„Ich kann mich gar nicht entscheiden – Ist alles so schön bunt hier“

Was Nina Hagen einst punkig in den Saal rockte, kam am 28. September in der Pressekonferenz der Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) wesentlich dezenter rüber. Aber es ging an diesem Tag auch um Entscheidungen, nämlich um erste Auswahlschritte hin zu einem Atommüllendlager. Und es sollte erklärt werden, wie aus einer ursprünglich weißen Landkarte, in der jede Region in Deutschland den gleichen Status hatte, eine differenziertere und bunte geworden ist.

Susanna Allmis-Hiergeist

Zur Erinnerung: Um die Jahreswende 2017/2018 hatten wir den Leser*innen in einer Artikelserie „Was aus dem Atommüll wird“ das Standortauswahlgesetz, die mit der Suche beauftragten Organisationen und einen rudimentären Zeitplan vorgestellt. Jetzt können wir die „Unendliche Geschichte“, wie wir sie damals nannten, wieder ein Kapitel weiter verfolgen. Nach langem Ringen mit geowissenschaftlichen Daten hat die mit der Endlagersuche beauftragte BGE einen Zwischenbericht vorgelegt, der ungeeignete Regionen ausscheidet und im Umkehrschluss ausweist, welche Bereiche von Deutschland weiter im Rennen sind.

Und ich war so gespannt …
Endlagerkarte Deutschland

Teilgebiete gemäß §13 Standortauswahlgesetz Quelle: Bundesgesellschaft für Endlagerung

Aber der Reihe nach: die von der BGE vorgelegte bunte Karte stellt ein Puzzle aus 90 Teilgebieten, das heißt endlagerfähigen geologischen Strukturen, dar. Diese orientieren sich nicht an administrativen Grenzen wie zum Beispiel Landkreisen, sondern bilden vom geologischen Untergrund her zusammenhängende Gebiete ab. Sie können ausgedehnt sein oder auch nur sehr klein wie zum Beispiel ein einzelner Salzstock. Im Bild wird farblich nach der Art des Wirtsgesteins der Teilgebiete unterschieden: Orange/Rot entspricht Tongestein und prägt weite Teile des Nordens, Blautöne mit Steinsalzen finden sich vorwiegend in der Mitte, im Südosten und Bayern dominiert Kristallingestein wie Granit. Bei uns in NRW sind Teilgebiete im Münsterland, am Niederrhein und in Ostwestfalen-Lippe ausgewiesen. Da nach jetzigem Kenntnisstand 54% der Fläche als potentiell geeignet markiert ist, werden die vehementen lokalen Proteste wahrscheinlich erstmal ausbleiben.

Eine mögliche erste Welle dieser Art soll zwischen Oktober 2020 und Juni 2021 durch eine Serie von Fachkonferenzen abgefedert werden. Federführend für die Beteiligung der Öffentlichkeit ist das Bundesamt für Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE), das auch die atomrechtliche Aufsicht über die operativ tätige BGE führt. Die Auftaktveranstaltung unter Beteiligung von Kommunen, gesellschaftlichen Organisationen sowie Bürgerinnen und Wissenschaftlerinnen fand am 17./18.10. in Kassel statt. Eine online-Teilnahme war nach Anmeldung für jede/n Interessierte/n möglich (Bericht dazu in der nächsten BUZ). Das von BASE und BGE postulierte Ziel ist, auf diese Weise möglichst viel zusätzliche örtliche Expertise in den Suchprozess einfließen zu lassen. Umweltschützer kritisieren, dass die kenntnisreichen teilgebietskundigen Geolog*innen in der Regel nicht vom Himmel fallen, Zeit zur Einarbeitung brauchen und bezahlt werden müssen. Sie fordern finanzielle Mittel für alternative Studien und halten den Zeitpunkt Ende Juni 2021 für die Kommentierung des Zwischenberichts durch die Fachkonferenzen für zu knapp gewählt.

Parallel zur Bürgerbeteiligung arbeitet die BGE weiter an der Eingrenzung des Suchraums zum Beispiel durch planungswissenschaftliche Abwägungen (Siedlungsdichte, Naturschutzstatus usw.). Im Rahmen einer übertägigen Erkundung werden dann Standorte ermittelt, die später auch untertägig erkundet werden sollen. 2031 soll der Standortvorschlag stehen, ab 2050 erste Castoren eingelagert werden.

Warum so gespannt?

Klar, was aus dem Salzstock Gorleben wird. Der verdiente amtliche Ausschluss des besterkundeten Standorts Gorleben würde das Vertrauen in die wissenschaftliche Objektivität des Verfahrens erhöhen, sagte ich mir. Andererseits waren bereits Milliarden investiert worden. Auf den ersten Blick ist es gut gegangen, auch wenn sich in Gorleben weiter ein schlecht geschütztes Zwischenlager befindet und um den Salzstock herum im Landkreis Lüchow-Dannenberg Teilgebiete mit Tonuntergrund ausgewiesen sind. Und jetzt nur nicht vorschnell weiterdenken.

Wolfram König, der Leiter der BASE, bemerkte kürzlich, eine künftig zu treffende Standortfestlegung sei in jedem Fall eine Zumutung, die nur durch die Gemeinwohlverpflichtung der betroffenen Region zu rechtfertigen sei. Das ist kühn, aber vermutlich richtig. Denn obwohl alles so schön bunt ist, muss eine Entscheidung getroffen werden. Oder alle Castoren bleiben am Ende doch in ihren jetzigen, dann technisch aufgerüsteten Zwischenlagern verteilt über die Bundesländer.

 

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