Klimaschutz: ein Menschenrecht oder kann das weg?
Es ist Usus, neuen Regierungen nach Amtsantritt 100 Tage Zeit zu geben, um ihre Politik erstmals zu bewerten. Für die neue Bundesregierung lief diese Zeitspanne bis zum 14. August 2025. Doch früh zeichnete sich ab, dass in der Umwelt- und Klimapolitik ein eklatanter Wandel gegenüber der Vorgängerregierung stattfindet. Angesichts der Klimaveränderungen auch in Bonn und dem neuesten Gutachten des Internationalen Gerichtshofs der UN, das eine nachhaltige Umwelt als Menschenrecht bezeichnet, stellt sich die Frage, ob die neuen Prioritäten eine gute Wahl sind.
Esther und Andreas Reinecke-Lison
2025 ist das Jahr vieler Jubiläen: 80 Jahre Vereinte Nationen/UN, 50 Jahre Bund für Umwelt und Naturschutz/BUND, 30 Jahre UN-Klimakonferenzen, 25 Jahre Erneuerbare-Energien-Gesetz, 10 Jahre Pariser Klimaabkommen.
Wird Nutzen gemehrt?
Doch unter umweltpolitischen Aspekten feiert die neue Bundesregierung nicht mit. Schon in den ersten Wochen nach Amtsübernahme nahm sie bemerkenswerte Weichenstellungen vor. Wirtschaftliche Erwägungen genießen eindeutig Vorrang.
Der Kanzler redet die klimapolitische Verantwortung Deutschlands klein, ignoriert damit nationale und internationale Verpflichtungen. Die neue Wirtschaftsministerin, zuvor als Managerin in der Energiewirtschaft tätig, wird in den Medien aufgrund ihrer Aktivitäten und Äußerungen als „Fossil-Ministerin“ bezeichnet. Obwohl erneuerbare Energien die günstigste Form der Energieerzeugung sind, wird verstärkt auf Gas als Energieträger gesetzt.
Es sollen neue Gaskraftwerke gebaut werden, für die eine Umstellung auf Wasserstoff nicht vorgesehen ist. Zur Nutzung dieser Anlagen soll Gas aus dem In- und Ausland dienen. Obwohl der deutsche Gas-Bedarf nur zu etwa 5 Prozent aus eigenen Vorkommen gedeckt werden kann, soll jetzt auch vor der Nordseeinsel Borkum oder am Ammersee in Bayern, unter Protest der Bevölkerung, nach Erdgas gebohrt werden. Bei Erdgasförderung wird Methan freigesetzt, das über einen Zeitraum von 20 Jahren 80-mal höher treibhausgaswirksam ist als CO2. Bei importiertem Flüssiggas aus den USA sind die Methan-Emissionen um 24 Prozent höher als bei einem Kohlekraftwerk.
Unverhohlen wird stattdessen der Einsatz erneuerbarer Energien eingebremst. Die Wirtschaftsministerin spricht von einem „völlig unrealistischen, völlig überzogenen Erneuerbaren-Ziel“, beauftragt die Überprüfung des Stromnetz-Ausbaus für erneuerbare Energien durch ein Institut, das von der fossilen Energiewirtschaft finanziert wird und sagt zur Atomkraft, man müsse „technologieoffen“ sein. Finanzielle Mittel des Klima-und Transformationsfonds KTF werden für die Senkung des Gaspreises zweckentfremdet. Dagegen sollen die Förderungen für Balkonkraftwerke und Wärmepumpen entfallen. Und schließlich wurde die soziale Komponente der angekündigten Strompreis-Senkung gestrichen, Strom wurde allein für die Wirtschaft günstiger.
