Alles Nachhaltigkeit, oder was?


Dr. Manfred Fuhrich


Das Sympathische an dem Begriff „Nachhaltigkeit“ liegt darin, dass jeder ohne Vorkenntnisse und ohne Vorwarnung mit dieser Worthülse hantieren kann. Er wird so beliebig verwendet, dass seine ursprüngliche Bedeutung unkenntlich geworden ist. Der Waldexperte Carl Carlowitz hatte diesen klugen Gedanken in die Welt gesetzt: Es dürfe nur so viel Holz geschlagen werden, wie auch wieder nachwächst. Es war also in erster Linie ein forstwirtschaftlicher Gedanke, der nicht aus Liebe zur Natur in Gestalt der Bäume entsprang.
Leider wird der Begriff mannigfaltig missbraucht oder fehlgedeutet und mitunter sogar verkürzt auf die schillernde Bedeutung von „Dauerhaftigkeit“. So werden Angebote für Kapitalanlagen wohlklingend als nachhaltig angepriesen. Waren werden als nachhaltig angeboten, weil sie angeblich lange halten.
Was bedeutet dies nun für die lokale Ebene? Wo und wie sind solche Projekte, die den Ursprungsgedanken der Nachhaltigkeit erkennen lassen? Der Weg zu mehr Nachhaltigkeit ist mit wirksamem Umdenken im Alltag verbunden; einige nennen dies widerwillig „Bevormundung“. Weniger aufwendig ist eine andere nachhaltige Strategie: nichts tun, die Natur sich selbst überlassen und ihr dabei helfen, Barrieren abzubauen oder auch wohlgemeinte Fehler vergangenen Handelns zu korrigieren.
Im Weiteren soll unterschieden werden zwischen solchen Projekten, die „von oben“ initiiert bzw. durchgeführt werden oder von der Basis kommen. Im Mittelpunkt stehen dabei staatliche oder kommunale Entscheidungen und Maßnahmen. Andere Projekte sind solche die von den Bürger*innen initiiert und in deren Trägerschaft durchgeführt werden.

Projekte „von oben“

Ein gutes Beispiel für die erste Gruppe ist die „Energieberatung Bonn“. Dieses Angebot der Stadt Bonn informiert interessierte Bürger*innen in Sachen Energiesparen, nachhaltigen Energieangeboten bis hin zu „Balkonkraftwerken“. Die produktneutrale Beratung ist kostenlos, wird durch aktuelle Informationen im Internet und immer wieder auch durch Webinare mit Experten ergänzt. Dieses vorbildliche Angebot unterstützt diejenigen, die durch eigenes Handeln eine nachhaltige Lebensführung anstreben. <bonner-energie- agentur.de>
Andere Projekt der Stadt fördern einzelne Maßnahmen, zum Beispiel durch Kostenzuschüsse für Neuanpflanzungen auf privaten Grundstücken und für Fassadenbegrünung. Auch Neuanpflanzungen von Bäumen auf städtischen Flächen und Straßenzügen sind vorbildlich. Diese Projekte sind im engeren Sinne nachhaltig, weil sie auf Dauer angelegt sind – wenn die Pflanzen durchhalten.
Auch das Programm zur Ausweisung von Fahrradstraßen ist gut gemeint, aber schlecht gemacht, weil nicht rechtssicher. So scheitert so manche Umwandlung am Widerstand von Anliegern, deren partikulares Interesse an der Verteidigung von Straßenraum für parkende Autos gerichtlich obsiegt. Schon Bertolt Brecht stellte fest: „Die guten Ideen scheitern immer nur an den Menschen“.
Die schleppende Ausweisung von Tempo- 30-Straßenzügen scheitert hingegen an der Straßenverkehrsordnung. So beschränken sich bereits ausgewiesene temporeduzierte Straßenabschnitte auf die Begründung sicherer Straßen vor Schulen und Kindergärten sowie auf Lärmschutz. Generelle Tempobegrenzung auf städtischen Straßen kann die Kommune nicht durchsetzen.
Ganz anders das großangelegte LEAD-Programm. Eine beeindruckende Vielzahl von Einzelmaßnahmen hat die Stadt Bonn in diesem Programm aufgenommen – aber nicht alle sind wirklich nachhaltig. Abgesehen von wertvollen Impulsen wirken diese nur solange staatliche Fördermittel fließen; also nichts mit Nachhaltigkeit, nicht mal im abgespeckten Sinne von „dauerhaft“.

Projekte „von unten“

Nun gibt es noch eine zweite Gruppe von nachhaltigen Projekten, nämlich die, die Bürger*innen selber in die Hand genommen haben. Ein vorbildliches Beispiel für Entsiegelung auf privaten Grundstücken befindet sich in Friesdorf; dokumentiert auf <bund.bonn. net>. Zahlreiche Garagen wurden abgerissen und Betonflächen durch Wiese ersetzt. Ein Gewinn für das Kleinklima.
Nicht unerwähnt sollten hier die einzelnen Initiativen zur Begrünung von Schulhöfen sein, zumal hier ein dauerhaft wirkender pädagogischer Effekt zu erhoffen ist.
Auch die Initiativen zur Sicherung der naturnahen Standorte auf ehemaligen Gärtnereien lassen Hoffnung aufkommen. Aber der Erfolg nachhaltiger Projekte bedarf Kümmer*innen und ein enormes Durchhaltevermögen. Um beeindruckende Projekte im Sinne von „nachhaltig durch Nichtstun“ zu erleben, muss man das Stadtgebiet verlassen. Kurz hinter Mehlem in Oberwinter laden die „geheimen Gärten“ zur Meditation ein. Es ist beeindruckend, wie konsequent sich die Natur ihren Lebensraum zurückerobert, wenn man sie lässt.
Ein besonders interessantes Projekt ist das Solardach der Thomasgemeinde. Hier galt es nicht nur die Zustimmung der Kirchengemeinde zu erreichen, sondern neben der technischen Herausforderung auch die organisatorischen Niederungen durchzustehen sowie die bürokratischen Hemmnisse zu überwinden; paulus for future: <thomas-bad-godesberg.ekir.de>
Die Vielzahl von einzelnen Projekten verdeutlicht, dass es nicht immer staatlicher Fördermittel bedarf. Mitunter hilft auch das Gewähren bürgerschaftlicher Aktivitäten durch die „öffentliche Hand“. Noch schöner ist es natürlich, wenn solche „Graswurzelprojekte“ kommunale Unterstützung erfahren. Die Erfahrungen in vielen bundesdeutschen Städten belegen, dass bürgerschaftlich getragene Projekte dauerhaft erfolgreicher sein können als solche, die „von oben“ geplant und umgesetzt werden. Ob großer Wurf oder kleine Schritte, ob kommunale Projekte oder solche aus Hand der Bürger*innen, sie müssen auf Dauer angelegt sein, damit sie nachhaltig wirken können. Nicht Tucholsky vergessen: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

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