Naturschutzrechtliche Befreiung im Fokus
Bezirksregierung Köln
Die derzeitige Rad-Infrastruktur auf dem Land sowie in der Stadt ist nicht sicher genug, d. h. die Wege sind nicht breit genug, wodurch die Radfahrenden mit anderen Verkehrsteilnehmern um den knappen Straßenraum konkurrieren. Die politischen Vertretungen wollen dem Rechnung tragen, indem sie den Radwegeausbau an die erste Stelle stellen. Die Beispiele in der Bonner Rheinaue sowie der Siegpromenade in Windeck-Dattenfeld zeigen, dass diese Klimaschutzmaßnahme gegen den Artenschutz wichtiger Vertreter unserer heimischen Flora und Fauna gerichtet sein können.
Die BUZ-Redaktion dankt der Bezirksregierung Köln als höhere Naturschutzbehörde (s. unten) für Ihre Stellungnahme bezüglich Ihrer Prüfung der Konfliktfälle von politisch verabschiedeten Baumfällungen im Fahrradwegebau zulasten des Naturschutzes in der Bonner Rheinaue (rechts- und linksrheinisch) und an der Siegpromenade in Windeck-Dattenfeld:
„Grundsätzlich ist zu unterscheiden, ob die höhere Naturschutzbehörde in eigener Zuständigkeit in einem Verfahren beteiligt ist oder inwieweit eine Zuständigkeit als Aufsichtsbehörde vorliegt.
Dies wird zu den angesprochenen Fällen wie folgt erläutert:
Im Fall der angesprochenen Radwegeplanungen in Bonn war die höhere Naturschutzbehörde als Aufsichtsbehörde tätig.
Im Fall des geplanten Ausbaus des Radweges in der linksrheinischen Rheinaue hatte die Bezirksregierung als höhere Naturschutzbehörde über den Widerspruch des Naturschutzbeirats zur beabsichtigten Befreiung der unteren Naturschutzbehörde zu entscheiden. Die Prüfung ergab, dass die für eine Befreiung nach § 67 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 1 BNatSchG erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen nicht erfüllt waren (u. a. auch aufgrund einer unzureichenden Bewertung der Auswirkungen der geplanten Baumfällungen auf den Schutzzweck des Landschaftsschutzgebietes) Das Vorhaben konnte bereits aus diesen Gründen nicht zugelassen werden.
Im Fall des Ausbaus des Radweges in der rechtsrheinischen Rheinaue war von der unteren Naturschutzbehörde eine Befreiung erteilt worden. Der Naturschutzbeirat hatte keinen Widerspruch eingelegt. Anlässlich von Eingaben, die bei der Bezirksregierung Köln vor der Baudurchführung eingingen, war von der höheren Naturschutzbehörde die bereits erteilte Befreiung auf ihre naturschutzrechtliche Gesetzmäßigkeit und daraufhin zu prüfen, ob eine Weisung gemäß § 2 Abs. 3 Satz 3 LNatSchG erforderlich ist, um die gesetzmäßige Erfüllung der ordnungsbehördlichen Aufgaben sicherzustellen. Die Stadt Bonn wurde gebeten, die Baumfällungen bis zum Abschluss der Prüfung nicht zu vollziehen. Nach dem Gesamtergebnis der Prüfung konnte in diesem Fall ein Gesetzesverstoß nicht mit der für eine Weisung zur Rücknahme der Befreiungsentscheidung erforderlichen Sicherheit bejaht werden. Die von der unteren Naturschutzbehörde vorgenommene Abwägungsentscheidung wurde als noch vertretbar gewertet. Mit der Verfügung der Bezirksregierung Köln wurden jedoch gleichzeitig Hinweise an die Stadt Bonn zur Optimierung auf der Ebene der Ausführungsplanung gegeben, u. a. zur Verbesserung der Artenvielfalt im betroffenen Landschaftsschutzgebiet.
Die geplanten Baumfällungen in Windeck-Dattenfeld stehen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Siegpromenade, die u. a. das Ziel hat, den Rad- und Fußverkehr parallel geführt auf einem verbreiterten Weg sicherer zu gestalten.