Zum neuen Umweltminister wurde der fachfremde Politiker Carsten Schneider ernannt. Dessen Ministerium hat 2025 den zweitkleinsten Etat. Der weitaus größte Anteil (55 Prozent von 2,69 Milliarden Euro) geht in die Finanzierung der Atommüll-Lagerung, denn es ist zugleich auch Ministerium für Nuklearsicherheit. Der Verfügungsrahmen für Umweltprojekte des Umweltministeriums beträgt im Haushalt 2025 ohnehin nur 0,54 Prozent des Haushaltsvolumens, nach Abzug der Atommüllentsorgungkosten nur noch 0,26 Prozent.
Die internationale Klimapolitik Deutschlands repräsentiert nun der auf diesem Gebiet höchst erfahrene Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth. Er hat an allen UN-Klimakonferenzen teilgenommen. Finanzielle Mittel für die internationale Klimapolitik, für Vorhaben zum Klimaschutz, zur Minderung oder zur Anpassung in armen Ländern, kommen vor allem aus dem Etat des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Diese Mittel, eine völkerrechtliche Verpflichtung der Industrieländer seit dem Pariser Klimaabkommen 2015, werden in den nächsten Jahren gekürzt. Dabei werden Entwicklungs- und Klimapolitik eigentlich auch als relevante Komponenten der nationalen Sicherheits-Strategie angesehen.
Es ist fraglich, ob mit dieser personellen und finanziellen Ausstattung eine ähnlich erfolgreiche internationale Klimapolitik betrieben werden kann wie zu Zeiten der Ampel-Regierung. Leidenschaftlich hatte diese ein umfassend gedachtes Umweltkonzept verfolgt, Klimapolitik auch als Außen-, Entwicklungs- und Sicherheitspolitik verstanden. Es wurde die Stelle einer Sonderbeauftragten für internationale Klimapolitik geschaffen und mit Jennifer Morgan (vorher Greenpeace-Chefin) besetzt. Bei den UN-Klimakonferenzen 2022 und 2023 hatte sie sich maßgeblich für ein Abkommen zur Finanzierung von Klimafolgeschäden in armen Ländern durch Industriestaaten eingesetzt. Doch die Sonderbeauftragten-Stelle wurde quasi als erste Amtshandlung der neuen Regierung abgeschafft.
Wird Schaden abgewendet?
Es zeichnet sich deutlich ab, dass die neue Regierung national und international ein umwelt- und klimapolitisches „Vorwärts in die Vergangenheit“ anstrebt. Damit kann sie aber laut aktuellem Gutachten des Expertenrats für Klimafragen nationale Verpflichtungen nur schwerlich einhalten. Die Wirtschaftsministerin bekräftigte diese Abkehr indirekt sogar, indem sie das Ziel des nationalen Gesetzes der Klimaneutralität für das Jahr 2045 als „zu starr“ bezeichnete. Und damit betreibt die neue Regierung entgegen ihrer Ankündigung, für Wirtschaftswachstum zu sorgen, einen Abbau von Arbeitsplätzen in Zukunftsbranchen, fördert einen Umsatzeinbruch in mittelständischen Betrieben und verhindert den Einsatz fortschrittlicher Technologien.
Durch die Etatkürzungen für internationale Klimapolitik kann die neue Regierung auch international nicht mehr als glaubwürdiger Vertreter und Förderer einer Politik des Klimaschutzes auftreten, auch wenn Jochen Flasbarth sich weiterhin darum bemüht. Als Motivationshilfe diente ihm bislang eine Kopie des Konferenzleiter-Hammers des Pariser Klimaabkommens: „Wenn ich denke, die Zeiten sind schwierig, dann gucke ich ihn an und denke: ´Am Ende wird es doch gut. ´“ Einige Klima-Entwicklungen in 2025 belegen jedoch global wachsenden Handlungsbedarf:
- In Bonn gab es den zweitwärmsten Frühling seit 1895 und damit schon 21 Monate in Folge, die überdurchschnittlich warm waren. Es gab an nur 21 Tagen Regen und dabei nur 62 Prozent der Durchschnittsmenge seit 1848.
