SEKEM: Der Mensch

8. Dezember 2020 | Nachhaltigkeit, Ausgabe 6 / 2020 Verkehr, Gesellschaft | 0 Kommentare

… im Mittelpunkt von Natur, Wirtschaft und Kultur

In Ägypten wurde 1977 ein Projekt initiiert, das landwirtschaftlich begann und durch Orientierung auf das Wohl von Mitarbeitern, bäuerlicher Bevölkerung und der Natur inzwischen weltweit einen Vorbildcharakter erhalten hat.

Ingeborg Renckendorf, Greenpeace Bonn

Bevor SEKEM 1977 entstand, war da eine sanft hügelige, steinige, wasserlose, völlig kahle Wüstenfläche nordwestlich von Kairo und ein Mann, der Ägypter war, in Europa studiert und gelebt hatte und eine große Idee verwirklichen wollte.

Der Begründer

Ibrahim Abouleish, geboren 1937, wuchs in seiner Familie in Kairo auf, absolvierte die Schule bis zum Abitur und hatte den dringenden Wunsch, in Europa zu studieren. Gegen den Willen seiner Familie verließ er Kairo und reiste nach Graz, um dort an der österreichischen Universität zu beginnen. Ein Studium der technischen Chemie absolvierte er mit Bravour samt Promotion und schloss gleich ein zweites an, Medizin, ebenfalls mit Promotion.
Währenddessen heiratete er die Tochter eines Grazer Musikprofessors.
Schon in Ägypten erregte der dort hoch geachtete Goethe sein Interesse, mit dem er sich in Europa dann sehr intensiv beschäftigte, auf wissenschaftlichem, philosophischem und künstlerischem Gebiet. In Abouleish verbanden sich die traditionellen ägyptischen Wurzeln mit dem ihm wahlverwandten Geistesgut Europas, so dass er sich, vor allem durch Kunst, weder als Ägypter noch als Europäer empfand, vielmehr als beides, als Weltbürger.

Der Beginn: Eine Oase

Als 40-Jähriger kehrte Abouleish aus seiner zweiten Heimat Europa nach Ägypten zurück. Er begann zielgerichtet ein Stück Wüste zu suchen, das er landwirtschaftlich urbar machen wollte. Dem Kauf des Landes folgten die ersten Schritte: Planung, Festlegung einiger Straßen und vor allem Brunnenbohrungen als Voraussetzung jeglichen Lebens. Vielerlei Widerstände überwand sein eiserner Wille, eine blühende Farm anzulegen, auf der viele Menschen Arbeit finden könnten. Zugleich mit dem Pflanzen von Pionierbäumen, der Errichtung des ersten Hauses etc. lernte Ibrahim Abouleish, die vielerlei einheimischen Menschen zu verstehen, die mit ihm und für ihn arbeiteten, deren Mentalität sich von der ihm bekannten Art der Mitteleuropäer sehr unterscheidet. Hier zeigte sich deutlich sein Lebensprinzip, dass Lernen die Grundlage aller Arbeit und allen sozialen Miteinanders sei.
Als wirtschaftliche Methode kam für Abouleish nur die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise in Frage, die er in Mitteleuropa eingehend studiert hatte. Es musste also landwirtschaftlicher Boden aufgebaut werden, schattende Bäume gehörten zuerst dazu, dann Kühe, Kompostanlagen und Anbaupläne, die eine Vielzahl von Pflanzen enthielten. Heute ist dies eine große, vielfältige Parkanlage, schattend, Früchte bringend, durch reiches Blühen eine wohltuende Atmosphäre gebend.