Alle erforderlichen Genehmigungen wurden hierfür erteilt. U. a. liegt eine wasserrechtliche Genehmigung der Bezirksregierung Köln vor, die unter Beteiligung der höheren Naturschutzbehörde und nach Prüfung der naturschutzrechtlichen Zulassungsvoraussetzungen erteilt wurde. Anlässlich einer Eingabe zu den genehmigten Baumfällungen und einem Hinweis auf aktuelle Vorkommen von Fledermausarten prüft die höhere Naturschutzbehörde als in o.g. wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren unmittelbar zuständige Naturschutzbehörde, ob der Hinweis auf nachträglich festgestellte Artvorkommen bestätigt werden kann und ob ggf. nachträgliche artenschutzrechtliche Auflagen zur erteilten Genehmigung erforderlich werden.
Aktuell: In der Zwischenzeit wurde durch die Gemeinde ein fledermauskundliches Gutachten in Auftrag gegeben, um den eingegangen Hinweisen nachzugehen. Im Ergebnis konnte keine Beeinträchtigung der Fledermausart Großer Abendsegler durch das Vorhaben festgestellt werden. Die höhere Naturschutzbehörde hat den Sachverhalt auf dieser Grundlage geprüft und sieht keine Veranlassung die erteilte wasserrechtliche Genehmigung in Frage zu stellen oder nachträgliche Anordnungen treffen zu müssen.“
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HÖHERE NATURSCHUTZBEHÖRDEN
Nordrhein-Westfahlen besteht aus fünf Bezirksregierungen. Die Bezirksregierungen sind die regional zentrierte Landesverwaltung mit vielfältigen Aufgaben. Sie verbinden den Regierungsbezirk mit der Landesregierung in Düsseldorf und bündeln damit die vielen Aufgaben unter einem Dach. Die Bezirksregierung Köln ist eine von ihnen. Der Regierungsbezirk Köln umfasst vier kreisfreie Städte und acht Landkreise, unter anderem Bonn und den Rhein-Sieg-Kreis.
Die Bezirksregierung Köln ist als Bündelungs- und Mittelbehörde durch Aufsicht, Beratung und Entscheidung für die Bevölkerung tätig. Außerdem fungiert sie als Mittler zwischen Land und Kommunen.
Das Dezernat 51 Natur- und Landschaftsschutz, Fischerei ist in der Funktion als höhere Naturschutzbehörde für die Wahrung der Naturschutzbelange zuständig.
Das Dezernat 51 Natur- und Landschaftsschutz, Fischerei ist in der Funktion als höhere Naturschutzbehörde für die Wahrung der Naturschutzbelange zuständig.In zahlreichen Zulassungs- und Planungsverfahren erstellt die höhere Naturschutzbehörde u.a. naturschutzfachliche Stellungnahmen als Entscheidungsgrundlage für die verfahrensführende Stelle, um die verschiedenen naturschutzrechtlichen Belange nach dem Bundesnaturschutzgesetz zu wahren. Hierzu zählen insbesondere die Vorschriften der Eingriffsregelung, der FFH-Verträglichkeitsprüfung und des besonderen Artenschutzes. Außerdem erfüllt sie die Aufgaben als Aufsichtsbehörde über die unteren Naturschutzbehörden im Bezirk Köln.
Klimaschutz gegen Artenschutz?
Ralf Wolff (Ökozentrum Bonn e.V.)
Radfahren ist hervorragend gesund für Körper und Geist. Für den Klimaschutz steigen wir immer häufiger in die Pedale und sind dabei dank bester Übersetzungs- /Antriebstechnik von Jahr zu Jahr sehr viel bequemer unterwegs. In der Bonner Rheinaue sowie an der Siegpromenade in Windeck- Dattenfeld zeigen die Beispiele jedoch, dass die Klimaschutzmaßnahme Rad- und Fußwegausbau bei unzureichender Planung gegen den Schutz unserer biologischen Vielfalt gerichtet sein kann.
In den betroffenen Landschaftsschutzgebieten am rechts- und linksrheinischen Rheinufer in Bonn waren naturschutzrechtliche Befreiungen notwendig, die von den unteren Naturschutzbehörden erteilt werden. Die Ablehnung der Schutzwürdigkeit einer Reihe von Kugelahornbäumen steht weiterhin in Windeck-Dattenfeld seitens der Umweltverbände infrage.