- Im Mittelmeer wurden mit 26 Grad Celsius die höchsten Oberflächen-Temperaturen für einen Juni verzeichnet. Bereits jetzt sterben dadurch heimische Meerespflanzen und -tiere, steigen dort Unwetter-Gefahren. Auf Dauer würde das Meer sogar als CO2-Speicher ausfallen, stattdessen CO2 abgeben, was ebenso für geschädigte Wälder gilt.
- In den Mittelmeer-Ländern Europas und in England leiden Mensch und Natur in diesem Sommer unter Hitzewellen und Dürren. Die Folgen von „austrocknenden Natur-und Kulturlandschaften“ (J.G. Goldammer, Feuerökologe am Max-Planck-Institut Mainz) sind eine Zunahme von kaum zu beherrschenden Feuern auf allen Kontinenten oder Wasserverbrauch-Einschränkungen.
„Die Frage ist nicht, wieviel der Mensch noch zu tun imstande sein wird, sondern wieviel davon die Natur ertragen kann.“ Hans Jonas, Philosoph (1979)
Schlau denken, blöd handeln
Nun kann man resignativ aufseufzen: „Was soll man da machen?“ Meinungsumfrage-Ergebnisse spiegeln diese Haltung wider. Auch weil viele andere Krisen die Menschen beschäftigen, stehen Umwelt und Klimawandel in der deutschen Bevölkerung aktuell nur auf Platz fünf der Themen, um die sich die Politik dringend kümmern müsse. Dazu der Meteorologe Sven Plöger:
„Klimawandel kann dazu führen, dass die Menschen sagen: ‚Das kriegen wir nicht mehr hin, jetzt ist auch egal, ob wir noch etwas tun‘. Dann wird die Klimakatastrophe zur selbsterfüllenden Prognose.“ und
„Wenn man unser Wissen über den Klimawandel und unser Verhalten vergleicht, müssen wir aktuell leider zur Schlussfolgerung kommen: Die menschliche Gesellschaft ist für die Lösung dieses Problems nicht reif!“
Menschen mögen „schlau denken“, können aber trotzdem „blöd handeln“, so der Biologe Matthias Glaubrecht. Denn wir neigen in unangenehm empfundenen Situationen dazu, „Informationen zu ignorieren, die unserem Weltbild nicht entsprechen, zweifeln Quellen an, machen andere verantwortlich, nicht sich selbst.“ Kurzum: „Wir reden uns dann die Welt so zurecht, wie wir sie gerne hätten.“
„Man kann sich der Verantwortung von morgen nicht entziehen, indem man ihr heute ausweicht.“ Abraham Lincoln, US-Präsident 1861-1865
Aussichten
Trotz politischer Rückschritte, verwässerter Beschlüsse, verzögerter Umsetzungen und verzerrter Wahrnehmung: Umwelt- und Klimaschutz mit Nutzung erneuerbarer Energien wird es weiterhin geben. Umwelt und Klimaschutz werden als überlebenswichtige Voraussetzungen der Menschheit seit einigen Jahren von juristischer Seite anerkannt. Im Juli 2025 hat der Internationale Gerichtshof der Vereinten Nationen in Den Haag (IGH) eine „saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt“ zu einem Menschenrecht erklärt. Zuvor hatten schon die UN-Vollversammlung 2022 und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 2021 es ähnlich beschieden. Ein BVerfG-Urteil zu einer Klima- „Zukunftsklage“ wird noch in diesem Jahr erwartet. Solche Gutachten und Resolutionen sind rechtlich nicht bindend, können aber richtungsweisend für staatliche Umweltpolitik und Klagen gegen Unternehmen oder Staaten sein.
