Mehr Wohnraum – weniger Freiraum?
„Innenentwicklung vor Außenentwicklung“ – dieser stadtentwicklungspolitsche Leitspruch hat Gesetzeskraft. Doch wie sieht die Wirklichkeit im Bonner Raum aus? Wie kooperieren die Nachbargemeinden? Vielerorten konkurrieren die Bürgermeister um zuzugswillige Neubürger. Neue Arbeitsplätze in der Stadt erfordern auch zusätzliche Wohnungen. Dies geht in der Regel zu Lasten der noch vorhandenen Freiflächen. Letztlich ist damit die Lebensqualität in der Stadt gefährdet. Städtisches Leben braucht Freiraum.
„Ich wohne leidenschaftlich gern, aber nur wohnen, den ganzen Tag wohnen, das könnte ich nicht.“ (Jens Piepenbringk)
Das einleitende Zitat verdeutlicht, wie schwierig es ist, den Begriff „Wohnen“ zu fassen. In der Wohnung ist laut Grundriss und Sprachgebrauch nur ein einziger Raum mit „Wohnen“ bezeichnet: das Wohnzimmer. Was macht man in den anderen Zimmern? Gehört Schlafen nicht auch zum Wohnen und wie halten wir es mit dem Kochen? Das ist doch auch wichtig für das Leben. Aber wir reden von unserer Wohnung nicht von „Lebensraum“. Der Begriff ist viel weiter gefasst und beginnt bereits außerhalb der Wohnung, in der Wohnumgebung, in der Nachbarschaft, im Wohnort, im Land und noch weiter. Es gibt also neben den eigenen privaten Wohnräumen noch andere lebenswichtige Räume. Was sind die Qualitäten für gutes Wohnen?
Leben ist mehr als Wohnen
Der bekannte Ikea-Werbespruch „Wohnst du noch oder lebst du schon“ verdeutlich die vielfältige Dimension unseres Lebensraums; innerhalb und außerhalb unserer Wohnung. Und der Lebensraum außerhalb der Wohngebäude ist – zumindest in Ballungszentren – zunehmend gefährdet. Der Grund: weil neuer Wohnraum in Konkurrenz zu öffentlichen Freiräumen steht. Diese werden immer knapper. Dabei sind sie nicht etwa frei von Nutzung, sondern lediglich frei von Bebauung. Tatsächlich sind freie Räume Angebote für vielfältige Aktivitäten und Nutzungen. Sie begründen urbane Lebensqualität. Ihr kollektiver Verlust kann zu einem Nachteil für das individuelle Wohnen werden; nämlich dann, wenn die klimatischen und sozialen Standortqualitäten durch Neubauprojekte „auf der grünen Wiese“, aber auch durch „Nachverdichtung“ in bestehenden Wohnquartieren an Wert verlieren. Wie kann eine kluge Abwägung von wohnungspolitischen Maßnahmen und solchen für die Sicherung von Umweltqualitäten, einschließlich Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen helfen?
Bedarf ist nicht gleich Nachfrage
Bezeichnenderweise suggerieren die sogenannten „Wohnungsbedarfsprognosen“ einen ungebremsten Zuwachs an zusätzlichem Wohnraum – als wäre dies ein Naturgesetz. Tatsächlich nimmt die Nachfrage nach Wohnraum statistisch zu. Das hat viele Gründe: zum einen steigt der Anteil von Einpersonenhaushalten in den Städten – Tendenz 50 Prozent der Haushalte und 50 Quadratmeter pro Person. Die Nachfrage nach Wohnraum wird auch dadurch angeheizt, dass neue Arbeitsplätze entstehen. So gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem Wohnungsbestand und der Entwicklung der Zahl der Arbeitsstätten. Es ergibt sich also eine doppelte Anforderung an standortgerechte Baumaßnahmen. Mit diesem Dilemma ist die Stadt Bonn als eine der wenigen Wachstumsstädte in Deutschland konfrontiert. Wie versucht die Stadt Bonn dieses Problem zu lösen?
Verteilungsproblem und Mengenproblem
Wohnungspolitik muss zwei raumbezogene Herausforderungen angehen: Verteilungsproblem und Mengenproblem. Dies in zweierlei Hinsicht: Regional, weil den gestressten Städten ländliche Gebiete mit Leerstand gegenüberstehen. Noch gravierender ist dies im bundesweiten Blick. So wurden in den östlichen Bundesländern innerhalb von fünf Jahren 350.000 Wohnen abgerissen und zwar mit über 3,5 Mio. Euro gefördert. Prognosen gehen von über 600.000 Wohnungen aus. Ein anderes Verteilungsproblem ist eher in sozialer Hinsicht gegeben. Häufig fehlt es nicht generell an Wohnraum sondern an Wohnraum zu niedrigen Mieten. Haushalte mit niedrigen Einkommen stehen öffentlich geförderte Wohnungen zur Verfügung. Aber es gehen immer mehr Sozialwohnungen nach Rückzahlung der öffentlichen Mittel planmäßig aus der Sozialbindung als neue durch Wohnungsbau dazu kommen. Die Konkurrenzsituation bei Besichtigungen günstiger Mietwohungen wirkt deprimierend und diskriminierend. Hilft da der Bau teurer Neubauwohnungen wirklich?
Klimaschutz ist mehr als Flächenschutz
Die umweltrelevante Diskussion auf kommunaler Ebene fokussiert sich auf das Thema „Flächenverbrauch“. Es geht aber auch darum, die Präsenz und Bedeutung von Natur im urbanen Raum zu stärken. Die Möglichkeiten sind vielfältig, aber es darf nicht bei grüner Dekoration von Fassaden und gestylten Grünflächen stehen bleiben. Auch urbane Nischen und Brachen gehören dazu – was auch heisst, auf Bebauung verzichten. Doch das sind nicht die einzigen Herausforderungen. Bisher wenig thematisiert ist der „Hunger nach Energie und Baustoffen“ durch Bautätigkeit. Besonders die Inanspruchnahme von „grauer Energie“ durch Gewinnung, Transport und Verarbeitung von Baumaterialen.
Allein der Einsatz von Zement für Beton ist für knapp zehn Prozent des Kohlendioxidausstosses verantwortlich. Wie kann Neubau von Gebäuden ökologischen Kriterien genügen? Ist Holz als Baustoff die Rettung? Welche Bedeutung muss eine Kreislaufwirtschaft im Baugeschehen haben? Um wieviel besser ist die Bilanz bei der Bestandserneuerung?
Wie lässt sich der vordergründige Konflikt „sozialverantwortliche Wohnungspolitik versus Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen“ auflösen? Was tut die Stadt Bonn, diese stadtentwicklungspolitischen Herausforderungen anzunehmen? Wie wirkt sich dies im aktuellen Baugeschehen aus? Wie und wo sind wir Bürger*innen gefordert?
Fragen über Fragen
Darüber möchten wir gerne in der Sommerausgabe der BUZ ausführlich berichten, wo nötig, auch streiten. Eure Vorstellung, Anregungen und Bedenken sind willkommen. Vielleicht möchtet ihr einen eigenen Artikel schreiben oder nur eine kleine Bemerkung loswerden. Wir freuen uns auf eure Beiträge unter info@oez-bonn.de – Stichwort BUZ, WohnraumFreiraum.
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