Lieblingsorte in der Heimat

Wir Deutschen tun uns schwer mit dem Begriff „Heimat“. Das hat viel mit unserer Vergangenheit zu tun. Die Nationalsozialisten haben es verstanden, diesen Begriff zu instrumentalisieren. Jetzt scheuen wir uns, diesen belasteten Begriff zu verwenden. Dabei vermittelt er doch positive Gefühle. Er gibt eine gewisse „Erdung“ in einer hektischen, unübersichtlichen Zeit. Wie wichtig Heimat ist, wird deutlich, wenn man sie nicht mehr hat.


Dr. Manfred Fuhrich


Heimatlos – ein schweres Los

In dem Schmachtlied von Freddy Quinn „Heimatlos“ wird vermittelt, wie man sich fühlt, wenn man keine mehr hat. Das haben die Millionen „Heimatvertriebenen“ nach dem zweiten Weltkrieg schmerzhaft erleben müssen, einige nicht überlebt. Auch heute überschlagen sich die Nachrichten über Geflüchteten. Ob Kriegs-, Klima- oder Wirtschaftsflüchtlinge – allen gemeinsam ist das Schicksal, die eigene Heimat verloren zu haben.

Herzerweichend ist auch das bekannte Küchenlied: „Heimat, süße Heimat, wann werden wir uns wiedersehen…“. Hier wird eine Sehnsucht nach der alten vertrauten Zeit erkennbar. Die gute alte Zeit mit den Verhalten regelnden, Sicherheit gebenden Gebräuchen wird allzu gerne in den vielen „Heimatfilmen“ beschworen. Ganz anders der mehrteiligen, preisgekrönte Film „Heimat“ von Edgar Reitz. Hier wird uns ein sehr differenziertes Bild vom Leben im ländlichen Raum am Beispiel des Hunsrück vermittelt. Als urbanes Gegenstück kann man die gefühlt endlose Serie der Fernsehfilme „Lindenstraße“ ansehen. Für begeisterte Zuschauer*innen wurde über Jahre im Kölner Studio diese künstlich produzierte kleine Welt zur Ersatzheimat, so als wären sie Mitbewohner*innen in dieser Straße – mit Höhen und Tiefen, mit Freuden und Leiden – wie in echt.

„Neue Heimat“

Neben dieser inszenierten virtuellen Version von Heimat gab es aber auch eine ganz andere, eine die nicht auf Vergangenem aufbaut, sondern die eine neue Zukunft verspricht. Eine Zukunft mit neuen Wohnungen, mit modernen Wohngebieten; das erfolgreichste Wohnungsunternehmen der Nachkriegszeit hieß ausgerechnet „Neue Heimat“. Die Lebenssituation in diesen Stadtteilen hat nun nichts mehr mit Heimat im klassischen, romantischen Sinne zu tun. Aber: Sie wurden mit den Jahren tatsächlich zur Heimat für viele, insbesondere für Familien mit Kindern. Für Aussenstehende kaum nachvollziehbar, dass es auch in diesen Gebieten sehr bedeutsame Lieblingsorte gibt.

Heimat ist: Ort und Menschen

Das Gefühl vom Heimat wird bestimmt durch zwei Komponenten: der Ort und die Menschen. Die Art und Komposition der vertrauten Gebäude und Wegmarken oder die Struktur der Straßen ist maßgebend als „Hardware“ für das was wir als Heimat empfinden. Auch die „Software“ spielt eine entscheidende Rolle. Zuallererst ist es die Nachbarschaft, die darüber entscheidet, ob man sich am Ort wohlfühlt, sich zuhause fühlt und dazu gehört. Im weitesten Sinne ist es das Stadtleben im allgemeinen Sinne, das Flair einer Stadt. Diese Haltung muss nicht zwangsläufig mit der Sicht von Fremden übereinstimmen, denn die sehen den Ort nur aus touristischer Sicht. Die „Eingeborenen“, ob Gebürtige oder Zugereiste, erleben in ihrem Alltag die Stadt, ihren Kiez mit anderen Augen, aber nicht nur mit denen. Auch das Herz spielt eine wichtige Rolle. Lieblingsorte sind was ganz privates, selten solche, die auch Touristen aufsuchen – es sei denn in Reiseführern werden diese als „Geheimtipp“ gepriesen.

Lieblingsplätze machen Heimat aus

Die Liebeserklärung von Herbert Grönemeyer an Bochum läßt sich nicht aus der Stadt als bauliches Konglomerat erklären. Wie lautet der Ruhrpott-Slogan: „Schön ist was anderes“. Es muss also was ganz besonderes sein. Die Rettung mancher geschlossener Zechen als umworbene Kulturstätten ist nicht etwa als vermarktete Nostalgie misszuverstehen, sondern der Ausdruck ungebrochener Verbundenheit mit dem Ort und seiner Geschichte. Überhaupt sind es für viele Menschen ausgewählte markante Plätze, in denen sich Heimat ausdrückt. Häufig beliebt, weil sie mit persönlichen Erinnerungen verbunden sind. Wer auf Reisen ist und wohlmöglich Heimweh bekommt, erfährt auf diese Weise, was er wirklich vermisst. Das ist nicht nur das gewohnte Zuhause. Es kann auch ein Lieblingsplatz sein. Einer mit dem man Erinnerungen an die Kindheit, an die erste Liebe verbindet oder einfach nur; wo man gerne verweilt, weil man sich dort wohlfühlt.

„Heimat ist da, wo man sich wohl fühlt.“ So lautet bekanntlich ein beliebter Spruch. Das Gefühl und der Ort können sich also ändern. „Heimatliebe“ ist ja nicht nur das nostalgische Bewahren der Glut, sondern eröffnet auch das Entfachen eines neuen Feuers. Es gibt den Blick frei für das, was sich geändert hat und noch ändern wird. Das mag rückblickend traurig stimmen, zeigt aber auch das Potenzial des „Genius Loci“. In diesem Sinne ist Heimat nichts ewig Gleichbleibendes, etwas Fertiges, sondern ein Kontinuum, in dem wir mitten drin sind: Wir sind Heimat!

 

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