990er Jahre drei weitere architektonische Höhepunkte an der B9. Anschließend kamen weitere prominente Bürogebäude für die beiden großen Bonner Dax-Konzerne hinzu, allen voran der Post Tower, der – anfangs in der Stadtgesellschaft heftig umstritten – heute als markantes Hochhaus von vielen geschätzt wird und die Silhouette der Stadt schon von Weitem prägt. Zu diesen repräsentativen Bürobauten gehört ebenso die Konzernzentrale der Deutschen Telekom rechts und links der B9 sowie in Ramersdorf. Neben diesen Solitären entstanden in den vergangenen Jahren im Bundesviertel viele weitere Bürobauten von unterschiedlicher Qualität: Nicht alle sind architektonisch geglückt: Die Gebäude unterhalb des Post Towers scheinen im Verhältnis zur umgebenden Bebauung überproportioniert, das Parkhaus zwischen WCCB und ehemaligem Kanzleramt wirkt einfallslos, die Rasterfassaden einiger Gebäude uniform und austauschbar. Hier lässt sich ein bestimmter Zeitgeist in der Baukultur ablesen, der sich in einigen Jahren überholt haben wird. Die mit Granit verkleideten Gebäude der 1990er Jahre zeugen heute schon davon. Auch im öffentlichen Raum gibt es gelungene und weniger gelungene Umbauten. An der Heussallee wurden erfreulicherweise zwei Autofahrspuren aufgegeben und zu einer breiten Promenade für Fußgänger*innen umgestaltet. Vielfach dominiert aber noch der Autoverkehr und prägt das Erscheinungsbild der öffentlichen Räume. Durch einen zu geringen Wohnanteil fehlen Durchmischung und Begegnungen im öffentlichen Raum. Dazu ist eine intensive Diskussion um den aktuellen Rahmenplan zum Bundesviertel entbrannt.

Alte Ortskerne

Bonn ist nicht zuletzt in besonderer Weise von seinen vielen kleinen Dörfern geprägt, die jeweils ihre eigene Geschichte aufweisen und für die Alteingesessenen Heimat bedeuten. Graurheindorf oder Rüngsdorf, Vilich-Müldorf oder Lengsdorf sind nur vier Beispiele für lokale Baukultur. Ihre Dorfkerne wurden allerdings im Laufe der Jahre vielfach überformt und sind im inzwischen zusammenhängend bebauten Stadtgebiet kaum noch zu erkennen. Meist sind Kirche und Dorfplatz Indikatoren, sie zu identifizieren. Noch gibt es an der einen oder anderen Stelle Einzelhandel oder einfache Dienstleistungen. Doch häufig bieten die alten Gebäude im Bestand nicht ausreichend Fläche für eine geschäftliche Nutzung, sodass viele Läden verschwunden sind. Sie wurden zu Wohnungen umgebaut, werden von Handwerksbetrieben genutzt oder stehen einfach leer. So wirken diese Standorte wenig attraktiv. Zudem werden die alten Dorfkerne durch eine wilde Mischung von Gebäuden ganz unterschiedlicher Größenordnungen geprägt. Zu den kleinen Fachwerkhäuschen aus der frühen Zeit, vielfach mit Eternitfassaden verunstaltet, kamen bereits um die letzte Jahrhundertwende einzelne Jugendstilhäuser hinzu. Die verschiedenen Architekturstile und wuchtigen Gebäude der Nachkriegszeit passen nicht zu den Dorfkernen und führen zu einem heterogenen Erscheinungsbild. In diesen baulichen Gemengelagen fällt es schwer, über die Gestaltung öffentlicher Räume eine verbindende Linie zu finden. Der neu gestaltete Klufterplatz in Friesdorf kann zeigen, wie es gehen kann. Ein Programm für die Umgestaltung städtischer Plätze wäre wünschenswert.

Fazit

Baulich zeigt sich die Stadt Bonn voller Gegensätze: Das weltgewandte Bundesviertel mit seinen gläsernen und repräsentativen Bürobauten steht in diametralem Gegensatz zu den bodenständigen dörflichen Kernen. Die beliebten Gründerzeitviertel unterscheiden sich fundamental von nichtssagenden und autoorientierten Gewerbegebieten. Die Innenstadt bietet im Kern eine großstädtische Einkaufsatmosphäre statt der eher lokalen Ausrichtung der Stadtbezirkszentren. Die landschaftlichen Reize von Siebengebirge, Kottenforst und Rheinaue setzen sich schließlich vom zersiedelten Bonner Norden entlang der Autobahnen ab. Vielleicht ist es gerade diese Heterogenität im Erscheinungsbild Bonns, die zum Reiz und zur großen Beliebtheit der Stadt beiträgt.

Erschienen in der BUZ 2_21

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