Die Naturschutzbeiräte befanden in beiden Gebietskörperschaften über die erteilten Befreiungen. Im linksrheinischen Fall hatte der Naturschutzbeirat dem Bau der Radschnellroute nicht zugestimmt aber mit Auflagen in Aussicht gestellt. In der rechtsrheinischen Bonn-Beueler Rheinaue stimmte er der Befreiung und damit den Baumfällungen zu, genauso wie im Rahmen der Umgestaltung der Siegpromenade in Windeck-Dattenfeld.
Die höhere Naturschutzbehörde wurde in Bonn und in Windeck aus verschiedenen Anlässen tätig: im linksrheinischen Bonn verweigerte der Naturschutzbeirat seine Zustimmung; in Beuel erwirkten das Bürgerproteste und in Windeck nachträgliche Eingaben über das Vorkommen von besonders schützenswerten Fledermäusen an der Siegpromenade.
Während in der Beueler Rheinaue der Radweg unter besonderer Aufsicht der Bezirksregierung ausgebaut wurde und dabei einige Bäume gerettet werden konnten, bleibt zu befürchten, dass künftig in der linksrheinischen Rheinaue in Bonn oder in Windeck artenschutzwidrig Bäume gefällt werden.
Für die linksrheinische Bonner Rheinaue hatten BUND und NABU eine artschutzrechtliche Bewertung vorgenommen. Sie sind der Ansicht, dass auch die Bezirksregierung bei ihren Prüfungen den artenschutzrechtlichen Bedenken keine gebührende Bedeutung beigemessen hat. Mehr noch: Nachdem die Bezirkregierung Köln ihre neue Landschaftsschutzverordnung für das Rheinufer vom 27.07.2022 erlassen hat, befürchten die Verbände, dass Politik und Verwaltung selbst die Empfehlungen des Naturschutzbeirats in den künftigen Ausführungsplanungen nicht berücksichtigen werden. Denn die Verordnung ermöglicht „Ausnahmen“ für die „einmalige Verbreiterung von Straßen und Wegen soweit aus Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses erforderlich“.
Solche Vorhaben müssen „dank“ der neuen Verordnung nicht mehr mit Beiratsbeteiligung per Befreiung, sondern werden an ihm vorbei – per Ausnahme genehmigt. Und das, obwohl gemäß neuester Rechtslage die Kommunalpolitik ein ablehnendes Beiratsvotum kippen kann, ohne dass noch die Bezirksregierung dazu Stellung nehmen muss.
In Windeck-Dattenfeld wurde nach mehrjähriger Planung der Gemeinde im Rahmen der Umgestaltung der Siegpromenade eine Reihe von Kugelahornbäumen zur Fällung freigegeben.
Es sollen 15 wunderschöne und gesunde Kugelahornbäume für eine Verbreiterung eines Fahrradweges geopfert werden, der vorher vollkommen genügt hatte“, so Karin Bügel, BUND-Ansprechpartnerin in Windeck. Die Windecker*innen sind entsetzt.
Neue Erkenntnisse haben ergeben, dass in diesen Ahornbäumen der Große Abendsegler Höhlen zur Balz nutzt.
Für den BUND Rhein-Sieg ist entgegen des aktuell erstellten Gutachtens der Gemeinde nicht eindeutig geklärt, ob der Große Abendsegler die Bäume als Balzquartier nicht mehr nutzt. Er schlägt die Entnahme von DNA-Proben vor.
Zudem hat der BUND Rhein-Sieg ein Fachgespräch mit beiden Naturschutzbehörden angeregt, in dem das Ob und Wie der naturschutzrechtlichen und artenschutzrechtlichen Befreiung bzw. FFH-Verträglichkeit für die Fledermausquartiere erörtert werden kann. Artenschutzrechtliche Ersatzmaßnahmen haben anspruchsvolle Vorgaben.
Indes haben sich, von den Naturschutzverbänden unterstützt, aufgrund dieser neuartigen Naturschutzkonflikte neue Bürgerinitiativen gegründet. In Bonn das Aktionsbündnis „Stadt- GRÜN erhalten!“ und in Windeck fordern Baumfreunde eine alternative Planung auf Openpetition.de.
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