Menschen, arbeitend und lernend

Die Idee, die Abouleish dem zu gründenden Betrieb zugrunde legte, war sensationell, sowohl nach ägyptischen als auch nach europäischen Maßstäben. Landwirtschaftliche Produktion bringt Kapital. Von Anfang an flossen nun die Überschüsse so, dass alle Mitarbeiter fair bezahlt wurden, dass sie aber auch Gelegenheit während der Arbeitszeit erhielten und dazu angeregt wurden, sich vielfältig weiterzubilden, sich beispielsweise auch künstlerisch zu betätigen. Vom Kapital wurde bald eine eigene zwölfklassige Waldorfschule gegründet, ein Kindergarten, eine handwerkliche Ausbildung für die Schulabgänger, ein medizinisches Zentrum, eine Moschee etc. Dass ein wirtschaftlicher Betrieb gleichzeitig ein soziales und kulturelles Zentrum im Dienst an den beteiligten Menschen sein kann: das war neu. Neu war auch das Angebot an die armen Bauern der umliegenden Dörfer, ihren Kindern bei SEKEM eine Schulbildung zu ermöglichen. Kinder der unteren Klassen, die sonst niemals eine Schule von innen sehen würden, erledigen vormittags leichte Aufgaben für den Betrieb (z.B. Ernten von Calendulablüten), für die sie bezahlt werden, und erhalten nachmittags eine grundlegende schulische Ausbildung. Später können sie darauf weiter aufbauen, in handwerklichen Lehrwerkstätten und Berufsschule bis hin zu der inzwischen gegründeten Universität in Heliopolis.

Entwicklung als Grundprinzip

SEKEM sollte von Anfang an weder der Selbstversorgung mit Lebensmitteln dienen, noch der Gewinnmaximierung durch Verkauf einzelner Güter. Vielmehr entstand ein bisher eher unbekannter „Organismus“, der ein Zusammenspiel von Erzeugern und Verbrauchern darstellt: eine Assoziation. Transparenz und Kooperation sind hier die „Zauberworte“, die den Bauern auf dem Baumwollfeld oder an der Dattelpalme verbindet mit Kunden weltweit, die Produkte in gewünschter Qualität erhalten.
Qualität in Bezug auf Reinheit, Giftfreiheit und gesundheitsfördernde Eigenschaften der Produkte ist eine Leitidee bei SEKEM.
Inzwischen wurde die Einrichtung so weiterentwickelt, dass zunächst 13 Dörfer einbezogen wurden. Die Bauern erhalten als Vertragsbauern Anleitung für biologisch-dynamisches Wirtschaften und eine Existenzsicherung. Mit Hilfe der EU wurde dort ein Projekt gegen Armut und Krankheit realisiert, das aus Gesundheitsfürsorge, Abfallbeseitigung, Bildungsimpulsen, Frauenberatung und der Vergabe von Mikrokrediten besteht. An vielen Stellen in Ägypten wurden dann etwas später Flächen dazu gepachtet, deren Bewirtschaftung durch 70 Landwirte unter anderem mit Baumwolle und Gemüse Lieferungen nach ganz Ägypten und in viele Länder ermöglicht. In SEKEM wurden Methoden entwickelt, mit denen Baumwolle ohne Pestizide und synthetische Dünger sehr erfolgreich produziert werden kann. Seither wird in Ägypten die Baumwolle pestizidfrei angebaut.
SEKEM ist kein Rohstofflieferant. Vielmehr werden die Erzeugnisse in einzelnen eigenen Unternehmen verarbeitet: NATURTEX verarbeitet Baumwolle bis zur fertigen Kleidung, ATOS die Heilkräuter zu Medikamenten, ISIS stellt gesunde Lebensmittel her, MIZAN zieht Setzlinge für die biologisch arbeitenden Farmer Ägyptens, HATOR reinigt und verpackt Gemüse, LOTUS verarbeitet Kräuter und Gewürze. Alle Firmen sind in der SEKEM Holding zusammengefasst. Sie stellt auch die Verbindung zu ausgesuchten internationalen Partnern der Finanzwelt her. Etwa 2000 Menschen strömen heute täglich zur Arbeit nach SEKEM. Sie sind jeweils in Produktionsgruppen an Arbeitsberatungen und Berichten beteiligt. Zum Abschluss sei der für SEKEM bezeichnende „Wochenkreis“ geschildert: Sämtliche Mitarbeiter sammeln sich am Donnerstagnachmittag – dem Arbeitsschluss – in einem riesigen Doppelkreis zu kurzen Rückblick-Berichten und gehen dann langsam an Ibrahim Abouleish und seiner Frau Gudrun vorbei, die sie per Handschlag persönlich in das Wochenende verabschieden.

Zur weiteren Information empfehle ich zwei Bücher:
Ibrahim Abouleish Die Sekem-Vision Verlag Mayer
Daniel Baumgartner / Michael Bader SEKEM Im Puls der Zukunft Verlag Pforte

 

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