Das von der Ampelregierung aufgelegte „Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz“ soll übernommen und weiter ausgebaut werden. Natur- und Lebensräume wie Wälder, Moore und Böden sollen in einen besseren Zustand gebracht werden. Der so gestärkte natürliche Klimaschutz dient als zusätzlicher „Player“ zum technischen Klimaschutz (Solaranlagen, Windkrafträder, Gebäudesanierung). Laut Professor Matthias Drösler vom hierfür eingerichteten Wissenschaftlichen Beirat ist das ein sehr gutes Konzept, um die Klimaschutzziele bis 2045 zu erreichen. Im natürlichem Klimaschutz kann man „schöne Synergien“ erzeugen, und zwar das Klima schützen und gleichzeitig den Wasserrückhalt und Biodiversität erhalten oder ausbauen. Alle hängen in der Landnutzung und dem Naturschutz eng zusammen. Der Beirat hat dem Umweltminister im Juli 2025 entsprechende Empfehlungen übergeben.
Lösungen für eine nachhaltige Energieversorgung ohne nachteilige ökologische oder soziale Folgen erforscht das „Internationale Zentrum für Nachhaltige Entwicklung“ der Hochschule Bonn-Rhein/Sieg. Professorin Meilinger freut sich über „begeisterte junge Menschen, die dort forschen und mitarbeiten wollen.“ Der Nachwuchs für diese Forschung kündigt sich schon an: Die 11-jährige Julia vom Kardinal-Frings-Gymnasium gewann bei „Jugend forscht junior“ 2025 mit ihrer Untersuchung, wie Dachfarben und -Oberflächen eine Hitze-Reflexion beeinflussen, den Sonderpreis „Umwelt“ des Düsseldorfer Umweltministeriums. Der 11-jährige Rouven spendete seiner Schule, der Gesamtschule Sankt Josef in Bad Honnef, ein bei einer Verlosung gewonnenes Balkonkraftwerk, weil zu Hause schon eine solche Anlage genutzt wird.
Nicht zuletzt gibt es viele Chancen für uns, etwas zu bewirken. Wir können unter anderem in einem Gemeinschaftsgarten Obst und Gemüse säen und ernten, Ressourcen sparen durch Reparaturen kaputter Geräte in Repair-Cafés, Dinge auf Tausch-Börsen tauschen statt neu kaufen. Man kann sich informieren oder sogar mitmachen:
- bei Bonner Umweltinitiativen, zum Beispiel Fridays for Future, Parents for Future, Students for Future oder der Bonner Umwelt Zeitung,
- in einem der vier Bonner Klimaviertel. Im Klimaviertel Beuel berät und unterstützt der Bürgerverein Vilich-Müldorf bei der Installation von einem „Balkonkraftwerk“. Deren Zahl hat sich in Deutschland innerhalb eines Jahres verdoppelt, auf jetzt etwa eine Million. Im Juni 2025 wurden 22 Prozent des in der EU verbrauchten Stroms mit Solarenergie erzeugt. Die Anschaffung einer Solaranlage wird von der Stadt Bonn finanziell gefördert.
Wir können Einfluss nehmen, indem wir diejenigen wählen, denen der verstärkte Einsatz für den Klimaschutz und für soziale Gerechtigkeit wichtig ist. Das nächste Mal ist das bei der Kommunalwahl am 14. September 2025 möglich – der Tag, der gleichzeitig „Internationaler Tag der Tropenwälder“ ist. Am 10. September kann man Bonner Spitzenkandidat*innen im Brückenforum auch zu ihren Plänen befragen, wie die Stadt gemäß „Klimaplan 2035“ klimaneutral wird. Denn die jüngst veröffentlichte Klimabefragung ergab, dass die Bonner*innen auch von der Stadt erwarten, ein Vorbild zu sein.
„Verantwortlich ist man nicht nur für das, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut.“ Laotse, chinesischer Philosoph, 6. Jahrhundert v. Chr.“
Informationsquellen (Auswahl):
Glaubrecht, M: Das Ende der Evolution, 2022 // Stadt Bonn: Klimabefragung 2024/2025 // Deutschlandfunk: Umwelt und Verbraucher, 8. und 20.8.2025 // tagesschau.de // Der Spiegel // General-Anzeiger Bonn // Parents for Future Bonn
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